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Steinbrück ohne Kraft

Peer Steinbrück steht für vieles, sicher aber nicht für Emotionen und Herz. Dafür soll stattdessen Hannelore Kraft sorgen, die für manchen Sozialdemokraten ohnehin die Kanzlerkandidatin der Herzen ist. Doch die Premiere Steinbrück mit Kraft fiel in Nordrhein-Westfalen prompt aus.

Von Barbara Schmidt-Mattern |
    Eigentlich ist der Abend bis hierhin ganz gut gelaufen. Eine ordentliche, wenn auch mal wieder viel zu lange Rede, deftiger Applaus für den Kandidaten– und jetzt das: Da spielen die Genossen aus Westfalen für Peer Steinbrück extra ihre Bergmanns-Hymne – das Steigerlied, bei dem selbst hartgesottene Kumpel schon mal weiche Knie bekommen. Sogar den Text haben sie auf ihn umgemünzt – und was macht der Genosse Kandidat? Steht steif da, bleckt die Zähne und nimmt einen Schluck Pils. Wenigstens das, ein Weinglas hätte gerade noch gefehlt ...

    "Wir haben dir Bier mitgebracht, aus meinem Wahlkreis aus Soest..."

    Das hat sich Norbert Römer, sonst SPD-Fraktionschef in Düsseldorf, nicht nehmen lassen. "Sehr gut" dröhnt der Kandidat zurück. Doch Römer ist noch nicht fertig:

    "Und vor allem Genossinnen und Genossen – das ist das Wichtigste, Peer – ist Bier kein Pinot Grigio, also keine Gefahr in Verzug, kannste in Ruhe trinken."

    Der Pinot Grigio verfolgt ihn also bis nach Schwerte – oder besser jener schwache Moment, als Steinbrück letztes Jahr verlauten ließ, er trinke keinen Wein für fünf Euro die Flasche. Umso besser, dass jetzt zum Ende des Abends bierselige Stimmung durch das ausverkaufte Waldrestaurant Freischütz wabert. 750 Genossen haben Schinkenstullen mit ordentlich Zwiebel drauf verzehrt. Als Beilage gibt es Peer Steinbrück am Rednerpult:

    "Das, was ich der Partei hoch anrechne, ist, dass ich Solidarität, Unterstützung, mehr als das, Sympathie, empfangen habe in solchen Zeiten, wo es schwierig gewesen ist, wo ich auch euch Schwierigkeiten gemacht habe, und für diese Freundschaft aus den Reihen der Partei bin ich euch sehr, sehr dankbar."

    Dass der Kandidat der Partei den Roten Teppich ausrollt – und nicht umgekehrt – das finden sie gut – und durchaus überfällig, hier im tiefen Westfalen, einem Bezirk, der sich noch immer als Herzkammer der Sozialdemokratie versteht. Genau deshalb haben sie all diese Debatten satt, die ihr Kandidat ihnen in den letzten Monaten eingebrockt hat: Nebeneinkünfte, Kanzlergehalt, ein Internetblog finanziert von reichen Wirtschaftsbossen. Unmut und Ratlosigkeit steht der Basis ins Gesicht geschrieben, aber sagen will es erst mal niemand:

    "Diese sogenannten Fettnäpfchen, die es ja nicht unbedingt gegeben hat, die hat man ja nun hochstilisiert. Den Mann zu verstehen, ist ja gar nicht einfach, ist ein Intellektueller."

    Ob Hans-Dieter, der nur seinen Vornamen nennen möchte, das als Kompliment meint, bleibt offen. Auch Alwin Grundorff aus Bitburg windet sich zunächst:

    "Jaa, also bis jetzt hat man ja nicht so besonders viel Aktives gehört, aber die Ideen, die er hat, die find ich ganz gut. Zum Beispiel den Banken auf die Finger hauen, das ist für mich das Wichtigste, das Allerwichtigste!"


    "Ich bin eigentlich von seinen Fähigkeiten überzeugt ..."

    Sagt Lieselotte Glasow. Aber:

    "Er muss noch ein bisschen volkstümlicher werden, das ist vielleicht das, was ihm fehlt."

    Noch jemand fehlt hier an diesem Abend – Hannelore Kraft, die Landesmutter, die mit einer Magengrippe zuhause im Bett bleiben musste.

    "Die kommt nicht?!? Das hab ich noch gar nicht erfahren ... ja, dann freu ich mich eben nur auf den Kandidaten ..."

    Begeisterung klingt anders. So wie Lieselotte Glasow braucht man sie alle im Saal nur nach ihrer Landesvorsitzenden, ihrer Ministerpräsidentin, ihrer heimlichen Kanzlerkandidatin der Herzen zu fragen, und schon hellen sich die Mienen auf.

    "Hannelore Kraft ist unsere absolute Nummer Eins. Also ich hätte mir natürlich sehr gewünscht, wenn Hannelore Kraft gesagt hätte, sie würde es machen, muss ich ganz ehrlich sagen, wenn sie sich entschieden hätte und wäre auch nach Berlin gegangen, dann wäre sie die Nummer Eins geworden und nicht er."

    Peer Steinbrück ist ein Kandidat, den sie aus Vernunft und Solidarität unterstützen, aber mehr dann auch nicht. Also bleibt Steinbrück an diesem Abend nur eins: die Flucht nach vorn. Warme Worte für Hannelore Kraft, um ein bisschen mehr Sympathie für sich selbst abzuschöpfen. Denn weder er noch die 750 Genossen im Saal haben die Landtagswahl 2005 vergessen, als Steinbrück in NRW verlor und die SPD nach 39 Jahren aus der Regierung flog:

    "Und dass Hannelore nicht nur eine Spitzenkandidatin erster Klasse gewesen ist im Mai 2010, sondern zwei Jahre später eine exzellente Ministerpräsidentin, die hier eine stabile Regierung mit den Grünen zusammengebracht hat, das freut mich auch vor dem Hintergrund meiner eigenen Niederlage 2005, und das macht die Narbe erträglicher, die ich da irgendwo auf meinem Rücken trage."

    "NRW im Herzen" steht auf dem Rednerpult in Schwerte – ein Slogan, der das Image von Hannelore Kraft geprägt und ihre Beliebtheitswerte mit nach oben katapultiert hat. Jetzt, da Steinbrück auf der Bühne steht, wirkt der Satz kontraproduktiv. Der Kandidat hat nicht NRW im Herzen, sondern Berlin im Kopf. Möglicherweise ist er auch deshalb an diesem Abend der einzige Redner, der der kranken Hannelore Kraft keine Genesungswünsche zuruft. Dabei wirkt das wie eine Applausmaschine: Krafts treuer Parteifreund Norbert Römer weiß das:

    "Also Glückauf für Hannelore Kraft, damit sie schnell wieder bei uns ist!"

    Und gerade weil die Genossen in Schwerte NRW im Herzen haben, folgt zum Abschluss die Überraschung mit dem Steigerlied. Bei solchen Gelegenheiten verteilt Hannelore Kraft gern Kusshändchen, und sie umarmt jeden. Steinbrück steht da und trinkt Pils.