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Steinmeier auf Staatsbesuch in Moskau
Am Ende bleiben nur Appelle

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei einem Treffen mit Russlands Staatschef Wladimir Putin die Chancen für eine Annäherung in den angespannten deutsch-russischen Beziehungen ausgelotet. Eine noch so kleine Annäherung war während der abschließenden Pressekonferenz aber nirgends zu entdecken.

Von Thielko Grieß |
    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l) und der russische Präsident Wladimir Putin treffen sich im Kreml in Moskau, rechts dahiner steht der russische Außenminister Sergej Lawrow (r).
    Kühl und distanziert: Frank-Walter Steinmeier ist in Moskau, um eine Annäherung mit Russland zu erreichen. (dpa - Bildfunk / Bernd von Jutrczenka)
    Stellprobe für den Bundespräsidenten. Jemand aus dem Präsidialamt platziert eine Visitenkarte auf dem Fußboden, ziemlich mittig im Foyer der Residenz des deutschen Botschafters in Moskau.
    "Die ist für ihn, damit er weiß, wo er stehen soll."
    Dorthin soll sich gleich das Staatsoberhaupt stellen, damit die Bilder hübsch werden: Von Frank-Walter Steinmeier mit Schwarz-Rot-Gold hinter ihm und hinter ihnen die holzgetäfelten hell-warmen Wände der Residenz. Gleich darauf kommt der Präsident ins Foyer; er versteht den Wink mit der Visitenkarte.
    "Ist ja leicht zu merken. Neue Gesichter in der Runde", sagt er und blickt freundlich in die Kameras. Die Treffen mit Menschenrechtlern und Gorbatschow liegen schon hinter ihm. Warme, freundliche Gespräche. Schwierig wird es erst später, bei Wladimir Putin. Das werde ein Gespräch, sagt Steinmeier,
    "in dem ich vor allen Dingen Antworten auf die Frage suche: Welche Gemeinsamkeiten sieht eigentlich Russland heute noch mit Europa, auch mit Deutschland?"
    Unterkühltes Verhältnis
    Soweit ist es also schon gekommen, lautet die Frage doch nicht mehr: Welche gemeinsamen Verbindungen sieht Russland? Sondern: Sieht es überhaupt noch welche? Steinmeiers Frage wird im Laufe dieses Tages noch wichtig werden.
    "Das größte Geschenk für das Reformationsjubiläum."
    20 Minuten später.
    "Luther ist da, die Kapelle ..."
    Der Erzbischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Russland, Dietrich Brauer, zeigt dem Gast aus Deutschland den Kirchhof. Die Kathedrale Sankt Peter und Paul, enteignet unter Stalin, soll nach rund 80 Jahren an die Gemeinde zurückgegeben werden. Steinmeier hatte noch als Außenminister einen Brief an Wladimir Putin geschrieben, mit der Bitte um Unterstützung. Das Schreiben hat wohl geholfen.
    Als seien beide Prediger, schreiten Erzbischof und Präsident durch das hohe, helle Kirchenschiff an Gläubigen vorüber – die erste Reihe vor dem Altar ist für die Amts- und Würdenträger reserviert. Der Russe setzt sich links in die Bank zu anderen Russen, der Deutsche rechts in die Bank zu anderen Deutschen. Zwischen ihnen leuchtet ein roter Teppich.
    Nun ist der Moment der Grußworte: Ein Repräsentant der Stadt Moskau übergibt symbolisch den Schlüssel zur Kirche, und dann tritt einer recht hagerer, etwas grauer Mann ans Mikrofon. Einer, von dem vor einer Woche noch gar nicht klar war, ob er noch hierher würde kommen können. Denn er drohte zurückgetreten zu werden.
    Der russische Kulturminister Wladimir Medinskij hat seine Habilitation in Geschichte nach Ansicht etlicher Fachleute eher nach dem "Modell zu Guttenberg" zusammengeschustert als tatsächlich Wissenschaft betrieben. Aber eine Kommission ist loyal geblieben. Die Zweifel am Können des Ministers bleiben und sein akademischer Titel auch. Medinskij ist ein Anhänger heroischer Geschichtsbilder.
    "Die Lutheraner in der Geschichte Russlands sind gute Arbeiter gewesen, sehr gute Soldaten, glänzende Generäle, sehr gute, ehrliche, gewissenhafte Leute."
    Vorsichtige Freundlichkeit über den roten Teppich hinweg
    In der ersten Reihe, Rechterhand, beugt sich der deutsche Botschafter zum Bundespräsidenten hinüber und flüstert ihm ins Ohr. Vielleicht ein wenig Einordnendes? Kulturminister Medinskij spricht weiter, auch über keine Heldentaten. Über die unter Stalin erschossenen Geistlichen der Lutheraner, über verfallende Kirchen und über gemeinsame Verantwortung. Es ist eine vorsichtige Freundlichkeit über den roten Teppich hinweg.
    Damit sind die Momente der relativen Nähe dieses Moskauer Besuchs bereits berichtet. Denn was in den anschließenden Stunden im Kreml noch folgt, legt so große Distanz offen, dass man sich sogar die dürre Wärme des Kulturministers zurückwünscht.
    Während Wladimir Putin, dessen Berater und Minister den Bundespräsidenten zu einem Gespräch erst unter zwölf Augen, dann unter vier Augen und danach noch zum Abendessen wieder unter vielen Augen treffen, harren russische und deutsche Journalisten einige Stunden lang in einem engen Raum aus. Dort ist alles knapp: Sitzplätze, Steckdosen für Laptops und Sauerstoff.
    Der Versuch, einen der russischen Kollegen dazu zu gewinnen, nur ein paar Sätze ins Mikrofon des Deutschlandfunks zu sagen, misslingt. Mehr als ein Dutzend lehnt freundlich und wortreich ab – sie alle arbeiten für staatlich gelenkte Sender. Freizusprechen sei ihnen vertraglich untersagt. Also arbeiten Russen und Deutsche eng an eng wie Legehennen, die einander nichts zu sagen haben. Mit einer Ausnahme: Galina Dudina hat für den "Kommersant" ein Interview mit Steinmeier geführt, es stand schon am Morgen in der Zeitung.
    "Frank-Walter Steinmeier ist ein westlicher Politiker, der einen guten Ruf in Russland hat. Und deshalb glaube ich, dass sein Besuch als ein Signal zum Dialog gesehen wird, zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen."
    Keinerlei Annäherung erkennbar
    Das wäre was gewesen, so ein Signal, das sich ja auch Steinmeier wünscht. Allein: Eine noch so kleine Annäherung zwischen ihm und Wladimir Putin ist während der anschließenden Presse-Statements nirgends zu entdecken. Putin reduziert seinen Beitrag auf ein Inhaltsminimum.
    "Wir haben die russische Initiative beraten, die Beobachter der OSZE in der Konfliktzone der Ostukraine mit einer UN-Mission zur Sicherung ihrer Sicherheit auszustatten."
    Was aber der russische Präsident von seiner eigenen Idee hält, wäre wichtig, behält er jedoch für sich. Steinmeier bleibt danach nur übrig, Appelle zu formulieren:
    "Von normalen Beziehungen sind wir noch entfernt. Es gibt noch offene Wunden oder Belastungen, die insbesondere aus der Annektion der Krim und dem Konflikt in der Ostukraine herrühren. Aber es muss unser gemeinsames Ziel sein, den großen Differenzen der vergangenen Jahre jetzt etwas Anderes entgegen zu setzen, nämlich das gemeinsame Bemühungen und, äh, den Wiederaufbau eines Minimums an Vertrauen."
    Das ist weniger als wenig. Sehr viel kleiner kann man das Ergebnis von Gesprächen zwischen den Staatsspitzen nicht formulieren.