Ihr seid eben so, und wir sind anders. Diese Kausalität will Frank-Walter Steinmeier in Peking nicht gelten lassen. Sechs Tage ist er schon im Land unterwegs, trifft nach Besuchen in den Provinzen nun Xi Jinping - den Staatspräsidenten unseres wichtigsten Handelspartners.
"Wir müssen erklären, dass wir in diesen Bereichen gemeinsame Interessen mit China haben - aber, dass das nicht bedeutet, dass wir mit allem einverstanden sind, was hier stattfindet."
Roboter, die Menschen als Eindringlinge empfinden
Große Fragezeichen hinterlässt nämlich auch die Digitalisierung, wie China sie an- und forttreibt - mit einem sozialen Kreditsystem das massenhaft Daten fressen soll und seine Bürger nach ihrem Lebensstil bewerten will. Oder einer Roboterrevolution, die den Menschen in der Arbeitswelt von morgen als Eindringling empfindet.
"Manchmal, auch das ist wahr - überkommt die Deutschen dabei ein etwas mulmiges Gefühl. Was hier geschieht das verändert eben nicht nur China. Es verändert die Welt."
Als Tannen getarnte Funkmasten
Und: All das was hier geschieht, fußt auf einer Gesellschaft, die innovationsfreudig ist. Wer hier in jeder kleinen Imbissbude mit dem Handy bargeldlos zahlen kann oder eins der tausenden Leihfahrräder am Straßenrand wie selbstverständlich per App mietet, der stört sich vielleicht nicht an den Millionen Kameras, die alle und jeden im Blick haben. Oder an den Daten, die eine Mega-Messenger-App wie "We Chat" saugt und verwertet. Als Tannen getarnte Funkmasten bringen die digitale Welt in fast jede Ecke der Provinz. Mikko Huotari stellvertretende Direktor des MERICS- Instituts in Berlin:
"Die Risikobereitschaft oder Innovationsbereitschaft mit der Bereitstellung von eigenen Daten und Nutzung neuer Technologien, ist in China weit aus ausgeprägter als es hier ist."
Keine Gedanken über ethische Grenzen gemacht
Und so scheinen viele chinesische Gesprächspartner entlang der Reise Fragen der digitalen Ethik zum ersten Mal zu hören. Das bemerken der Bundespräsident und seine Delegation auch bei einem Digitaltreffen mit Vertretern der Wirtschaft. Dabei auch Vertreter der chinesischen Tech-Riesen Midea oder Huawei. Hansjörg Durz, mitgereister CDU-Abgeordneter und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses "Digitale Agenda" schildert seinen Eindruck:
"Auf die Frage hin, ob denn über ethische Grenzen und Leitplanken diskutiert wird, dass zunächst keine Antwort kam. Ein Vertreter dann sagte, dass sie sich darüber noch keine Gedanken gemacht haben."
Bundespräsident wünscht sich Diskurs
Und genau da will Bundespräsident Steinmeier ansetzen. Viele große deutsche Unternehmen - Siemens und Bosch beispielsweise - kooperieren hier und in Deutschland eng mit den Chinesen. Deutsche Unternehmen müssten mit ihren chinesischen Partnern Gespräche suchen, Debatten anzetteln über die Ethik der Digitalisierung. Noch mal Hansjörg Durz:
"Dieser Diskurs, den gibt es in Deutschland ausgeprägt wie es ihn nirgendwo sonst auf der Welt gibt! Ich sehe uns da auch ein Stück weit in der Verpflichtung, über diese Fragen zu diskutieren."
Und so wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem Gespräch mit Staatspräsident Xi Jinping wohl auch diese Debatte führen. Für ihn hängt sie unmittelbar mit einer neuen Weltordnung zusammen, in die China und Deutschland sich einreihen und in der es auch um einen Kampf des digitalen Fortschritts geht. Der mitreisende Rechtsprofessor Wolfgang Hoffmann-Riem erklärt:
"Die digitale Transformation verändert alle Lebensverhältnisse, auch die Internationalen. Den Anstoß geben die kommerziellen Interessen der Unternehmen, die Dominanzinteressen der Staaten, die Tech-Interessen der Tech-Leute."
Gremium für die Fragen des Menschseins
Chinesische Wissenschaftler und Philosophen, die Steinmeier und Hoffmann-Riem auf der Reise auch trafen, wünschten sich übrigens genau deshalb ein internationales Gremium für die Fragen des Menschseins in der digitalen Welt. Dass diese chinesischen Debattenpartner allerdings Angst haben müssen, ihre Namen klar zu nennen zeigt: Mehrheitsfähig ist dieser Diskurs in China nicht.