Peter Kapern: Bei uns am Telefon ist nun Jürgen Trittin, Außenpolitiker der grünen Bundestagsfraktion, guten Morgen!
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Herr Kapern!
Kapern: Herr Trittin, angesichts dessen, was man da so aus Tel Aviv, aus Jerusalem hört, stellt sich doch die Frage: Wenn die Europäische Union an der Zweistaatenlösung festhält, reitet sie dann eigentlich ein totes Pferd?
Trittin: Nun, es hat ja viele gegeben, die gehofft haben, dass die Äußerungen von Netanjahu im Wahlkampf, seine abfälligen Äußerungen über Araber in Israel, sein Nein zu einem Palästinenserstaat, dass er diese Wahlversprechen nicht einlöst. Das, was aus seinem Kabinett heraus – Sie haben das ja umfassend zitiert – tönt, das heißt nichts anderes, als dass jenseits der verbalen Bekundungen zu der Bereitschaft einer Zweistaatenlösung in Israel daran gearbeitet wird, genau dieses tatsächlich zu unterlaufen und zu unterminieren. Man muss allerdings – und ich finde, das ist die gemeinsame Aufgabe der Europäer wie der USA und anderer – ganz ruhig darauf hinweisen, dass wenn es diese Alternative aus Sicht Israels nicht mehr gibt, sie die Frage beantworten müssen, wie sie mit diesen Menschen, die dort leben, die ja potenziell die Mehrheit der Bevölkerung stellen, dann tatsächlich umgehen. Ein Staat, der dauerhaft darauf beruht, dass die Rechte von mehr als der Hälfte der Bevölkerung faktisch nicht existent sind und sie unter einem Besatzungsregime leben müssen, ein solcher Staat wäre nicht nur mit internationalem Recht zu vereinbaren, sondern wäre sicherlich auch permanenten Sicherheitsgefährdungen ausgesetzt. Und so steuert in dieser Situation ja Israel aktuell im Grunde genommen auf eine Wiederholung des dritten, vierten, fünften Gazakonfliktes zu.
"Zweistaatenlösung sehr, sehr schwierig zu erreichen"
Kapern: Jetzt muss ich noch mal nachfragen, Herr Trittin: Diese Antwort, die Sie uns gerade gegeben haben, bedeutet die, dass man durchaus konkret nachdenken muss über die Ausgestaltung einer Einstaatenlösung, oder bedeutet sie, dass Sie auf alle Fälle an einer Zweistaatenlösung festhalten?
Trittin: Ich wollte nur darauf hinweisen, wer die Zweistaatenlösung nicht will, der muss sich die Frage beantworten, wie er sicherstellen will, in einer Einstaatenlösung die elementarsten Menschenrechte der dort lebenden Menschen und wie er dieses vereinbaren will mit der Vorstellung eines jüdischen Staates, einer Sicherheit und Heimstatt für die Juden auch der Welt. Das ist ja auch die Begründung für den Staat Israel und für das Festhalten und die Verteidigung des Existenzrechtes des Staates Israel. Da hört man von denjenigen in Israel, die von rechts gegen die Zweistaatenlösung agitieren, eigentlich wenig, und das ist in der Tat erschreckend. Die Konsequenzen können Sie zurzeit im Gazastreifen sehen, wir haben das ja vergessen fast. Seit einem Jahr ist dort eine brüchige Waffenruhe, sie wird verschiedentlich gebrochen, übrigens auch von der israelischen Seite. Wir haben es dort damit zu tun, dass seit vor einem Jahr dieser Krieg zu Ende gegangen ist, dort nicht ein einziges Haus wiederaufgebaut worden ist. Der Gazastreifen hat die höchste Arbeitslosenquote der Welt, die wirtschaftliche Entwicklung ist noch viel, viel schlechter als in der Westbank, sie hängt immer weiter hinterher, und das ist natürlich eine Atmosphäre, die langfristig die nächsten Sicherheitsherausforderungen geradezu auf den Tisch legt. Und das ist immer das, was auch Europa und ich glaube auch Frank-Walter Steinmeier bei all ihren Besuchen zu Recht gesagt haben: Wenn man sich einem Prozess nicht annähert, zu einer konstruktiven Zweistaatenlösung zu kommen, das Selbstbestimmungsrecht Israels verteidigt und das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat, dann schafft man eigentlich permanent Situationen, in denen die Gewalttätigkeit wieder ausbricht. Das haben wir in den letzten Jahren ja erlebt.
Kapern: Herr Trittin, jetzt höre ich aus Ihren Worten heraus, dass Sie nach wie vor die Zweistaatenlösung für die bessere Lösung halten, aber wer dies tun, der muss dann auch sagen, wie er denn das Land bereitstellen, das dann für die Gründung des zweiten, des palästinensischen Staates dienen soll. Wie lässt sich der Siedlungsbau stoppen, der ja sozusagen dieses Land angreift?
Trittin: Der Stopp des Siedlungsbaus ist eine der Grundvoraussetzungen für eine solche Lösung. Es ist auf der anderen Seite die Grundvoraussetzung, dass auf der Seite der Palästinenser dafür Sorge getragen wird, dass Sicherheitsgefährdungen für Israel nicht mehr stattfinden. Das ist der alte Ausgangspunkt jeglicher Verhandlungen. Es neigt die israelische Seite zurzeit dazu, den Teil, der ihr Bestandteil ist, nämlich den Verzicht auf weitere Landnahmen, die Rückgabe von Ländern innerhalb dessen, die sie in den sogenannten besetzten Areas dort gemacht haben, genau dieses nicht zu tun. Und ich weiß selber, dass die Zweistaatenlösung eine ist, die an dieser Stelle sehr, sehr schwierig zu erreichen sein wird, da soll sich niemand Illusionen machen. Und daran wird auch die Reise von Frank-Walter Steinmeier zurzeit nicht viel ändern, wenn ich die Äußerungen auf der israelischen Seite sehe. Dennoch komme ich am Ende immer zu dem Ergebnis, dass eine Zweistaatenlösung die einzige ist, die alle Elemente beinhalten kann, nämlich ein selbstbestimmtes Leben in Sicherheit für Israel und für die palästinensischen Bürgerinnen und Bürger.
Gefahr erneuter bewaffneter Auseinandersetzung
Kapern: Aber welche Instrumente, Herr Trittin, welche Instrumente haben die Mitgliedstaaten der EU, um beide Seiten dazu zu drängen?
Trittin: Ich glaube, dass zum Beispiel auch dazu gehört, Klartext zu reden, wenn man nicht will, dass man im Grunde genommen in die nächste bewaffnete Auseinandersetzung hineinstolpert.
Kapern: Glauben Sie, dass bisher kein Klartext geredet worden ist, wenn deutsche Außenminister, unter anderem auch Joschka Fischer, in Israel waren?
Trittin: Wir reden jetzt über die Reise von Frank-Walter Steinmeier, und ich erwarte von Herrn Steinmeier, dass er zum Beispiel in aller Deutlichkeit anspricht, dass die Blockade des Gazastreifens aufgehoben werden muss. Die Hilfe, die man übrigens von Europa auch von israelischer Seite erwartet, dort zu stabilisieren und wiederaufzubauen, kann nur geleistet werden, wenn die Israelis etwas ganz Simples tun, nämlich aufhören, die Lieferungen von Zement – den braucht man für den Wiederaufbau – in den Gazastreifen zu blockieren.
Kapern: Mit dem dann aber wieder Material für neue Raketen in den Gazastreifen kommen.
Trittin: Ich rede von Zement.
Kapern: Ja, aber das lässt sich ja offenbar nicht so auseinanderhalten, wie das die Vergangenheit gezeigt, denn irgendwo kamen diese Materialien her.
Trittin: Das ist ja die faule Ausrede, die hier passiert. Man wird erleben, wenn man den Zustand im Gazastreifen so belässt, dann werden wir in Monaten – das geht gar nicht um Jahre – eine erneute bewaffnete Auseinandersetzung dort erleben, weil hier nichts stattfindet, was in irgendeiner Form dazu führt, dass das, was in dem letzten Krieg mit Hunderten von Toten, Hunderten von Zivilisten passiert ist an dieser Stelle, dass dort nicht ein einziges Haus wiederaufgebaut worden ist. Und das ist eines der Dinge, für die eine europäische Außenpolitik sich einsetzen muss. Dazu kann gehören die Diskussion über die Frage, Öffnung der Grenzstation in Rafah, um zum Beispiel unter internationaler Aufsicht dazu beizutragen, dass eben Zement geliefert wird und nicht Raketenbestandteile.
Kapern: Sagt Jürgen Trittin, der außenpolitische Experte der grünen Bundestagsfraktion heute früh im Deutschlandfunk. Herr Trittin, danke, dass Sie Zeit für uns hatten, ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag!
Trittin: Ich danke Ihnen!
Kapern: Auf Wiederhören!
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