Deutschland habe einen hohen Stellenwert in der Region, es seien nicht nur Russland und die USA, die Einfluss hätten, so Schulz, der seit 1975 dort unterwegs sei. Noch nie in seinem Leben als Arabist sei die Lage in der Golfregion so fragil gewesen wie jetzt.
Kritik an der Reise aufgrund der deutschen Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien könne er nur zu Teilen nachvollziehen. Parteien aus der Opposition müssten das aufgrund ihrer Rolle tun. Aber es sei wichtig, Kontakte offensiv zu nutzen, um Konflikte einzudämmen. Alles, was in Syrien Menschenleben rette, sei moralisch gesehen ein Gewinn und kein Verlust.
Zum Dialog sei auch der Kulturbereich geeignet, den man zielgerichtet einsetzen könne. Deutschland präsentiert sich derzeit auf dem Kulturfestival in Riad.
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Mit dabei war auch Eckehard Schulz, Orientalist an der Universität in Leipzig und Mitglied der Delegation des Außenministers. Guten Morgen, Herr Schulz!
Eckehard Schulz: Guten Morgen!
Dobovisek: Ein Kulturfestival in Saudi-Arabien - Steinmeiers Besuch in Riad ist hier in Deutschland ja umstritten. Können Kunst und Kultur am Ende mehr Annäherung bringen als Diplomatie und Politik?
Schulz: Ich glaube, es ist auf jeden Fall besser, zu sprechen, als nicht zu sprechen. Und ich kenne dieses Festival schon seit etwa 20 Jahren, also ich habe ja schon mal teilgenommen, und ich denke schon, dass das eine Chance ist, in Kontakt zu kommen zur saudischen Bevölkerung und nicht nur die rein offiziellen Kontakte zu haben. Wir haben relativ viele wirklich auch gute Termine mit saudischen Kollegen hier gehabt und denken schon, dass wir auf dieser Ebene weiter sprechen sollten, weil ein Boykott oder ein Nichtsprechen keinen Fortschritt bringen wird.
"Wir sollten nicht noch mehr Waffen in die Region bringen"
Dobovisek: Welche Eindrücke nehmen Sie mit aus der Eröffnung gestern?
Schulz: Das war natürlich das typische Zeremoniell, was in diesen Ländern, auch in Saudi-Arabien vor allen Dingen gepflegt wird. Sicher etwas, für unsere Gewohnheiten nicht das, was wir vielleicht nun jeden Tag gern sehen möchten, aber es gehört hier zu der kulturellen Einbettung der Kulturen, und insofern eigentlich ein ganz normales Event, begonnen mit einem Kamelrennen und dann entsprechenden Auszeichnungen, Ehrenbezeigungen, Oden und Gedichten. Aber das ist hier normal, das ist nichts Außergewöhnliches, es gehört hier in diesen Kulturkreis hinein.
Dobovisek: Deutschland präsentiert sich auch auf diesem Kulturfestival. Kann man das sozusagen verstehen als Waffe der westlichen Aufklärung?
Schulz: Waffen, glaube ich, gibt es hier schon genug. Wir sollten nicht noch mehr Waffen in die Region bringen. Aber natürlich ist der Kulturbereich ein ganz wichtiger Bereich, der durchaus aus der Sicht unserer saudischen Partner, aber auch der Partner im Iran einen sehr hohen Stellenwert hat. Deutsche Kultur, Wissenschaft, Kunst hat hier durchaus einen sehr hohen Stellenwert, und man sollte das nicht unterschätzen. Es sollte immer wieder zielgerichtet eingebracht werden.
"Was hätten wir für eine andere Möglichkeit, als zu sprechen?"
Dobovisek: Massenhinrichtungen politischer Gegner, Steinigungen junger Frauen, Peitschenhiebe für Blogger, Unterstützung des islamistischen Terrors - für viele westliche Politiker ist Saudi-Arabien eine No-go-Area. Statt zu sanktionieren, liefert Deutschland Gewehre und Panzer. Haben Sie dabei Bauchschmerzen als Kulturschaffender?
Schulz: Ja, Bauchschmerzen hat man immer, das ist richtig. Die Frage muss man stellen. Nur, was ist die Alternative? Ich bin in dieser Region seit etwa 1975 unterwegs, habe sehr lange Erfahrung, glaube ich, hier, und sehr viele Krisen und Zeiten durchlebt, und ich glaube, es war nie falsch, den Gesprächsfaden beizubehalten, und es war nie falsch, Kontakte auch trotz verschiedener Entwicklungsprobleme der Beziehungen zwischen den Ländern nicht einschlafen zu lassen. Die Alternative wäre Funkstille, die Alternative wäre unter Umständen Abbruch oder noch stärkerer Abbruch der Gespräche zu Syrien. Ich glaube, jede Minute, die wir hier gewinnen, die in Syrien Menschenleben vielleicht doch rettet, ist durchaus insgesamt auch für mich persönlich oder moralisch gesehen ein Gewinn und kein Verlust.
Dobovisek: Können Sie die Kritik an der Reise nachvollziehen?
Schulz: Nur zum Teil. Ich glaube, die politischen Parteien, die aus der Opposition heraus kritisieren, die müssen das tun, das ist ihre Pflicht als Opposition, und insofern ist das auch korrekt und soll auch möglich sein. Aber man muss sich, glaube ich, auch damit beschäftigen, welche Alternativen es gibt. Was hätten wir für eine andere Möglichkeit, als zu sprechen? Ich glaube, aus dieser Sicht heraus ist es wichtig, diese Kontakte, die wir hier gepflegt haben, nicht nur in Saudi-Arabien, sondern auch im Iran, zu nutzen, und zwar offensiv zu nutzen, um den Prozess der Eindämmung der Konflikte voranzubringen. Ich meine, in meinem Leben als Arabist war die Situation, glaube ich, noch nie so kompliziert in der Region wie gerade jetzt. Auch die Lage in dieser Golfregion ist fragil, und insofern sollte man alles tun, um nicht noch weitere Konflikte hier zu befördern. Wir haben noch mehr Elend zu reduzieren, und das Problem [unverständlich] der Flüchtlinge, was wir haben, noch weiter damit zu verschärfen.
"Deutschland hat hier einen sehr hohen Stellenwert"
Dobovisek: Das klingt ja alles wie eine große Spirale der Gewalt, es verschärft sich immer weiter, gerade die Beziehungen zwischen dem Iran und auch Saudi-Arabien. Die diplomatischen Beziehungen wurden erst in diesem Monat komplett abgebrochen. Was kann dieses Schweigen aufbrechen?
Schulz: Das Schweigen aufbrechen kann nur Reden und versuchen - wir haben ja Teheran und Riad besucht und wir versuchen unsere Möglichkeiten, diese Gesprächsfäden, die nur zum Teil gerissen sind, wieder aufzunehmen und auch unseren Beitrag zu leisten, dass zwischen diesen beiden Ländern, die in dieser Region wichtige Regionalmächte sind, diesen Gesprächsfaden nicht vollkommen reißen zu lassen. Und da haben wir ja gewisse Möglichkeiten, Deutschland hat hier einen sehr hohen Stellenwert. Es ist durchaus nicht so, dass hier nur die Russen und Amerikaner entscheiden, was hier passiert, sondern auch andere Mächte sind hier durchaus einflussreich und man sollte versuchen, unsere Möglichkeiten, auch wenn sie nicht in gleicher Größe liegen, einzusetzen, um Schritte zu tun, um diesen Konflikt einzudämmen zumindest.
Dobovisek: Eckehard Schulz von der Universität Leipzig, gerade unterwegs in der Delegation des Bundesaußenministers in Saudi-Arabien. Vielen Dank für das Gespräch!
Schulz: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.