
Wenn sich größere Teile der Wählerschaft von den regierenden Parteien abwendeten und die Union als größte Oppositionspartei davon nicht profitiere, dann werfe das Fragen auf, erklärte der Bundespräsident. Die regierenden Parteien müssten sich fragen - und das täten sie auch-, ob sie die richtigen Themen und die richtige Art der Kommunikation gewählt hätten. Allerdings dürfe man auch nicht "jede kritische Frage automatisch gleich als Rechtsextremismus oder Populismus" einordnen.
Steinmeier betonte, viele Menschen hätten das Bedürfnis nach Antworten, etwa darauf, was aus dem Arbeitsplatz werde, wie sich die Inflation entwickele, ob wir uns im Ukraine-Krieg richtig positionierten oder mit Blick auf die Flüchtlingsbewegung an Europas Grenzen. Es gehe darum, wieder zu lernen, "demokratischen Streit miteinander zu führen, ohne in Hass und Hetze auszubrechen", sagte der Bundespräsident. "Wir dürfen das Geschäft der Angstmacher in dieser Gesellschaft nicht noch weiter fördern", betonte er. Gebraucht würden "Problemlöser".
Klingbeil räumt Fehler der Ampel ein, kritisiert aber auch die Union
Der SPD-Vorsitzende Klingbeil warnte vor einer Normalisierung rechten Gedankenguts. Als Demokraten müsse man aufpassen, dass rechtsextreme Erzählungen nicht in der Mitte einer inzwischen ermüdeten Gesellschaft ankämen, sagte Klingbeil dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland". So sei das Land seit drei Jahren im Krisenzustand durch Pandemie, Krieg in Europa, Energiekrise und Inflation. Dass die Leute Zukunftsängste hätten, sorge nun dafür, dass ein Nährboden für Populismus entstehe, wie ihn die Rechtsextremen verbreiteten. Zugleich räumte Klingbeil ein, dass die Zerstrittenheit der Ampelkoalition zur Verunsicherung der Menschen geführt habe. Aber dazu trage auch die Union bei, weil sie sich mehr mit der Frage ihrer Kanzlerkandidatur oder "irgendwelchen Identitätsdebatten" beschäftige als mit wirksamen Alternativen zur AfD.
Merz und Weber betonen Abgrenzungen zur AfD
Der CDU-Vorsitzende Merz sprach in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von einer bedrohlichen Entwicklung und einem Angriff einer rechtsnationalistischen Partei auf die Institutionen und fügte hinzu. "Ich glaube, dass wir alle eine hohe Verantwortung haben. Deshalb habe ich dafür geworben, dass wir uns in den zentralen politischen Fragen einigen. Das ist mit dieser Koalition leider bisher nicht möglich gewesen. Bei der Ablehnung der Koalition des Untersuchungsausschusses zur Scholz/Warburg-Affäre werden ja sogar die Minderheitenrechte des Parlaments nicht mehr geachtet. Wenn die Bürger sich das so anschauen, dann brauchen wir uns alle über Ausweichreaktionen zu radikalen Parteien nicht zu wundern."
Der CSU-Europapolitiker Weber schloss jede Zusammenarbeit der Unionsparteien mit der AfD aus. Er sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, die AfD wolle das zerstören, wofür CDU und CSU immer eingetreten seien. Deswegen sei sie nicht nur politischer Wettbewerber, sondern Gegner und Feind. Weber kündigte an, den Kampf gegen die AfD ins Zentrum des Wahlkampfs zur Europawahl im nächsten Jahr zu stellen.
Lang warnt vor Schuldzuweisungen
Grünen-Ko-Chefin Lang sprach in der "F.A.Z." von einer wirklich sehr ernsten Lage. "Jeder sollte schauen, welchen Anteil er trägt, und die Schuld nicht nur bei anderen suchen. Ich sehe für uns die Aufgabe, mehr Sicherheit zu geben. Es ist natürlich zu platt zu sagen: Wer wenig Geld hat, wählt radikal. Aber Unsicherheit in sozialen und wirtschaftlichen Fragen bildet den Nährboden für radikale Parteien. Das sehen wir im Osten besonders stark. Meine Frage an die Union ist, ob man aus dieser Unsicherheit einen rechten Kulturkampf machen sollte, wie ihn die AfD betreibt."
Diese Nachricht wurde am 10.07.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.