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Steinmeier: Stabilitätsmechanismus wird nicht kippen

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier geht davon aus, dass die Regelung zum europäischen Rettungsschirm vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird. Die Überprüfung des Gesetzes sei ein relativ selbstverständlicher Vorgang.

Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Und sie bewegt sich doch, die Opposition. Nach Wochen des "Nein!" und des "Ja, aber" haben SPD und Grüne nun "Ja" gesagt zum Fiskalpakt. Das Regelwerk zur Schuldenbegrenzung in 25 von 27 EU-Staaten kann damit ebenso wie der dauerhafte Eurorettungsschirm ESM am 29. Juni vom Bundestag gebilligt werden. Das zeichnete sich ab, ganz und gar nicht erwartet wurde gestern eine Wortmeldung aus Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht bittet den Bundespräsidenten, wegen der angekündigten Klagen die gesetzlichen Regelungen zum Pakt und zum Schirm vorerst nicht zu unterschreiben.
    Vor einer Stunde haben wir das folgende Gespräch mit Frank-Walter Steinmeier aufgezeichnet, dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Steinmeier!

    Frank-Walter Steinmeier: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Steinmeier, wann wird der ESM voraussichtlich in Kraft treten?

    Steinmeier: Das kann ich Ihnen natürlich auch nicht mit letzter Gewissheit sagen. Zu vermuten ist nur, dass er nicht wie geplant zum 01. Juli in Kraft treten kann. Das ist das Datum, zu dem sich die Mitgliedsstaaten der Eurozone vereinbart hatten. Das Bundesverfassungsgericht hat um eine Prüfungszeit von zwei bis drei Wochen gebeten, selbstverständlich wird der Bundespräsident auf diese Bitte eingehen, und deshalb rechne ich damit, dass es jedenfalls nicht vor Mitte Juli der Fall sein kann.

    Heinemann: Rechnen Sie damit - Sie sind Jurist -, dass der ESM in Karlsruhe scheitern könnte?

    Steinmeier: Aus der Bitte des Bundesverfassungsgerichts, ausreichend Zeit zur Prüfung zu haben, würde ich das nicht schließen. Das ist ja ein relativ selbstverständlicher Vorgang, der sich aus den bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes auch ergibt, dass man in Karlsruhe sehr genau prüft, ob die Politik insgesamt die verfassungsrechtlichen Grundsätze beachtet hat, insbesondere die Beteiligung des Parlamentes berücksichtigt hat. Darauf legt ein Fraktionsvorsitzender einer Oppositionspartei besonders viel Wert, wie Sie sich vorstellen können. Und deshalb kennen wir aus den zurückliegenden Entscheidungen natürlich die Grundsätze, mit denen das Bundesverfassungsgericht an diese Abstimmung über den Europäischen Stabilitätsmechanismus herangeht. Aber ich rechne, wenn Sie mich so fragen, nicht damit, dass der Mechanismus insgesamt gekippt wird.

    Heinemann: Eine Klägerin ist Herta Däubler-Gmelin, die frühere Bundesjustizministerin, Ihre Parteifreundin (SPD). Sie befürchtet, dass der Fiskalpakt und der ESM die Demokratie aushöhlen und dem Bundestag die Finanzhoheit nehmen und diese eben nach Europa verschieben könnten. Wie schwer wiegen diese Bedenken?

    Steinmeier: Mit den Bedenken müssen wir uns auseinandersetzen und es wäre sträflich, wenn wir es in der Vergangenheit nicht getan hätten, und Sie sehen ja auch schon an der nicht ganz einfach zu entscheidenden Frage, mit welchen Mehrheiten der Deutsche Bundestag abstimmt, dass das auch für die Parlamentarier im Deutschen Bundestag eine der entscheidenden Fragen war. Wir haben das intern diskutiert, haben die Bundesregierung aufgefordert, sich rechtsgutachterlich beraten zu lassen; herausgekommen ist die Notwendigkeit - immerhin ein seltener Fall - einer Zweidrittelmehrheit bei der Abstimmung über den Fiskalpakt.
    Zweifel hatten wir auch bei der Abstimmung über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, ob hier die einfache Mehrheit ausreicht. Das war nach der bisherigen Rechtsauffassung der Bundesregierung so. Wir haben sie jetzt noch mal aufgefordert, mit Blick auf die letzten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes diese Haltung zu überprüfen. Ich kann Ihnen jetzt noch nicht sagen, ob möglicherweise auch über den Europäischen Stabilitätsmechanismus mit Zweidrittelmehrheit abgestimmt werden muss, aber ich schließe es inzwischen auch nicht mehr aus.

    Heinemann: Könnten Sie uns, Herr Steinmeier, zwei oder drei ganz konkrete Maßnahmen zur nachhaltigen und dauerhaften Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit nennen?

    Steinmeier: Eines haben wir aufgeschrieben in diesem Verständigungspapier zwischen Opposition und Bundesregierung, und ich sehe auch Chancen dafür, dass sich das auf dem europäischen Gipfel durchsetzt, nämlich eine Verpflichtung aller Mitgliedsstaaten der Eurozone, möglichst aller 27, den Jugendlichen, die die Schule verlassen, möglichst schnell ein qualifiziertes Aus- und Weiterbildungsangebot zu machen. Das ist ein Weg, den wir in Deutschland ja auch gegangen sind, und das ist eine Verpflichtung, die aus meiner Sicht auch europaweit von den Staaten, von der Politik in den jeweiligen Staaten auf sich genommen werden muss, unabhängig davon ...

    Heinemann: Entschuldigung! Was haben die Jugendlichen davon? Die Politik kann doch keine Arbeitsplätze schaffen.

    Steinmeier: Ja. Ganz so schlicht klingt Politik auch nicht, wie Sie jetzt unterstellen, sondern natürlich hängt die Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit davon ab, ob das Wachstum in ganz Europa abbricht oder nicht. Das ist ja die Kernfrage, über die wir bei den Verhandlungen über den Fiskalpakt immer wieder gestritten haben. Wenn wir sozusagen nur auf die eine Säule setzen, Einsparung und Haushaltsdisziplin, dann birgt das Risiko, dass Europa in die Rezession geht. Das ist ja in vielen Teilen Europas bereits der Fall, nicht nur in den südlichen Staaten, sondern auch in unserem Nachbarland, den Niederlanden etwa. Deshalb haben wir gesagt, ein Teil, der auch den Jugendlichen zugutekommt, ist zu versuchen, diese Rezessionsgefahren aufzuhalten und denen mit Wachstumsmaßnahmen, Arbeitsplatz erhaltenden und Arbeitsplatz fördernden Maßnahmen entgegenzuwirken. Das muss Teilbestand einer Politik sein, und ich sage immer, ziehen sie doch ein paar Lehren aus dem letzten Jahrzehnt, in dem sich unser eigenes Land auch zweimal aus einer tiefen wirtschaftlichen Krise hat befreien müssen. Auch dort haben wir immer gesagt, Haushaltsdisziplin ist eine Säule der Krisenbewältigung, die andere Säule müssen wachstumserhaltende Maßnahmen sein. Ich glaube, das ist etwas, was wir jetzt auch bei der Bewältigung der europäischen Krise mit in unseren Erfahrungshorizont einbeziehen sollten.

    Heinemann: Herr Steinmeier, Sie haben die Finanztransaktionssteuer angesprochen. Die trifft natürlich auch Banken, die an der Börse handeln, und die werden die Belastungen garantiert an die Kunden weitergeben. Am Ende des Tages zahlen also die Bürgerinnen und Bürger Ihre Finanztransaktionssteuer.

    Steinmeier: Wenn der Gegenschluss jetzt wäre, dass man die Finanzmärkte unbeteiligt lässt an der Bewältigung der Krise, dann kann ich Ihnen nur sagen, da befinden Sie sich, glaube ich, nicht in Übereinstimmung mit der Erwartung der Mehrheit der Bürger. Im Gegenteil! Es ist doch so, dass die Menschen empört sind über die Ungerechtigkeit, die darin liegt, dass immer wieder und nur der Steuerzahler herangezogen wird, sondern wir haben jetzt Möglichkeiten und Tore geöffnet, dass auch die Finanzmärkte selbst mit an den Kosten der Krisenbewältigung beteiligt werden. Das ist der richtige Weg und ich lasse mich da auch nicht davon abbringen von den Lobbyisten, die uns gegenwärtig in Berlin besuchen und uns vom Gegenteil überzeugen wollen.

    Heinemann: Ihr Unionskollege Volker Kauder hat gesagt, eine Vergemeinschaftung der Schulden durch einen Schuldentilgungsfonds oder Eurobonds habe verhindert werden können. Sollten sich die Bürgerinnen und Bürger bei der Bundesregierung bedanken?

    Steinmeier: Dazu sehe ich jedenfalls keinen Anlass, weil es natürlich zu kurz gegriffen ist, wenn über solche Instrumente die Vergemeinschaftung von Schulden verhindert werden soll. Es ist ja im Gegenteil so: Solange die Politik nicht handelt, übertragen wir die gesamte Verantwortung einer Institution wie der Europäischen Zentralbank. Die Europäische Zentralbank gibt den Finanzmärkten Liquidität und nimmt Sicherheiten dafür herein, von denen wir jedenfalls nicht wissen, ob sie alle wieder einbringliche Sicherheiten sind. Das ist eine Form der Vergemeinschaftung von Schulden, die in den letzten zwei Jahren auch aufgrund der Haltung der Bundesregierung stattgefunden hat. Deshalb ist es eine schlichte Unwahrheit, dass Vergemeinschaftung von Schulden erst dann stattfindet, wenn man sich zu neuen, sehr langfristig wirkenden Instrumenten wie etwa einem Schuldentilgungsfonds widmet. Aber das hat die Öffentlichkeit inzwischen, glaube ich, auch gespürt.

    Heinemann: Können Sie garantieren, dass die sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten dem Fiskalpakt und dem ESM zustimmen werden? Die Fraktion hält sich ja neuerdings nicht immer an das, was Sie ihr empfehlen.

    Steinmeier: Die sozialdemokratische Fraktion besteht aus 146 frei gewählten Abgeordneten, die nur ihrem Gewissen verantwortlich sind, und jeder von ihnen will überzeugt werden. Aber nach den Verhandlungen, die wir jetzt hinter uns haben mit der Bundesregierung, trete ich jedenfalls oder kann ich vor die Fraktion treten und ihr guten Gewissens empfehlen, nicht dem Fiskalpakt, aber der Veränderung des Fiskalpaktes durch ergänzende wachstumspolitische Instrumente, durch eine Besteuerung der Finanzmärkte, mit Blick darauf kann ich empfehlen, dem jedenfalls zuzustimmen.

    Heinemann: Darüber werden Sie, Herr Steinmeier, mit Ihren Fraktionskollegen vermutlich nicht heute Abend um 20:45 Uhr sprechen. Frage an den Fußballfachmann: Mit welchem Ergebnis des Spiels Griechenland-Deutschland rechnen Sie heute Abend?

    Steinmeier: Ja. Gefiebert haben wir in den letzten Tagen aus anderen Gründen und bezogen auf die Krise in Europa werden wir es wohl auch weiterhin tun müssen. Aber heute Abend in der Tat 20:45 Uhr werde ich mir das Spiel ansehen und ich sage, das wird 3:1 enden für Deutschland.

    Heinemann: Wie schießt man Tore, wenn elf Verteidiger im Strafraum stehen?

    Steinmeier: Ja, ein bisschen kompliziert. Aber ich meine, die deutsche Mannschaft hat nach misslungener Generalprobe sich von Spiel zu Spiel verbessert, und ich sehe auch, sie werden Instrumente und Hebel finden gegen eine sehr defensiv eingestellte griechische Mannschaft.

    Heinemann: Wir wünschen Ihnen ein schönes Spiel, das ist zugegebenermaßen kein ganz uneigennütziger Wunsch. Frank-Walter Steinmeier, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Steinmeier: Danke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.