Doris Schäfer-Noske: Unsere Sendereihe über die Erschließung von Kunst in Depots führt uns heute nach Nürnberg. Dort lebten um das Jahr 1500 mehrere Künstler, deren Namen man bis heute kennt. Der berühmteste von ihnen ist Albrecht Dürer. Aber auch Veit Stoß und Adam Kraft haben in Nürnberg ihre Spuren hinterlassen. Von Kraft gibt es zum Beispiel eine Plastik, die ihn selbst hockend vor dem Sakramentshaus der St. Lorenz Kirche zeigt mit Arbeitsschürze, Meißel und Schlegel. Dieses Selbstbildnis ist bis heute zu besichtigen; den Kreuzweg von Adam Kraft kann man dagegen zwar anschauen, man erkennt aber nicht mehr viel. Mit Unterstützung der Initiative "Kunst auf Lager" sollen die Stein-Reliefs des Kreuzweges nun wieder lesbar gemacht werden. Das Geld dafür kommt von der Ernst von Siemens Stiftung. Frage an Frank Matthias Kammel, Sammlungsleiter am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg: Herr Kammel, wofür hat denn Adam Kraft diese Stein-Reliefs geschaffen?
Frank Matthias Kammel: Diese sieben Steinreliefs, die man sich zunächst mal sehr groß vorstellen muss - die sind etwa 1,70 Meter breit und 1,50 Meter hoch -, sind geschaffen worden für einen Kreuzweg, der aus der Stadt herausführte. Die waren in großen Stelen eingemauert in Abständen. Und das Interessante dabei ist, dass diese Abstände genau den Maßangaben entsprachen, die man von der Via Dolorosa aus Jerusalem kannte, dass man also, wenn man diesen Kreuzweg ablief als frommer Mensch, den realen Weg Christi auf seinem Leidensweg von den Stadtmauern von Jerusalem bis zur Schädelstätte Golgota nachlaufen konnte.
Schäfer-Noske: Wer hat denn dieses Projekt der sieben Steinreliefs in Auftrag gegeben, Herr Kammel?
Kammel: Man muss dazu sagen, dass Adam Kraft mit seinem Kreuzweg mit diesen sieben Stationen einer der ersten war, der so etwas im deutschsprachigen Raum in der Zeit um 1500 geschaffen hat. Es gibt nachweisbar nur drei Vorgänger: 1493 in Lübeck, 1503 in Bamberg und 1504 in Görlitz. Und solche Dinge kamen natürlich von Jerusalem-Pilgern, die die historischen Stätten der Passion Jesu kannten, und insofern war einer wahrscheinlich der bedeutenden Patrizier Nürnbergs der Auftraggeber dieses Kreuzwegs von Adam Kraft. Wer konnte damals schon ins Heilige Land reisen? Allerdings kennen wir den Namen leider nicht.
"Die Sandsteinoberfläche ist abgewittert"
Schäfer-Noske: Wie sind denn diese sieben Steinreliefs dann in den Besitz des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg gelangt?
Kammel: Die Steinreliefs sind, wie relativ viele andere Steinskulpturen in Nürnberg, begonnen worden, Ende des 19. Jahrhunderts durch Kopien zu ersetzen. Das erste Steinrelief aus dieser Serie kam 1879 ins Germanische Nationalmuseum, das letzte in den 1950er-Jahren. Die wurden sukzessive ausgetauscht. Und das hat etwas damit zu tun, dass man Ende des 19. Jahrhunderts sehr schnell begriffen hat, dass der saure Regen, der durch die Industrialisierung kam - Nürnberg war ja eine enorme Industriestadt mit einer enormen Luftverschmutzung Ende des 19. Jahrhunderts -, die Steinskulptur, insbesondere die mittelalterliche und frühneuzeitliche, enorm schädigt.
Schäfer-Noske: Das heißt, die sind zurzeit in der im Museum integrierten Kartäuserkirche zu sehen. Allerdings kann man wenig erkennen, denn sie sind schwer beschädigt. Was sind denn die Schäden genau?
Kammel: Die Stücke sind eingemauert worden in den Wänden der Kartäuserkirche, sodass man sie dort geschützt hat vor Verwitterung. Aber die Schäden, die natürlich entstanden sind, vor allen Dingen die letzten Jahrzehnte ihrer Aufstellung im Außenraum, haben enorm dazu beigetragen, dass die Sandsteinoberfläche abgewittert ist. Sie hat dazu beigetragen, die Witterung, dass von der farbigen Fassung, die ursprünglich und vielleicht auch bei Restaurierungen in der frühen Neuzeit auf dem Stein lag, nur noch in minimalen Sequenzen erkennbar ist. Und vor allen Dingen zeigen diese Steinreliefs heute eine Oberfläche, die durch verschiedene Restaurierungen, wir müssten vielleicht eher sagen Erneuerungen im 17., 18., auch wahrscheinlich frühen 19. Jahrhundert stark gelitten haben, weil man dort Mittel eingesetzt hat, die dem Stein nicht unbedingt gut getan haben.
Schäfer-Noske: Wie äußert sich das, was sieht man da?
Kammel: Was man zunächst heute einmal sieht ist, dass diese sieben Reliefs sämtlich einen jeweils unterschiedlichen Zustand aufweisen. Das hat etwas damit zu tun, dass sie zu unterschiedlichen Zeiten ins Museum kamen, vielleicht auch an unterschiedlichen Orten, jeweils von der Wetterseite oder nicht Wetterseite beeinträchtigt worden sind. Dazu kommt, dass es natürlich eine ganze Reihe von Ausbrüchen gibt, dass es Verfärbungen gibt, dass eines der Reliefs wahrscheinlich mit einer ölhaltigen Flüssigkeit getränkt worden sein muss. Wir können im Moment noch nicht genau sagen, ob das eine Restaurierung des 17. Jahrhunderts war, die wir quellenkundlich nachweisen können, oder eine spätere. Alles das muss das Projekt schließlich auch an Erkenntnissen neu bringen. Aber es ist vor allen Dingen ein Erscheinungszustand, der die Figurengruppen, die Szenen, die dort dargestellt sind, heute für den Laien außerordentlich schwer lesbar machen, neben der Tatsache, dass sich natürlich weiterhin Schollen bilden. Das heißt, dass Steinverluste auch weiterhin zu erwarten sind, weil die Langzeitwirkungen von Verwitterung und vor allen Dingen falschen Restaurierungsmaßnahmen natürlich nicht gestoppt sind, sobald die Dinge unter Dach stehen.
"Das große Ziel ist die Wiederlesbarmachung dieses Ensembles"
Schäfer-Noske: Was wird denn da jetzt konkret gemacht mit diesen Reliefs und wie machen Sie das, wenn Sie diese Reliefs restaurieren?
Kammel: Wir haben zunächst mal eine Analyse in Auftrag gegeben, die uns neben der kunsthistorischen Erforschung zunächst mal sagt, was dringend an diesen Stücken gemacht werden muss, bis zu der Tatsache, was wünschenswert ist. Und das sind eigentlich drei große Schritte: Das eine ist die Bestandserhaltung. Das heißt, dort, wo der Stein droht, weiter kaputt zu gehen, das heißt, sich Schollen vom Stein lösen, weiterhin erhaltend einzugreifen. Der zweite Punkt ist die Restaurierung, und das große Ziel der Restaurierung ist die Wiederlesbarmachung dieses Ensembles als Ensemble. Das heißt: Schäden beseitigen, die durch falsche Restaurierungsmethoden der letzten 200, 300 Jahre entstanden sind, Verfärbungen zu entfernen, Vermörtelungen, die man unsachgemäß gemacht hat, zu ersetzen, weil sie möglicherweise durch den falschen Mörtel, den man angewandt hat, falsche Kittungen, sogar eine Sprengkraft auslösen, die Steinstücke sozusagen gegeneinander verspannt und deswegen die Gefahr besteht, dass auch hier weitere Schäden auftreten.
Und der dritte Punkt ist eigentlich die kunsttechnologische Untersuchung, die natürlich für den Kunsthistoriker besonders spannend ist, weil zum einen weitere Erkenntnisse erwartet werden über die Restaurierungs- und damit auch Rezeptionsgeschichte, und zum anderen auch - ich erwähnte es schon - wissen wir aus Quellen, dass diese großen Reliefs farbig gefasst worden sind. Wir haben heute mit den Augen kaum noch erkennbar, aber durch technische Hilfsmittel schon Ansätze dazu, dass wir Farbspuren erkennen können, und das wäre natürlich interessant, wenn wir rekonstruieren könnten - nicht am Stück, aber dann zumindest medial -, wie man sich diese Großreliefs in der Zeit der Entstehung, also Anfang des 16. Jahrhunderts, denn farbig vorstellen muss.
Schäfer-Noske: Das heißt, was wird dem Ganzen eigentlich hinzugefügt? Sie tragen ab das, was zu viel gemacht, falsch gemacht worden ist. Sie setzen Materialien zur Konservierung ein, um diesen Urzustand noch länger zu erhalten. Und fügen Sie dann überhaupt irgendetwas dem Ganzen hinzu, oder fließt das alles ein in die mediale Aufbereitung?
Kammel: Zunächst mal nehmen wir wirklich vieles weg. Wir versuchen, Versinterungsschichten - das sind Schichten, die sich auf den Stein gelegt haben, Reaktionsschichten dieses Steins mit Bestandteilen aus der Luft, die schwarze Schichten bilden, die nicht nur einfach schwarz sind, sondern die eine richtige reliefartige Oberfläche wenn man das unter dem Mikroskop sieht, meint man, in ein großes Gebirge zu schauen - gebildet haben -, die nehmen wir zunächst mal ab. Wir nehmen sehr viele Dinge weg, die vielleicht aus unserer Sicht zumindest falsch gemacht worden sind, den Versuch zumindest, aus dem Stein etwa ölhaltige Substanzen, mit denen man versucht hat, ihn zu festigen, wieder herauszubekommen. Wir nehmen Vermörtelungen einzelner Teile weg. Wenn wir so etwas wegnehmen, müssen wir natürlich etwas wieder einfügen, um die Haltbarkeit a) und b) die Lesbarkeit des Reliefs wiederherzustellen. Aber dafür werden wir Materialien verwenden mit dem großen Überbegriff "reversibel", also alles das kann man ohne Schäden wieder rückgängig machen.
In Teilen wird das im Projekt selber erst passieren, dass wir genau analysieren, was ist das jetzt, was wir da haben, und was können wir dann einsetzen, damit wir zum Beispiel nicht jetzt ein Mittel einsetzen, das vielleicht mit einem Mittel, das vor 100 oder 150 Jahren eingesetzt worden ist, noch im Stein, in den Poren drinsteckt, zu einer Reaktion führt, von der wir heute augenscheinlich gar nichts merken würden, aber in 10 oder 20 Jahren plötzlich eine Verfärbung merken. Das wird sich alles Hand in Hand entwickeln. Das sind Erfahrungen, die wir auch aus den letzten Jahren immer schon haben, dass es eine gute Methode ist, dass eigentlich die Kunsttechnologie und die Restaurierung, zusammen natürlich mit den historischen und den kunsthistorischen Versuchen, die Erkenntnis weiterzutreiben, Hand in Hand geht.
Schäfer-Noske: Das war Frank Matthias Kammel, Sammlungsleiter am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, über die Restaurierung des Kreuzwegs von Adam Kraft.
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