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Stephan Weil - SPD-Hoffnung für Niedersachsen

Er gilt als pragmatisch und gewissenhaft, und will CDU-Mann David McAllister als Ministerpräsident Niedersachsens ablösen: Stephan Weil positioniert sich für die Landtagswahl im Januar - und bekommt vom Ex-Ministerpräsidenten Gerhard Schröder tatkräftige Unterstützung.

Von Susanne Schrammar |
    Die Pferdekutschen stehen längst bereit vor dem Bümmerstedter Krug, einem reetdachgedeckten Gasthof im niedersächsischen Oldenburg. Gastgeber Helmut Fokkena, genannt Fokki, läuft ein wenig hektisch zwischen den Wartenden hin und her, sein Gesicht leuchtet rot vor Aufregung unter dem grauen Zylinder. Der Shanty-Chor stimmt ein weiteres Lied an. Denn noch kann es nicht losgehen mit dem traditionellen Ausmarsch bei Fokkis Weidenfest, der alljährlichen Kultfeier hier im Oldenburgischen. Einer der Ehrengäste steckt nämlich noch im Stau – Stephan Weil.

    "MANN: Kenn ich nicht. Stephan ... ?

    REPORTERIN: Weil

    MANN: Sagt mir nix. Oldenburger?

    MANN2: Kenn ich nicht.

    REPORTERIN: Keine Ahnung, wer das sein könnte?

    MANN2: Nein. FRAU: Kenn ich nicht. Müssen wir den kennen?

    MANN3: Weil. Weil. Stephan Weil – erzählen Sie mal eben, wer ist das denn?

    FRAU2: Oberbürgermeister von Hannover.

    MANN4: Und demnächst möglicherweise Ministerpräsident in Niedersachsen."

    Na, also – ein paar Oldenburger kennen ihn doch schon, den SPD-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl in Niedersachsen. Im 200 Kilometer entfernten Hannover ist Stephan Weil wesentlich bekannter. Dort führt der große schlanke Mann seit Jahren die Geschicke der Landeshauptstadt – zunächst als Stadtkämmerer und inzwischen als Oberbürgermeister. Nachdem ihn die sozialdemokratische Basis in Niedersachsen zum Spitzenkandidaten und Landesparteivorsitzenden gewählt hat, will der 53-Jährige nun - nach zwei Wahlperioden unter Schwarz-Gelb - den niedersächsischen Landtag und die Staatskanzlei für die SPD zurückerobern. Dafür reist der Vater eines erwachsenen Sohnes seit Monaten quer durchs Flächenland Niedersachsen.

    "Richtig bekannt wird man dann erst, wenn die Plakate stehen, also im Winter. Aber bis dahin bin ich eigentlich ganz zufrieden, muss ich sagen. Ich merke, da, wo ich bin, komme ich an. Die Leute, die sind mir gegenüber ganz offen – ich bin Langstreckenläufer, und dieser Wahlkampf ist auch als Langstreckenlauf angelegt."

    FRAUEN SINGEN: Besuch kommt aus Hannover zu uns hier nach Oldenburg ...

    Inzwischen ist Stephan Weil vor dem Bümmerstedter Krug angekommen, und Gastgeber Fokki platziert ihn in der ersten Kutsche – an der Seite der amtierenden Miss Germany.

    "FOKKI: Herr Weil, daneben bitte.

    WEIL: Dann hat sich die Anreise ja schon gelohnt.

    MISS: Ja, auf jeden Fall."

    Und los geht die Fahrt. Wer Stephan Weil kennenlernt, kann sich vorstellen, dass ihm als Stadtkämmerer der Umgang mit Zahlen und Fakten Spaß gemacht hat. Nicht nur der Scheitel im dunkelblonden Haar ist immer akkurat gezogen, der frühere Staatsanwalt und Richter macht einen höchst seriösen und aufgeräumten Eindruck, gilt als sorgfältig, kenntnisreich und ruhig. Manchmal wirkt der gebürtige Hamburger ein wenig spröde, doch mit seiner pragmatischen Art hat sich der 53-Jährige in der niedersächsischen SPD klar gegen einen Mitbewerber vom Typ "charmanter Schwiegersohn" durchgesetzt. Der Fußballfan punktet mit Authentizität, und ab und an blitzt auch der Schalk auf in den blauen Augen hinter der randlosen Brille: Stephan Weil hat einen trockenen Humor und ist bodenständig, ohne kumpelhaft anbiedernd zu sein – sagt Stefan Schostok, langjähriger Freund und Fraktionsvorsitzender der SPD-Landtagsfraktion.

    "Er ist sicherlich eine positive Autorität, man kriegt mit, wie schnell er sich entwickelt, weiterentwickelt, wie er lernt, wie gut vorbereitet er ist, wie langfristig er viele Sachen denkt und plant, ohne da unflexibel zu sein. Und als unmittelbarer Gesprächspartner ist er wirklich außerordentlich sympathisch und angenehm, weil er die Menschen im Positiven annimmt."

    "WEIL: Mensch, dann wünsch ich euch, dass ihr noch ne Bratwurst kriegt.

    MANN: Ja, das wünschen wir uns auch, wird wohl eng.

    FRAU: Anderthalb Stunden Wartezeit, bis wir vorne sind.

    WEIL: Da schließt man die besten Freundschaften in der Schlange."

    Politische Botschaften spielen für McAllisters Herausforderer, der bei der SPD eher in der Mitte als links angesiedelt ist, an diesem Abend keine Rolle. Doch für den kommenden Landtagswahlkampf stehen sie längst fest: Stephan Weil will zum Beispiel die Studiengebühren abschaffen, den Regionen in Niedersachsen mehr Mitspracherecht einräumen, setzt sich für Gesamtschulen ein, will ein atomares Endlager in Gorleben verhindern und verspricht – mit der Erfahrung als hannoverscher Oberbürgermeister - sich für den Fall eines Wahlsiegs beim Bund für die Belange der Kommunen stark zu machen.

    "Wir haben wirklich Jahrzehnte erlebt, wo nach und nach die kommunale Selbstverwaltung zurückreduziert worden ist, und das hat sich nicht gelohnt als unser Land. Ich bin zum Beispiel sicher, dass gut funktionierende und gut finanzierte Kommunen von sich aus schon für anständige Kinderbetreuung sorgen, da brauchen wir keinen Gesetzgeber für – eigentlich. Jetzt will ich aber gern zusammen mit anderen helfen, dass der Gesetzgeber merkt, was er an seinen Städten, Gemeinden und Landkreisen hat."

    Die nächsten sechs Monate wird Weil jede Gelegenheit nutzen, um für sich und die SPD in Niedersachsen zu werben. Dabei bekommt der Mann mit der kleinen Zahnlücke nicht nur Unterstützung von der Bundespartei – am kommenden Montag ist er mit Parteichef Sigmar Gabriel auf Sommerreise – auch Familie Schröder ist in den Weil'schen Wahlkampf involviert. Altkanzler Gerd Schröder kehrt für einige gemeinsame Termine auf die politische Bühne zurück. Und Doris Schröder-Köpf, die erstmals für den niedersächsischen Landtag kandidiert, wird in Hannover klammheimlich bereits als künftige Sozialministerin gehandelt. Nach seinem Auftritt bei Fokkis Weidenfest gestern Abend ist Stephan Weil zufrieden. Dort kennen sie ihn jetzt, fürs nächste Jahr haben sie ihn wieder eingeladen. Dann will er schon als Ministerpräsident wiederkommen.

    "Ich hab den Eindruck, wir liegen sehr gut im Rennen, und ich arbeite hart daran, dass sich das nicht ändert."