Die Mutter von Isabell Spilker war an Krebs erkrankt. In der Klinik wurde versucht, ihren Tumor zu entfernen. Danach musste sie zur Reha:
"Das war schrecklich, weil man gar nicht reindurfte; und mir ist es dann auch nur gelungen, das wenigstens zu ihrem Geburtstag unter wirklich Bitten und Betteln bei der Klinikleitung zu erwirken, dass wir uns in einem Raum sehen können, eben einfach mit dem Wissen, das wird ihr letzter Geburtstag sein."
In zehn Wochen Reha-Aufenthalt ein einziger Besuch bei der schwerkranken Mutter. Eine Erfahrung, die Gabriele Kahl kennt. Sie ist Leiterin im evangelischen Uhlhorn-Hospiz in Hannover. Oft rufen Menschen bei ihr an, deren Angehörige im Krankenhaus liegen.
"Was wir erleben an Beratungstelefonaten: Es geht darum, weil sie nicht in die Kliniken dürfen, nicht zu Besuch kommen; sie haben ihren Angehörigen zwei Wochen nicht gesehen, dass sie verzweifelt sind und hier anrufen: Wie ist Ihre Besuchssituation?"
Die Anmeldungen vervielfachen sich
Diese Erfahrung macht auch das katholische "Hospiz Luise", berichtet die Krankenschwester und Traumapädagogin Nicole Friederichsen.
"Wir haben ein Aufnahmemanagement im Hospiz Luise; und die haben eine deutliche Veränderung festgestellt in der Anfragesituation. Also, es ist wirklich nach oben geschossen, was private Anfragen von Menschen angeht für Patentinnen für die Aufnahme; und die rufen einfach an und bitten darum, dass sie hierherkommen, weil sie wissen, hier dürfen sie besuchen und hier können sie sehen, was mit den Angehörigen passiert und hier haben sie die Möglichkeit, Abschied zu nehmen."
Die Voraussetzungen, in einem Hospiz aufgenommen zu werden, sind streng geregelt. Erst wenn auch eine häusliche Betreuung sehr schwierig wird und der Patient sterbenskrank ist, kommt ein Hospizaufenthalt in Frage. Doch einige Patienten, die vorher in einer Klinik waren, sind aufgenommen worden - etwa im Hospiz Luise, berichtet Nicole Friederichsen:
"Wenn man sich das vorstellt, dass jemand vorher im Krankenhaus gewesen war und dann hierhergekommen ist und das erste Mal wieder seine Familie gesehen hat, das ist auch für uns absolut berührend und eigentlich ist es für uns auch gar nicht vorstellbar, dass es so ist."
"Sie hat den ganzen Sommer auf der Terrasse verbracht"
Isabell Spilker, geschockt von den Erfahrungen mit den strikten Besuchsregelungen in der Reha, erzählt, wie es ihrer Mutter im hannoverschen Hospiz Luise erging:
"Wir sind ins Hospiz damals gefahren mit der Annahme, dass sie dort innerhalb der nächsten zwei, drei Tage versterben könnte; und sie ist dort dann wieder gut auf die Beine gekommen, was eben auch dem Gedanken geschuldet war, dass sie da auch unter ärztlichen Kontrolle auch wieder stärker war. Unter einer guten Versorgung."
Im Durchschnitt bleiben Patientinnen und Patienten rund drei Wochen in einem Hospiz, bis sie sterben. Bei der Mutter von Isabell Spilker, einer Patientin mit einem Hirntumor, waren es sechs Monate.
"Sie hat dann wirklich den ganzen Sommer auf der Terrasse des Hospizes verbracht. Ich glaube nicht, dass wir das Leiden verlängert haben. Ich glaube, dass es für sie auch eine schöne Zeit war."
"Unsere Mimik spielt keine Rolle"
Isabell Spilker durfte jederzeit zu ihrer Mutter. Je nach Hospiz können bis zu vier Angehörige und Freunde den Gast, wie der Patient hier oft genannt wird, besuchen. Doch Covid-19 macht sich natürlich auch im Hospiz bemerkbar, sagt Nicole Friederichsen.
"Eigentlich ist es so, dass wir eine Tischgemeinschaft hier haben, dass wir körpernah pflegen, dass wir hier auch umarmen, dass wir für die Menschen da sind; das ist alles unter Corona jetzt weggefallen. Die Menschen, die hier jetzt im Moment als Patienten sind, die leben hauptsächlich in ihren Zimmern, und das ist eine ganz schwierige Situation."
Zu Beginn der Pandemie waren vor allem ältere Ehrenamtliche vorsichtig und haben sich zunächst aus der direkten Mitarbeit im Haus zurückgezogen. Mittlerweile haben die meisten Haupt- und auch Ehrenamtlichen in den Hospizen zumindest die erste Corona-Impfung erhalten; allerdings werden Patientinnen und Patienten in Hospizen wegen des nahen Todes grundsätzlich nicht geimpft; die Besucher sind in der Regel auch nicht geimpft. Deshalb gilt weiterhin:
"Wir müssen uns beim Pflegen immer mit der Maske mit den Patientinnen beschäftigen und befassen; das heißt, unsere Mimik spielt überhaupt gar keine Rolle. Wir können zwar versuchen, mit den Augen zu lächeln, aber wenn sie sich vorstellen, dass da wer liegt, der im Sterbeprozess ist, der mit Medikamenten vielleicht eingeschränkt ist und versorgt ist - das macht schon ganz viel aus."
Die Einschränkungen erfordern Kreativität
So wie im Hospiz Luise gibt es auch im evangelischen Uhlhorn-Hospiz einige Einschränkungen. Leiterin Gabriele Kahl erinnert an Vor-Corona-Zeiten:
"Wir haben unendlich gern und viel gefeiert hier im Hospiz. Wir haben kleinste Anlässe genommen und davon eine richtige Feier gemacht, zusammen mit den Bewohnern, in der Wohnküche."
Oder im rund 30 Quadratmeter großen Wintergarten: Dort habe man dann für eine Andacht fünf Patienten mit ihren Betten hineingeschoben; es habe sich daraus oft ein schöner Nachmittag mit Gesprächen und Liedern entwickelt. Das sei momentan nicht möglich. Es sei nun immer wieder Kreativität gefordert. Zum Beispiel an Weihnachten.
"Da haben wir keine Andacht feiern können, haben das Klavier auf Rollwagen gestellt und sind mit dem Klavier in die Zimmer reingerollert und haben Klaviermusik gemacht und Texte verlesen. Da muss man anders kreativ sein, um das Leben zu feiern."
Ein langer Abschied
Trotz aller Einschränkungen – im Uhlhorn-Hospiz heißt es, der persönliche und hautnahe Kontakt zu den Nächsten sei für Patienten in der Phase am Lebensende oft das Wichtigste:
"Ganz ehrlich, der geht ins Zimmer und herzt seine Angehörige, weil sie seit 50 Jahren verheiratet sind, und die knuddeln miteinander, dann ist das gut so, dann ist das richtig so."
Für Isabell Spilker, deren Mutter fast ein halbes Jahr im Hospiz Luise lag, war es zentral, dass sie regelmäßig bei ihr sein konnte.
"Es war ein wahnsinnig langer Abschied, weil wochenweise immer ein ganz kleines bisschen weniger von ihr da war, aber das war ganz klar, wohin das führt."
Zum Schluss war mit der krebskranken Mutter nur noch eine Verständigung über die Augen möglich. Isabell Spilker sagt, sie habe von den Hospizmitarbeiterinnen jede Unterstützung bekommen. Am Wochenende habe sie auch im Zimmer ihrer Mutter übernachten können.
"Also, die Situation im Hospiz, die war nie belastend, der Fakt, dass meine Mutter stirbt, war belastend; aber dass sie das nun im Hospiz tut, das war nicht das Belastende. Das war eher das für uns alle Erleichternde, dass wir sie stets bestens aufgehoben wussten."
Im katholischen Hospiz Luise gilt unter Corona-Bedingungen eigentlich die Regel, dass jeweils nur ein Besucher am Bett des Patienten sitzen darf. Doch während in vielen Krankenhäusern Angehörige wegen der Covid-19-Infektionsgefahr noch nicht einmal in der Sterbephase zu den Patienten durften, ist das im Hospiz anders geregelt:
"Als es klar war, dass meine Mutter sterben wird, waren wir auch zu zweit da. Da war ihr Mann auch mit da. Ihr Mann und ich haben uns die ganze Zeit abgewechselt. Wir saßen wirklich zu zweit am Bett, und sie konnte so die Menschen um sich haben, die sie am meisten geliebt hat."