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Sterbehilfe
"Ärzte brauchen den Schutz ihrer Gewissensentscheidung"

Eine Neuregelung der Sterbehilfe sei sinnvoll, um Ärzte vor standesrechtlichen Sanktion zu schützen, sagte der CDU-Politiker Peter Hintze vor einer Bundestagsdebatte zu diesem Thema im DLF. Es sei untragbar, dass es teilweise wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen innerhalb eines Bundeslandes unterschiedliche Regelungen gebe.

Peter Hintze im Gespräch mit Bettina Klein | 02.07.2015
    Der CDU-Abgeordnete Peter Hintze.
    Der CDU-Abgeordnete Peter Hintze. (dpa / Karlheinz Schindler)
    "Ärzte brauchen den Schutz ihrer Gewissensentscheidung", sagte der CDU-Politiker Peter Hintze vor der Bundestagsdebatte über vier Gesetzentwürfe zum Thema Sterbehilfe im Bundestag im DLF. Sie müssten in diesem Fall vor Sanktionen geschützt sein.
    Er befürchte nicht, dass es zu einer Zunahme der Sterbehilfe komme oder dass Druck auf Patienten oder Angehörige ausgeübt werde, sagte Hintze. Sterbehilfe komme ohnehin nur dann zum Einsatz, wenn alle anderen Mittel versagt hätten. Es gehe nicht darum, ob ein Mensch sterbe, sondern wie. Sterbehilfe sei die Möglichkeit für den todkranken Patienten, um Hilfe zu bitten, wenn das Leiden nicht mehr zu ertragen sei, sagte Hintze. Es könne durchaus den Lebensmut stärken, wenn der Patient wisse: Der Arzt darf mir helfen zu sterben, wenn es gar nicht mehr anders geht. Grundsätzlich sei er der Überzeugung, dass Ärzte alles unternehmen, um dem Menschen den Schmerz nehmen, das Leben zu verlängern.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Der Bundestag beschäftigt sich heute in erster Lesung mit der Neuregelung der Sterbebegleitung. Verboten ist die Beihilfe zum Suizid ohnehin nicht. Viele Abgeordnete wollen allerdings der geschäftsmäßigen Ausübung der Sterbehilfe einen Riegel vorschieben. Es gibt nun verschiedene Entwürfe in unterschiedlichen Abstufungen des Verbotes oder der Erlaubnis der Suizidbeihilfe. Die vier Anträge reichen von der Erlaubnis für Sterbehilfe-Vereine - das ist der liberalste - über den ärztlich assistierten Suizid, das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe bis hin zum völligen Verbot.
    Am Telefon ist Peter Hintze (CDU). Er ist Vizepräsident des Deutschen Bundestages und Mitautor einer der vier Entwürfe. Guten Morgen, Herr Hintze.
    Peter Hintze: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Herr Hintze, in ihrem Entwurf geht es ja vor allen Dingen darum, dass Ärzte, die Beihilfe zum Suizid leisten, nicht mehr durch Sanktionen in ihrem Standesrecht bedroht sind, wie das ja bisher noch der Fall ist. Weshalb ist Ihnen das ausgerechnet so wichtig?
    Hintze: Ärzte, die eine Gewissensentscheidung treffen, einem totkranken Patienten beizustehen, dass er friedlich entschlafen kann, brauchen natürlich für sich den Schutz ihrer Gewissensentscheidung. Sie brauchen einen sicheren Rechtsrahmen. Und da ist die Situation in Deutschland sehr unterschiedlich. Mein Heimatland Nordrhein-Westfalen hat die Situation, dass das im Rheinland verboten ist, also in Düsseldorf verboten ist nach ärztlichem Standesrecht, in Westfalen unter bestimmten Bedingungen erlaubt, in Dortmund also erlaubt. Und eine solche unterschiedliche standesrechtliche Regelung, die ist natürlich für Ärzte beschwerlich, weil nun gar keiner weiß, wie ist die Rechtslage, und da wollen wir Rechtssicherheit schaffen. Wir wollen den Schutz der Gewissensentscheidung von Ärzten, die totkranken Patienten dabei helfen, friedlich zu entschlafen, wenn alle anderen Mittel der Medizin versagen, wenn die Palliativmedizin ans Ende kommt und wenn das Leid unerträglich wird, und wir wollen, dass sie den Schutz der Gewissensentscheidung auch vor möglichen standesrechtlichen Sanktionen bekommen.
    Klein: Wir haben gerade in dem kurzen Beitrag auch einen anderen Entwurf gehört. Dem werden wahrscheinlich die größten Chancen bei der Verabschiedung dann im Herbst vorhergesagt. Das ist der Entwurf unter anderem von der SPD-Abgeordneten Kerstin Griese. Dem geht es vor allen Dingen um das Verbot geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe. Weshalb stimmen Sie diesem Entwurf nicht zu? Was ist der Unterschied denn zu ihrem?
    Hintze: Keine Bevormundung durch Strafandrohung
    Hintze: Dieser Entwurf hat einen ganz schwerwiegenden Haken, und zwar deswegen, weil er mit dem Wort "geschäftsmäßige Sterbehilfe" etwas anspricht, was der normale Mensch versteht im Sinne, da geht es um Geld, da geht es um irgendwelche Organisationen, Vereine oder irgendwas. In Wahrheit ist der Rechtsbegriff geschäftsmäßig im Kern der Begriff der Wiederholung. Jeder, der wiederholt etwas tut, schon zweimal, kommt unter diese Strafandrohung. Ein Onkologe, ein Krebsarzt, oder ein Palliativmediziner, ein Schmerzmediziner, der in seinem Leben mehr als einem Menschen hilft, kommt schon unter die Strafandrohung dieses Griese-Entwurfes, und das finde ich ja ganz schrecklich. Das finde ich einen unglaublichen Rückfall, übrigens gegen die klare Mehrheit der Bevölkerung, die Selbstbestimmung als Kern der Menschenwürde wünscht.
    Und dieser Begriff - das muss in der Debatte deutlich werden - ist ein Begriff, der verschleiert, dass es hier auch um Bevormundung durch Strafandrohung geht. Stellen Sie sich mal vor, was es für eine Gewissensentscheidung für einen Arzt ist. Wenn er einmal hilft, weiß er, ich darf nie wieder ein zweites Mal helfen. Das ist doch abwegig. Ich finde, das ist ein Entwurf, der führt uns absolut in die mückigen Sümpfe, und ich glaube, wenn im Deutschen Bundestag das etwas klarer wird, dass dann doch die Entscheidung für die Gewissensfreiheit, die Mehrheitsentscheidung der Bevölkerung, der Schutz der Gewissensentscheidung von Ärzten und auch der Schutz der Selbstbestimmung der Patienten als Kern der Menschenwürde, dass der zum Durchbruch kommt. Ich bin optimistisch, dass wir im Laufe des Verfahrens durch die Anhörungen, durch die Debatten die Mehrheit für unseren Antrag bekommen. Das wäre nämlich ein ganz übler Rückfall, wenn wir hier wieder in die Strafandrohungstechnik hineingeraten.
    Klein: Herr Hintze, um das noch mal klarzustellen, auch für unsere Hörerinnen und Hörer. Dieser Antrag würde bedeuten, dass Ärzte, die mehrfach beim Suizid geholfen haben, sich strafbar machen. Bisher ist die Beihilfe ja nicht strafbar.
    Hintze: Genau!
    Klein: Weshalb ist denn überhaupt diese Neuregelung jetzt notwendig?
    Unsicherheit im Standesrecht beseitigen
    Hintze: Das ist eine sehr gute Frage. Es gibt ja eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die sagen, das brauchen wir gar nicht. Wir in unserem Entwurf lassen ja das Strafrecht so, wie es heute ist. Die Suizidbeihilfe bleibt straflos, egal wer sie macht. Unser Entwurf ist aus unserer Sicht deswegen sinnvoll, weil wir im Moment die Situation haben, dass jeder helfen darf, jeder Lehrer, jeder Verwaltungsangestellte, jeder Rundfunkmitarbeiter, dass aber für Ärzte ein Sonderrecht gilt, das in einigen Teilen Deutschlands die Sache erschwert, in anderen erleichtert. In Bayern zum Beispiel, sehr erfreulich, ist eine liberale Regelung, wo der Arzt eine solche Gewissensentscheidung treffen kann. Deswegen hat sich auch der Präsident der Bayerischen Ärztekammer freundlich zu einer solchen Regelung geäußert. In anderen Ländern ist es verboten in Deutschland. Diese Unsicherheit im Standesrecht, die wollen wir beseitigen.
    Aber das Strafrecht, das sollten wir so lassen. Ich halte von einer Verschärfung des Strafrechts überhaupt nichts. Es hilft weder den Menschen, noch den Ärzten, und es sind vor allen Dingen die Situationen am Lebensende, die hier eine ganz bedrängende Situation darstellen.
    Klein: Herr Hintze, ein Argument derjenigen, denen da unwohl bei ist, dass Ärzte nicht mehr sanktioniert werden, wenn sie bei der Selbsttötung helfen, ist ja, dass Ärzte eigentlich Leben erhalten sollen und nicht Leben zerstören oder beenden.
    Hintze: Das ist ja ein sehr plausibler Gedanke und es ist auch meine völlige Überzeugung, dass der Arzt alles tun muss, um den Willen zum Leben zu stärken, um die Schmerzen zu lindern, um noch zu versuchen, den Patienten zu heilen. Das ist auch der Normalfall. Und ich glaube, es gibt keinen Arzt, der das nicht für richtig hält, und auch bei uns gibt es keinen, der das nicht für richtig hält. Das ist absolut richtig. Wir reden von der Situation, wo die Palliativmedizin an ihre Grenzen stößt, wo der Tod unumkehrbar ist und wo nicht die Frage ist, ob ein Mensch stirbt, sondern wie ein Mensch stirbt. Und ich glaube, jeder Mensch hat den Wunsch, friedlich zu entschlafen, und wenn er an eine Grenze kommt, wo die Todesqual einfach zu groß wird, er sie nicht mehr tragen kann, dann, finde ich, hat er auch das Recht zu sagen, ich bitte den Arzt, mir dabei zu helfen, friedlich entschlafen zu dürfen. Das ist ein menschliches Gefühl, was, glaube ich, jeder hat, und dem wollen wir Rechnung tragen.
    Klein: Herr Hintze, ich nehme mal einen Blick in die Praxis ins Programm. Sie haben das Stichwort Palliativmedizin genannt. Palliativmedizin ist teuer, das wissen wir alle. Es ist durchaus auch schon vorgekommen, dass Ärzte auch Angehörigen nahegelegt haben, weshalb wollen sie denn das Leben Ihres Angehörigen noch verlängern, das hat eigentlich eh keinen Sinn mehr, gerade wenn derjenige sich nicht mehr äußern kann. Wie wollen Sie denn verhindern, dass vonseiten der Ärzte diese Art des Drucks ausgeübt wird?
    Ärzte unternehmen alles, um dem Menschen den Schmerz zu nehmen
    Hintze: Meine gesamte Lebenserfahrung ist das blanke Gegenteil, dass Ärzte alles unternehmen, um dem Menschen weiter den Schmerz zu nehmen und ein Leben auch in der letzten Phase zu ermöglichen, und im Gegenteil oft die Sorge ist, es würde nicht genug getan, und manche Ärzte auch sagen, es gibt hier Übertherapie am Lebensende, da wird jemand noch kurz vor seinem Tod operiert, oder da wird noch eine schwere Chemo eingesetzt, wo man sich medizinisch und menschlich fragen kann, ist das richtig. Wir haben ja die Patientenverfügung. In der Patientenverfügung kann ein Mensch für sich entscheiden, wenn er noch gesund und munter ist, wenn ich in eine bestimmte Situation komme, wo ich nicht mehr bei Bewusstsein bin, dann will ich auf lebenserhaltende Systeme verzichten. Da sagt kein Mensch, da geraten Leute unter Druck, das zu unterschreiben, denn das ist ja eine echte Lebensverkürzung.
    Klein: Aber es gibt viele Fälle, wo es diese Patientenverfügung nicht gibt, und da entsteht eine Unklarheit, gerade wenn der Patient sich selbst nicht mehr äußern kann.
    Hintze: Nein, die ist gar nicht unklar, weil nach unserer Rechtslage und auch nach unserem Gesetzentwurf der Arzt dann alles Lebensverlängernde tun muss. Bei uns geht es ja um die Situation, dass jemand noch voll bei Bewusstsein ist, für sich selber entscheiden kann und sagen kann, ich kann das jetzt nicht mehr ertragen. Da kommt hinzu, dass viele Menschen, wenn sie wissen, im Letzten darf mein Arzt mir beistehen, dass sie dann auch viel mehr zu tragen bereit sind. Ich glaube sogar, dass es den Lebensmut und den Durchhaltewillen stärkt, wenn sie wissen, wenn ich gar nicht mehr kann, dann darf der Arzt mir beistehen, mir helfen, friedlich zu entschlafen. Ich glaube, dass unser Entwurf den Mut zum Leben stärkt, das Durchhalten stärkt und auch die Bereitschaft der Ärzte stärkt, Menschen zum Leben zu ermutigen.
    Klein: Herr Hintze, ich würde gerne abschließend heute Morgen noch ein Zitat bringen von der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Die sagen, sie warnen vor einem Kippen der öffentlichen Meinung. Die Selbsttötung sei eben nicht die höchste Stufe der Selbstbestimmung. Vielmehr entstehe ein Sog, der Alte, Schwerstkranke und Depressive mit sich reißt, dass eine Art gesellschaftlicher Druck entsteht, um Kosten zu sparen oder was auch immer, dass man dann doch Suizidwünsche befördert. Das ist nicht zutreffend?
    Angstparolen in die Welt gesetzt
    Hintze: Ich finde es so schade, dass immer, wenn die Menschen bevormundet werden sollen, dass dann Angstparolen in die Welt gesetzt werden. Ich habe eben versucht, das zu erklären. Da haben Sie, was ich aber verstehe, das Thema gewechselt. Dieser Einwand ist ja vielleicht bei der Patientenverfügung berechtigt. Da werden ja gesunde Menschen motiviert, von vornherein auf Lebensverlängerung zu verzichten. Ich halte das Recht der Patientenverfügung für in Ordnung. Aber da hat keiner den Einwand gemacht. Da sitzen ja die Verwandten um den Tisch mit einem Angehörigen und sagen, pass mal auf, lass uns doch mal überlegen, ob das nicht eine sinnvolle Entscheidung ist. Da entscheidet man sich klaren Auges für eine Lebensverkürzung, obwohl man gar nicht weiß, ob man das in der Situation selber noch will.
    Bei uns geht es ja um Menschen, die voll bewusst sind und die irgendeine schreckliche Erkrankung haben und diesen Leidensdruck nicht mehr aushalten und die das auch selber einschätzen können und die mit dem Arzt ihres Vertrauens darüber sprechen wollen. Deswegen finde ich diese Angstparole, es wird dann alles ganz grauselig und deswegen muss der Staat Dich bevormunden, die finde ich verdächtig und falsch. Ich setze auf den mündigen Menschen. Ich setze auf den verantwortungsvollen Arzt und ich setze darauf, dass ein Mensch in seiner kritischsten Situation, der seines Sterbens, schon selbst das Recht behalten müsste zu entscheiden, ob er das noch tragen kann oder nicht. Das ist für mich ein Gebot der Nächstenliebe und der Menschenwürde. Und die Parolen, die sagen, wir müssen euch Angst machen, dann wird die Gesellschaft sich verändern, das sind ja alles Behauptungen, die sind doch frei erfunden.
    Klein: Herr Hintze, die Botschaft ist angekommen. Wir gehen hier in diesen Sekunden auf die Nachrichten zu im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk.
    Hintze: Bitte, Frau Klein.
    Klein: Peter Hintze war das (CDU), Bundestagsvizepräsident, zur heutigen ersten Lesung im Bundestag zur Neuregelung der Sterbehilfe.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.