"Es kommt eine Schilderung: Mir geht’s unendlich schlecht. Und dann versucht man in der Regel natürlich erst einmal ein bisschen, die Situation zu sondieren. Was ist los? Warum geht’s Dir schlecht? Wie präsent sind Deine Suizidgedanken? Also, wir fragen da auch ganz konkret nach. Das Thema wird ganz direkt angesprochen. Das wird nicht irgendwie umredet oder so."
Lisa ist Peer-Beraterin. Die 24-jährige ist eine von rund 50 jungen Menschen, die in Berlin ehrenamtlich auf Hilferufe von Kindern, aber vor allem von Jugendlichen und jungen Erwachsenen antworten.
"Und am Anfang ist es auch eigentlich so: Man zeigt einfach, man ist da. Da ist jetzt jemand, da hört jetzt jemand zu. Hier kannst Du sein, wie Du bist, hier kannst Du sagen, dir geht’s schlecht, wir gucken jetzt einfach was los ist."
Solche Schilderungen von tiefgehenden Krisen erreichen Lisa per E-Mail, anonym. Auch die sportliche junge Frau mit den langen, dunklen Locken und dem offenen, zugewandten Blick über der Maske will nicht mehr als ihren Vornamen nennen. Das ist Prinzip bei U25, einem Beratungsangebot für junge Menschen in persönlichen Krisen oder mit Suizidgedanken.
"Und im weiteren Verlauf von so einem Kontakt schaut man natürlich auch: Gibt es irgendwelche Möglichkeiten? Können wir was tun? Können wir gemeinsam über etwas nachdenken, was Dir hilft. Zum Beispiel: Wäre eine Therapie etwas, das in Frage kommt?"
Auf die mehrmonatige Ausbildung in dem spendenfinanzierten Programm unter dem Dach der Caritas, auf die emotional fordernde Korrespondenz mit den Klienten hat sich Lisa wegen einer Werbung in der U-Bahn beworben. Weil sie schon in der Schule fand, dass junge Menschen mit ernsthaften Problemen oder Depressionen nicht ausreichend aufgefangen würden. Ob sie je einen Suizid verhindert hat, wird sie wohl nie wissen.
Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen, Suizidgefährdete und ihre Angehörigen: Wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen.
Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800-1110111 (kostenfrei) und 0800-1110222 (kostenfrei) oder online unter telefonseelsorge.de an. Eine Liste mit bundesweiten Beratungsstellen gibt es hier.
Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800-1110111 (kostenfrei) und 0800-1110222 (kostenfrei) oder online unter telefonseelsorge.de an. Eine Liste mit bundesweiten Beratungsstellen gibt es hier.
Suizidzahl seit 1970er-Jahren mehr als halbiert
In jedem Fall sind solche Angebote sehr wichtig, davon ist Peter Brieger überzeugt, der ärztliche Direktor des kbo-Isar-Amper-Klinikums für Psychiatrie in Haar bei München.
"Sie müssen sich ja vorstellen, wir hatten in den 1970er-Jahren mal ungefähr 20.000 Suizide in Deutschland. Wir sind jetzt bei unter 10.000. Und dass die Suizidzahl sich mehr als halbiert hat in dieser Zeit, ist natürlich solchen Projekten und der besseren Versorgung - ja, nicht zu schulden, sondern das ist der Gewinn von denen. Und solche Projekte wie U25, oder auch die Krisendienste, die es hier in Bayern gibt, die sind da absolut hilfreich."
Der Psychiatrieprofessor Brieger hat sich intensiv mit den Gründen beschäftigt, aus denen sich Menschen das Leben nehmen. Suizidprävention sei deshalb so wichtig, erläutert er, weil diese Gründe oft nicht anhaltend sind. Das belegen Langzeituntersuchungen zu denjenigen, die einen Suizidversuch überlebt haben.
"Die zeigen: Ungefähr fünf bis acht Prozent haben sich nach zehn Jahren tatsächlich das Leben genommen. Aber über 90 Prozent leben nach zehn Jahren. Das bedeutet: Wenn ich in dem Moment des Suizidwunsches, wenn jemand akut suizidal ist, den Suizidimpuls unterbinde, dann rette ich in ganz vielen Fällen Leben."
Viele Menschen, die sich das Leben nehmen, sind in solchen Lebenskrisen, wegen des Verlusts eines Menschen oder der Arbeit oder aus anderen Gründen. Viele sind psychisch krank - wenn auch deutlich weniger als oft angenommen, glaubt der Psychiater Peter Brieger. Nach seinen Untersuchungen sind es aber doch 50 oder 60 Prozent. Und:
"Es gibt einen Teil, der sicherlich in dem Bereich Freiheit zu sehen ist, aber das ist sicherlich der kleinste Teil. Der wird aber in der öffentlichen Diskussion immer so dargestellt, als sei der der entscheidende. Das ist er aber nicht, das ist eher ein kleinerer Bereich, die tatsächlich frei entschieden sind."
Wann darf man jemandem beim Suizid helfen?
Es ist dieser kleine Teil von Suizidwilligen, der den Anlass gibt für die aktuelle Diskussion um die Sterbehilfe. Derzeit wird im Bundestag wieder debattiert. Es ist eine ethische, politische und rechtliche Diskussion mit einer jahrelangen Vorgeschichte. Dabei geht es nicht um die Frage, wer sich das Leben nehmen darf. Die Frage ist: Wann darf ein anderer dabei helfen? Sei es, dass er das Mittel beschafft, oder dass er es dem Sterbewilligen anreicht und ihn begleitet. 150 Jahre lang, seit dem Erlass des Reichsstrafgesetzbuches, war das im Grunde unumstritten: Weil die Selbsttötung nicht unter Strafe steht, kann und soll auch die Beihilfe nicht bestraft werden.
Das änderte sich vor acht Jahren, als sich eine Struktur der Sterbehilfe in Deutschland zu etablieren begann. Der frühere Hamburger Justizsenator Roger Kusch gründete einen Verein und präsentierte offen die Aussagen von Sterbewilligen auf Veranstaltungen und im Internet, Schweizer Vereine gründeten deutsche Ableger, Ärzte bekannten, Suizidwilligen assistiert zu haben.
"Über sein Leben entscheidet jeder selbst. Die Verantwortung hat jeder für sein Leben selbst", betont Michael Brand, der CDU-Abgeordnete der damals besonders eindringlich für ein Verbot solcher Strukturen warb. "Die Frage ist, ob es ein Recht gibt, dass ein Dritter sich am Suizid beteiligt und der Suizid gefördert wird."
Über zwei Jahre lang diskutierte der Bundestag, ohne Fraktionszwang, mit mehreren Gesetzentwürfen, mit Orientierungsdebatten, mit Argumenten, denen oft tiefe Betroffenheit anzuhören war. Wie bei Brands Parteifreund Peter Hintze, der eindringlich für das Recht leidender, schwer kranker Menschen warb, sich bei der Verwirklichung ihres Sterbewunsches vom Arzt helfen zu lassen.
"Schutz des Lebens - ein klares Ja. Aber bei einer zum Tode führenden Krankheit geht es ja gar nicht um das Ob des Sterbens, sondern es geht um das Wie des Sterbens. Ich halte es für unvereinbar mit dem Gebot der Menschenwürde, wenn aus dem Schutz des Lebens ein Zwang zum Qualtod würde."
Die Mehrheit der Abgeordneten folgte ihm nicht. Wie es der Entwurf von Michael Brand und anderen vorsah, beschloss der Bundestag am 6. November 2015, die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" unter Strafe zu stellen. Geschäftsmäßig heißt grob gesagt, dass der, der Suizidbeihilfe leistet, es auch wieder tun würde, egal ob aus kommerziellen oder altruistischen Motiven.
Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben
Nicht nur Sterbehilfevereine und Suizidwillige zogen daraufhin gegen den neuen Paragraphen 217 des Strafgesetzbuches vor das Bundesverfassungsgericht, auch Ärzte, die sich dazu bekannten, bewusst Menschen bei der Selbsttötung geholfen zu haben, und auch Palliativmediziner, die fürchteten, bei der Ausübung ihres Berufes in eine rechtliche Grauzone gedrängt zu werden. Sie alle erhielten in Karlsruhe Recht. Der damalige Senatsvorsitzende und Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle verkündete das Urteil.
"Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen."
In ihrem Urteil erklärten die Richter nicht nur den Paragraphen 217 für verfassungswidrig. Sie gingen auch weit über das hinaus, was Peter Hintze angestrebt hatte, der den ärztlich assistierten Suizid Sterbenskranker im Blick hatte. Denn die Richter befanden:
"Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist nicht auf fremddefinierte Situationen wie schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt. Es besteht in jeder Phase menschlicher Existenz."
Dabei machen die Richter auf fast 100 Urteilsseiten durchaus auch ihr Unbehagen mit einer Entwicklung deutlich, in der Sterbehilfe allzu leicht zu erhalten sein könnte. Sie kritisieren, dass die Untersuchungen mancher Sterbehilfevereine hohen Ansprüchen nicht genügen, wenn es um die Frage geht, ob der Sterbewillige in der Lage ist, seinen Willen frei zu bilden. Sie schildern die Gefahren einer gesellschaftlichen Entwicklung, in der aus persönlichen oder aus Kostengründen Druck auf Schwache ausgeübt werden könnte. So stellen sie dem Gesetzgeber nicht nur frei, solche Angebote gesetzlich näher zu regeln, sie fordern ihn fast schon dazu auf.
Das Urteil stieß auf ein geteiltes Echo, auch im Bundestag. Michael Brand kritisiert es scharf und verweist dabei gerade auch auf die Warnungen der Richter.
"Karlsruhe verlangt vom Gesetzgeber die Quadratur des Kreises. Auf der einen Seite sind die Befürchtungen, die der Gesetzgeber im Gesetz formuliert hat - Drucksituationen - absolut anerkannt worden. Und auf der anderen Seite kommt es zu einem völlig anderen Urteil, indem quasi ein Grundrecht auf Hilfe zum Suizid festgestellt wird."
Andere begrüßen den Karlsruher Richterspruch. Unter ihnen ist Katja Keul. Die Grüne Rechtspolitikerin hatte sich 2015 dafür ausgesprochen, gar nichts am damals geltenden Gesetz zu verändern, die Suizidbeihilfe also – so wie die 150 Jahre zuvor – ungeregelt und straflos zu lassen. Der Urteilskritik widerspricht sie.
"Nein, das ist nicht die Quadratur des Kreises. Das Verfassungsgericht hat einfach nur gesagt: So, wie Ihr es gemacht habt, geht es nicht. Ihr könnt es nicht einfach strafrechtlich verbieten. Und alles andere - darüber kann man ja diskutieren, und das tun wir ja gerade."
Mehrere neue Gesetzentwürfe liegen vor
Tatsächlich haben einige Abgeordnete gerade Gesetzentwürfe erarbeitet. Katja Keul ist, zusammen mit ihrer Parteifreundin Renate Künast, eine davon. Einen anderen Gesetzentwurf haben Politiker von FDP, Linkspartei und SPD vorgelegt, drei Politiker die noch 2015 Unterschiedliches vertreten hatten. Die Liberale Katrin Helling-Plahr ist erst seit 2017 im Bundestag, sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Suizidhilfe neu zu regeln. Denn, so sagt sie:
"Ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben darf es unserer Auffassung nach aber nicht nur auf dem Papier geben. Es gebietet, wie ich finde, die Menschlichkeit, dass selbstbestimmt handelnde Betroffene auch Zugang zu Medikamenten zur Selbsttötung erhalten und nicht länger ins Ausland gehen oder auf unsichere und schmerzhaftere Methoden zur Selbsttötung verwiesen werden."
Dabei arbeiten Sterbehilfevereine seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor einem Jahr wieder. Schwierig ist aber auch für sie der Zugang zu möglichst schmerzfrei todbringenden Medikamenten. Ärzte müssen außerdem das Standesrecht beachten. Und das ist je nach Bundesland und Kammer unterschiedlich. Die bundesweit als Vorschlag dienende Musterberufsordnung enthält den Satz: "Ärzte dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten." Diese Muster-Ordnung ist nicht bindend, wohl aber die Landesberufsordnungen. Und zehn davon haben den strengen Satz übernommen. Es zeichnet sich ab, dass sich das Standesrecht ändern wird, denn nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist es wohl selbst verfassungswidrig. Noch aber gilt es und schafft eigene Fakten.
Für den SPD-Politiker Karl Lauterbach ist das ein Grund, warum er unter denen ist, die mit Katrin Helling-Plahr einen Entwurf für eine Neuregelung der Suizidbeihilfe vorgeschlagen haben. Denn, so sagt er über das Karlsruher Urteil:
"Es hat uns in die Situation gebracht, dass zum einen die Sterbehilfe vollkommen straffrei derzeit ist, auf der anderen Seite aber auch überhaupt nicht geregelt ist. Das ist in gewisser Weise die schlechteste der Kombinationen, die es gibt."
Vorherige Beratung als Sicherungsmaßnahme
Die Motive der Abgeordneten sind also leicht unterschiedlich, die einen wollen eher die Hilfe und den Zugang zu Medikamenten vereinfachen, die anderen wollen eher mehr Regeln. Das Ergebnis ist dasselbe: Es soll nicht nur darum gehen, dass die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar ist. Der Sterbewillige soll ein Recht auf das todbringende Medikament haben, am häufigsten wird in der Diskussion Pentobarbital genannt.
"Dann aber, wenn wir mit der Verschreibungsmöglichkeit einen Weg zum Erhalt eines solchen Medikaments in ein staatlich geregeltes Verfahren einbetten, müssen wir auch besondere prozedurale Sicherungsmaßnahmen treffen. Wir erachten deshalb vor einer Verschreibung eine Beratung in einer Beratungsstelle, die in der Regel mindestens zehn Tage zurückliegen muss, als obligatorisch."
Beratung und Fristen stehen im Kern dieses Entwurfs. Das ist kein Zufall, es ist der Weg, den das Bundesverfassungsgericht eröffnet hat. Auch die Linken-Politikerin Petra Sitte unterstützt diesen Gesetzentwurf. Ihr ist besonders wichtig, dass die dafür nötige Beratungsstruktur - vielleicht vergleichbar der für den Schwangerschaftsabbruch - ständig vorhanden und unentgeltlich zugänglich ist.
"Das heißt, man muss nicht irgendwo Mitglied eines Vereins werden oder ähnliches, man muss nicht ins Ausland fahren, es ist nicht abhängig vom sozialen Status des Betroffenen oder der Betroffenen, und ich halte das eben auch für sehr wichtig."
Für den Abgeordneten und Mediziner Karl Lauterbach ist dieser Vorschlag mit vielen Kompromissen behaftet. Er hatte 2015 den Vorschlag des ein Jahr später an einem Krebsleiden verstorbenen Peter Hintze unterstützt, der die Hilfe zum Suizid Schwerkranken vorbehalten wollte. Das aber lässt das verfassungsrichterliche Urteil nicht zu.
"Dieses Urteil respektiere ich, obwohl ich es in diesem Punkt auch bedaure, das muss ich offen sagen."
Wie definieren Ärzte und Juristen "freien Willen"?
Auch der zweite Entwurf, den Abgeordnete vorgelegt haben, der von Katja Keul und Renate Künast sieht Beratung und Fristen vor. Für Sterbenskranke, die ihr Leiden nicht ertragen, sieht ihr Entwurf den Arzt als zentrale Instanz an, er soll das Mittel verschreiben dürfen, wenn ein Kollege zustimmt. Sonst aber, bei lebensmüden Gesunden, denen die Verfassungsrichter ja auch das Recht auf Beihilfe zugestehen, soll es - anders als bei dem anderen Entwurf - nicht in erster Linie auf den Arzt ankommen, sagt Katja Keul.
"Ja, ich kann mir erst mal schwer vorstellen, dass es Ärzte gibt, die in einer solchen Konstellation die Sterbehilfe leisten, weil es ja noch schwerer mit ihrem Verständnis und ihrem Berufsethos zu verbinden ist."
In diesem Fall soll stattdessen eine Kommission innerhalb eines Jahres entscheiden. Einen Anspruch auf das Medikament soll es nicht geben. Dabei kommt es für diese Vorschläge im politischen Raum vor allem auf eine Frage an: Ist die Person, die sich das Leben nehmen will, in der Lage, ihren Willen frei zu bilden, selbstbestimmt zu handeln? Der ärztliche Direktor des Klinikums Haar Peter Brieger hält diese Frage für schwer zu beantworten.
"Hier haben die Juristen auch eine andere Perspektive als wir Mediziner, auf diese Thematik. Die Juristen haben da manchmal eine sehr idealistische Vorstellungsweise vom freien Willen."
Er hat im Nachhinein alle Suizide im Allgäu über zehn Jahre nachvollzogen. Bei ihnen spielten psychische Krankheiten oft eine Rolle, in anderen Fällen handelten Menschen selbstbestimmt - der ganz große Teil der Fälle lag aber dazwischen.
"So eine klare Linie zu ziehen: Wo endet der freie Wille, wo ist das frei verantwortlich? Das kann man schon juristisch definieren und man kann es wahrscheinlich auch durch entsprechende Beurteilungen und Begutachtungen feststellen. Aber das ist ganz schön komplex."
Beihilfe versus Töten auf Verlangen
Michael Brand will sich auf solche Fragen am liebsten gar nicht einlassen. Er hält die Vorgaben des Verfassungsgerichts für nicht handhabbar und viel zu weitgehend.
"Autonomie heißt: völlig egal. Da ist der Lebensmüde, da ist der Verzweifelte, da ist der junge Mensch mit Liebeskummer, da gibt es keine Begrenzung."
Auch deshalb glaubt er, gehe es heute um etwas ganz anderes als vor sechs Jahren, er fürchtet die schiefe Ebene, den Dammbruch.
"Denn nach dem Urteil des Verfassungsgerichts haben ja einige schon ihre Maske fallen lassen und gesagt, worum was es ihnen eigentlich geht. Nicht um die Beihilfe, sondern um Töten auf Verlangen."
Das Töten auf Verlangen, die aktive Sterbehilfe, ist nach Paragraph 216 des Strafgesetzbuches eindeutig strafbar. Tatsächlich aber gibt es Juristen, die das für inkonsequent halten. Professoren aus Halle, München und Augsburg etwa, die gemeinsam einen Gesetzentwurf geschrieben haben, denken an Sterbewillige, die körperlich nicht mehr in der Lage wären, das todbringende Medikament selbst einzunehmen, auch ihnen müsse unter Umständen geholfen werden können. Den Verfassungsrichtern geht es im Urteil darum eindeutig nicht. Michael Brand warnt aber davor, die Selbstbestimmung zu überhöhen.
"Es darf nicht der gleiche Fehler gemacht werden wie in der Debatte vor 2015, dass die Starken, völlig Selbstbestimmten, die es gibt, die aber absolute Einzelfälle sind, dass die in den Talkshows für den Suizid werben. Aber diejenigen, die in Pflegeheimen sitzen, die in schweren Drucksituationen sind, die erkrankt sind an Krebs oder psychisch erkrankt sind, dass die gar keine Stimme haben, weil die sitzen halt nicht in der Talkshow. Und der Gesetzgeber hat die Pflicht, auch die mit in den Blick zu nehmen."
"Wir wollen eine Beratungsstelle"
Das ist ein Problem. Was ist mit dem sanften Druck, vor dem auch die Verfassungsrichter warnen - dem möglichen gesellschaftlichen Druck wegen steigender Pflegekosten, dem möglichen Druck aus dem persönlichen Umfeld, dem bloßen Gefühl, den Angehörigen nicht mehr zur Last fallen zu wollen? Katja Keul, die für eine Neuregelung eintritt, antwortet:
"Wir wollen eine Beratungsstelle. Und die berät ergebnisoffen. Und die kann im Prinzip nichts anderes machen in solchen Fällen als bescheinigen, dass es keine Anhaltspunkte gibt für eine Beeinflussung Dritter, für eine psychische Erkrankung und dass derjenige sozusagen über einen gewissen Zeitablauf dauerhaft seinen freien Sterbewunsch bekundet hat. Mehr kann die Beratungsstelle nicht bescheinigen. - Aber das ist sozusagen die Mindestabsicherung an dieser Stelle."
Michael Brand dringt auf eine breite gesellschaftliche Diskussion, begonnen mit einer Orientierungsdebatte im Bundestag. Peter Brieger, der Psychiatrie-Professor, der so vorsichtig ist, was Selbstbestimmung und freien Willen betrifft, ist da trotzdem klarer: Auch er kritisiert, dass die Verfassungsrichter die Grenze nicht bei Sterbenskranken gezogen haben. Trotzdem befürwortet er die Möglichkeit zur Suizidbeihilfe in Einzelfällen. Er unterstützt die Stellungnahme des Vereins Aktion Psychisch Kranke, deren zweiter Vorsitzender er ist. Der Verein schlägt eine Kommission vor, ähnlich wie Katja Keul.
Zu dem Gesetz, das dafür nötig wäre, wird es in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen. Der nächste Schritt ist die Entscheidung über das ärztliche Standesrecht. Im Mai will der Ärztetag entscheiden. Dabei ist völlig klar: Der assistierte Suizid darf nicht zur ärztlichen Aufgabe werden, kein Arzt darf dazu gezwungen werden, keine Kasse darf die Leistung in ihren Katalog aufnehmen. Das sagt auch Peter Brieger.
"Aber: Ich glaube, jeder, der als Arzt oder Psychotherapeut tätig ist, kann in solche Konstellationen kommen. Und es kann dann Situationen geben, wo ich mir dann entsprechende Entscheidungen abringen muss. Und wenn dann der Staat quasi diese Entscheidungen toleriert und straffrei stellt, ich glaube, das wäre ausreichend. Und wenn dann das Standesrecht diese Entscheidungen dann straffrei stellt, das wäre wahrscheinlich der rechte Weg."