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Sterbehilfe
Paragraf 217 vor Gericht

Wenn Ärztinnen und Ärzte auf Wunsch Schwerstkranker todbringende Medikamente verschreiben, gilt das als geschäftsmäßige Suizidbeihilfe und ist strafbar. Palliativmediziner sehen sich kriminalisiert. Das Bundesverfassungsgericht befasst sich morgen mit dem Gesetz.

Von Burkhard Schäfers |
Symbolbild für Sterbehilfe
Wiederholte Suizidbeihilfe ist in Deutschland strafbar. Palliativmediziner sehen sich dadurch kriminalisiert (imago/Becker&Bredel)
Matthias Thöns ist Palliativmediziner in Witten im Ruhrgebiet und behandelt im Jahr circa 400 Menschen. Sie leiden unter starken Schmerzen, Atemnot oder Übelkeit. Bei den allermeisten seiner Patientinnen und Patienten ließen sich die Beschwerden lindern, sagt Thöns. Es gebe aber Ausnahmefälle, in denen die Palliativmedizin kaum helfen könne:
"So eine Entstellung durch einen Gesichtstumor, der durch die Haut bricht oder stinkende Wunden, das kriegt man relativ schlecht in den Griff. Und da kann man tatsächlich den Wunsch mancher Menschen verstehen zu sagen: Das ist für mich würdelos, so möchte ich nicht weiterleben."
Palliativmediziner sehen sich kriminalisiert
Wenn jemand einen Arzt um todbringende Medikamente bittet und dieser die Dosis verschreibt, kann sich der Arzt der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe schuldig machen. Darauf steht laut Gesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Angehörige und nahestehende Personen, die bei einem Suizid helfen, werden nicht bestraft. Eigentlich wollte der Bundestag vor allem Sterbehilfevereinen das Handwerk legen. Durch den Strafgesetz-Paragrafen 217 sehen sich indes auch Palliativmediziner wie Matthias Thöns kriminalisiert.
"Die Juristen verstehen unter 'geschäftsmäßig', wenn jemand etwas wiederholt macht oder wiederholt plant. Das heißt, auch wenn ich als Arzt in diesen ganz, ganz seltenen Fällen einmal helfe, dann droht mir das Strafrecht schon, weil ich ja in der gleichen Konstellation das nächste Mal mit großer Wahrscheinlichkeit wieder helfen werde", sagt Thöns. "Mein Gewissen ist ja keine Eintagsfliege, das nächste Mal werde ich es genauso sehen."
Thöns legte vor dem Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen Paragraf 217 ein, ebenso weitere Mediziner, Patienten und Sterbehilfevereine. Das Gesetz beschneide die Persönlichkeitsrechte Sterbewilliger. Außerdem verletze es die Gewissens- und Berufsfreiheit von Ärzten. Palliativmediziner Thöns meint sogar, die Regelung bedrohe seine alltägliche Arbeit:
"Normalerweise ist es so, dass ich Patienten mit schweren Erkrankungen ganz normal behandle. Aber jeder vierte von denen spricht mich irgendwann im Verlaufe dieser Begleitung an: Ich habe keine Lust mehr, das Leben ist nur noch eine Qual für mich. Wenn das ein Angehöriger mithört, kann er das als Suizidwunsch verstehen. Wenn ich diesem Patienten jetzt - wie jedem meiner Patienten auch - Morphium und Beruhigungsmedikamente, Mittel gegen Schmerzen und gegen Atemnot verschreibe, und der nimmt sich das Leben damit, bin ich ja automatisch schon Straftäter."
Die Hände eines sterben Menschen werden von einem Angehörigen gestreichelt.
Palliativmediziner Matthias Gockel - Tod darf nicht tabuisiert werden Der Palliativmediziner Matthias Gockel hält den Tod immer noch für ein Tabu. Der Tod käme "irgendwann extrem kurzfristig". Palliativmedizinische Beratungen müssten früher stattfinden.
"Paragraf 217 verletzt die Würde der schwerkranken Menschen erheblich"
Zwar ist bisher kein Fall bekannt, in dem ein Arzt verurteilt wurde. Doch Staatsanwaltschaften ermittelten, auch gegen Thöns. 2017 dann sorgte eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts für Aufsehen, die die geltende Rechtslage konterkarierte. Die Verwaltungsrichter urteilten, der Staat dürfe im extremen Einzelfall den Zugang zu einem todbringenden Betäubungsmittel nicht verwehren. Daraufhin beantragten mehr als hundert Betroffene ein solches Mittel bei der zuständigen staatlichen Stelle, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Bislang erfolglos, denn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wies das Institut offenbar an, die Begehren abzulehnen. Der Streit werde auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen, sagt Facharzt Thöns:
"Der aktuelle Paragraf 217 verletzt die Würde der schwerkranken Menschen erheblich: einerseits dadurch, dass sie in den seltenen Fällen, in denen Palliativmedizin nicht ausreichend helfen kann, die Patienten mit harten Suizidmethoden im Stich lässt. Auf der anderen Seite kriminalisiert sie palliative und hospizliche Versorgung."
Der Bundestag hatte das Gesetz 2015 nach einer längeren Debatte ohne Fraktionszwang beschlossen. Zuvor hatten die Abgeordneten intensiv diskutiert: Über das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen am Lebensende einerseits. Andererseits darüber, inwieweit Staat und Gesellschaft das Leben Schwerstkranker schützen müssen.
"Sterbende schützen vor Erwartungsdruck"
Eberhard Schockenhoff, Professor für Moraltheologie an der Universität Freiburg, sieht in dem Gesetz die verschiedenen Interessen gut ausbalanciert:
"Deshalb eben, weil man den Raum des Sterbens schützen möchte vor dem Erwartungsdruck, den dann Sterbende selbst als Erwartungszwang empfinden können. Dass man ihnen nahelegt, dass sie eigene Lasten vermeiden. Aber eben auch die Zumutung, die sie möglicherweise annehmen, die das für ihre Umgebung bedeuten würde. Und dass man verhindern möchte, dass das ein öffentliches Leitbild wird, das eine Sogwirkung entfacht, die dann Sterbende auch ergreift, die sie als Einschränkung ihrer Autonomie auffassen könnten."
Der katholische Moraltheologe nennt als Beispiel die liberalen Sterbehilfe-Gesetze in Belgien oder den Niederlanden.
"Wir erleben dort, dass es eine ständige Ausweitung der Grenzen gegeben hat. Zum Beispiel hat man in den Niederlanden zunächst psychiatrische Erkrankungen ausgenommen. Dann hat man sie später doch einbezogen. Dann gab es Regelungen zum Schutz von Minderjährigen. Dann hat man gesagt, nur mit der Zustimmung beider Elternteile, später hat man auch das revidiert. Also es hat sich gezeigt: Die befürchtete Verschiebung, die dann eintritt, die faktische Ausweitung der Grenzen über das hinaus, was man zunächst regeln wollte."
Damit könnten sich auch die Aufgaben von Ärzten fundamental verändern, argumentiert Schockenhoff. In Belgien dürfen Menschen, die sich für Sterbehilfe entscheiden, wählen: Entweder, sie nehmen ein vom Arzt verschriebenes tödliches Mittel selbst ein. Oder der Mediziner setzt eine tödliche Spritze.
"Zwei Drittel entscheiden sich dann für die Lebensbeendung durch den Arzt. Das ist ein Indiz dafür, dass die Legalisierung der ärztlichen Suizidbeihilfe nicht das Ende der Fahnenstange wäre. Sondern dann würde man weitergehen und würde argumentieren, dass die eigentlichen Wünsche der Patienten ja nicht darauf gerichtet sind, dass sie sich selber töten möchten. Sondern dass es ihnen noch lieber wäre, wenn dieses unangenehme Geschäft auch der Arzt für sie erledigen würde."
Palliativmediziner - "Wir lassen extrem leidende Menschen im Stich"
Sterbehilfe müsste für Menschen zugelassen werden, die am Ende ihres Lebens extrem leiden, sagte der Palliativmediziner Gian D. Borasio im Dlf. Andernfalls lasse man diese Menschen würdelos leiden.
Angst vor Dammbruch
Im vergangenen Herbst sprachen sich Christen, Juden und Muslime in einer gemeinsamen Erklärung mehrerer Institutionen erstmals gemeinsam gegen Euthanasie und assistierten Suizid aus. Sie seien aus moralischer wie religiöser Sicht falsch und sollten ausnahmslos verboten werden.
Moraltheologe Schockenhoff sieht die Gesellschaft in der Pflicht, Schwerstkranke vor wirtschaftlichen Überlegungen zu schützen. Statistiken zufolge fielen 90 Prozent aller medizinischen Behandlungskosten im letzten Lebensjahr eines Menschen an.
"Wenn man das unter einer utilitaristischen Perspektive betrachtet, dann könnte man ja sagen, diese 90 Prozent im letzten Lebensjahr haben den geringsten Nutzeneffekt. Und dann könnte man ja durchaus auf die Idee kommen, dass man auch aus Gründen der Kostenersparnis versucht, die Sterbephase abzukürzen. Vor solche Überlegungen muss man von vornherein einen klaren Riegel schieben."
Bundestag muss Rolle der Ärzte neu fassen
Palliativmediziner Matthias Thöns hingegen glaubt nicht, dass ein gesellschaftlicher Druck auf Schwerkranke entstehen könnte, Suizid zu begehen.
"In unserer Gesellschaft ist es eher so, dass schwerstpflegebedürftige Menschen zum Leben gezwungen werden – mit allem, was die Medizintechnik so kann. Wenn man nicht mehr richtig isst, wird man künstlich ernährt. Wenn man nicht mehr trinkt, bekommt man Infusionen. Und wenn man nicht mehr atmet, ganz am Schluss des Lebens, und die Aussicht ist minimal, dann wird man beatmet. Die Problematik, die da hochbeschworen wird, dass es einen Dammbruch gibt, dass es dann Druck gibt auf Alte und Pflegebedürftige, sich zu suizidieren, ist völlig absurd. Aber das Problem genau in die andere Richtung ist tägliche Realität bei uns."
Wie also wird der assistierte Suizid künftig in Deutschland geregelt? Beobachter erwarten, dass die Verfassungsrichter das bisherige Gesetz kippen. Die öffentliche Verhandlung in Karlsruhe vor einigen Monaten ließ erkennen, dass der Bundestag wohl zumindest die Rolle der Ärzte neu fassen muss.