Darf man das, den Tod eines Kleinkindes in ein Computerspiel verwandeln? "That Dragon, Cancer" wagt genau das. Im Spiel kann man miterleben, wie ein Kind an Krebs stirbt. Die Entwickler und Designer haben dem Spiel ihre eigene Familiengeschichte zugrunde gelegt, ihr jüngster Sohn starb an Krebs. Tod und Sterben werden so zu einem packenden emotionalen Erlebnis und zu einem Dialog zwischen Spielemachern und Spielerin, sagt der Religionswissenschaftler Tobias Knoll.
"'That Dragon, Cancer' ist ein zutiefst religiöses Spiel: Wie sehr sie das mit sich selbst und mit dem Spieler diskutieren, was sie jetzt glauben, ob Gott noch ihr Kind retten wird, und die haben bis zum Schluss dran geglaubt, dass noch ein Wunder geschieht, dass ihr Sohn verschont wird. Das ist schon fast schmerzhaft, das mitzuerleben. Einfach dieses Gefühl auch, diese Hoffnung und gleichzeitig Machtlosigkeit, die man da fühlt."
"Das hat mit dem Tod nichts zu tun"
Allerdings: Dieses Spiel ist eine Ausnahme. So intensiv und ausweglos fragen Computerspiele höchst selten nach dem Tod. Aber ein Thema ist der Tod im Computerspiel immer - auch wenn er in der Regel nicht so unter die Haut geht, sagt der zwölfjährige Karl:
"Also, wenn es unlogisch ist, rege ich mich auf, aber ich denk dann nicht: och, ich bin gestorben. Dann verlass ich das Spiel einfach und starte die Runde neu. Das ist ein Spiel. Dann steht da entweder nur 'game over' oder du respawnst, erscheinst wieder, und ich finde, das hat mit dem Tod, den ich mir so vorstelle, eigentlich null Komma null gar nichts zu tun."
Tobias Knoll sagt: "Bei Spielen geht es ja ganz viel um Handlungsmacht. Dass man etwas machen kann, dass man die Spielwelt beeinflussen kann. In dem Moment, wo der eigene Charakter tot ist, kann man das eben nicht mehr. Das wird gerne mit dem Tod gleichgesetzt, dass man das Ganze nur noch von außen beobachten kann, wenn überhaupt."
Grabsteine und Lichtgestalten
Der Religionswissenschaftler Tobias Knoll beschäftigt sich viel mit Computerspielen. Das Sterben im Computerspiel mag nicht echt sein, sagt er, die Hilflosigkeit, die man dabei fühlt, schon. Um diesen Moment zu markieren, benutzen viele Computerspiele dann immer noch die christliche Bildsprache. Karl sagt:
"Naja, man sieht meistens dann schon irgendeinen Grabstein oder man sieht, wie da dann steht: 'respawn' - 'wiedererscheinen' - oder 'Hauptmenü'."
Tobias Knoll: "Mit Lichtgestalten wird gearbeitet, mit Licht am Ende des Tunnels, was man so aus populären Darstellungen von Nahtoderfahrungen kennt. Ansonsten wird natürlich auch gerne mit Gegenwelten gearbeitet. Also mit dem, was wir so als Himmel und Hölle kennen oder vielleicht aus der griechischen Mythologie mit dem Hades, die werden auch sehr gerne als Schauplatz verwendet."
"In den meisten Spielen ist der Tod eine Metapher"
Miriam Schreiter: "Seelen, die auftauchen, nachdem die Körper gestorben sind, diese Seelen tauchen auf und werden erlöst und entschweben über den oberen Bildschirmrand - als Destination wird der Himmel angegeben. Das heißt: Symbolisch leben sie dort im Himmel weiter. Das ist nicht Teil des Spiels, explizit, aber sie kommen natürlich wieder, wenn man das Spiel noch mal von vorne beginnt. Insofern sind sie auch nie wirklich tot."
Miriam Schreiter forscht an der Technischen Universität Chemnitz zu Tod und Sterben im Computerspiel. Zu Spielen wie zum Beispiel "Headless Horseman", in dem der titelgebende kopflose Reiter harmlose und nicht so harmlose Bewohner eines kleinen Dorfes enthauptet. Von den Toten bleibt die Seele – die den Spieler anspricht.
"Meine Seele wandert zwischen Himmel und Erde, denn hier sind Dinge unerledigt geblieben": eine Aufgabe für die Spielerin. Man darf sich nicht täuschen lassen: Auch wenn das Spieldesign noch so fromm klingt - der Tod stellt im Computerspiel keine Sinnfragen, ganz im Gegenteil, sagt Miriam Schreiter:
"In den meisten Spielen ist der Tod eine Metapher. Der Tod, wie wir ihn kennen in Computerspielen, ist letztendlich ein Kommunikationsmoment. Das ist der Moment, wo der Spieldesigner dem Spieler sagt: Hier hast du einen Fehler gemacht. Ich bestrafe dich jetzt und meine Strafe ist der Tod. Du darfst noch mal von vorne anfangen."
Tobias Knoll sagt: "Es ist ja allgemein so in Spielen, dass sie viel mit binären Prinzipien arbeiten - gut und böse oder Leben und Tod. Weil sich das natürlich auch in einem Spiel gut abbilden lässt. Grauzonen sind immer sehr schwierig. Man ist entweder lebendig oder tot."
Die Leiche als Ressourcenproblem
Dass der Tod im Computerspiel in erster Linie eine dynamische Mechanik ist, sieht man vor allem an einem Punkt, sagt der Religionswissenschaftler Tobias Knoll: Es gibt keine Leichen.
"Die Leiche ist tatsächlich ein Problem in dem Sinne: Sie stellt zusätzliche Ressourcen dar, die das System haben muss. Man darf nie vergessen, wie pragmatisch oft Spielentwicklung ist."
"Sagen wir zum Beispiel bei Minecraft sieht das ja nicht realistisch aus, wenn man einen tötet, dann ist da nur so Staub oder so eine Wolke und dann macht's puff!"
Sagt Karl. Tote brauchen zu viel Speicherplatz. Und deswegen verschwinden Leichen und tote Truppen meist einfach sang- und klanglos aus dem Spiel, genauso wie die Trauer.
"Durch seine Omnipräsenz wird der Tod unsichtbar"
"Trauer kommt eigentlich nur dann zum Tragen, wenn der Tod Teil der Story ist."
Sagt der Religionswissenschaftler Tobias Knoll - er nennt als Beispiel den Tod der Figur Aerith in Final Fantasy 7.
"Die Spieler sind da wirklich erschüttert gewesen, als das passiert ist, während sie selber als Charakter sicher Hunderte von Malen gestorben sind. Weil man nimmt sich selbst sterbend gar nicht als sterbend wahr, weil man ist ja nicht tot. Man kommt ja sofort wieder, man startet ja vom letzten Speicherpunkt wieder neu, während, wenn ein Begleiter stirbt, der mit einem unterwegs war, der kommt dann eben nicht mehr wieder. Der ist dann weg."
Aber diese Trauer ist eigentlich fast ein Unfall, nicht die Regel und nicht das Ziel eines Spieles, sagt die Medienwissenschaftlerin Miriam Schreiter.
"Ich glaube, dass in den wenigsten Fällen die Spieler sich tatsächlich mit dem Tod beschäftigen, wenn sie Computer spielen. Es gibt ja die These von der Verdrängung des Todes in den medialen Raum: Dadurch, dass wir im realen Alltag relativ wenig mit echten Toten zu tun haben, verschiebt sich das Ganze in die mediale Sphäre – aber einfach durch die Omnipräsenz des Todes im digitalen Spiel wird der Tod schon wieder unsichtbar. Ein Jenseits, wie wir uns das im christlich-abendländischen Sinne vorstellen, gibt es in digitalen Spielen nicht."