Als Hauptgrund für mangelnde Fortschritte beim Klimaschutz nannte Anton Hofreiter die "Lobbymacht" und die "Inkompetenz der herrschenden" Politik. Effizienter Klimaschutz werde weltweit durch die großen Kohlekonzerne verhindert. Industrie- und Schwellenländer spielten sich gegenseitig "den schwarzen Peter zu", sagte der Fraktionschef der Grünen im Bundestag. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf eine Teilnahme am Klima-Gipfel in New York verzichte sei "peinlich" und eine "krasse Fehlentscheidung".
Dabei habe Deutschland die große Leistung erbracht, die Erneuerbaren Energien wettbewerbsfähig zu machen. Allerdings hätte die Energiewende laut Hofreiter kostengünstiger gestaltet werden können. Die Stromrechnungen der Verbraucher seien gestiegen, weil der Strompreis für die Industrie gesenkt worden sei. Dafür müsse die Normalbevölkerung aufkommen. "Deutschland hat die Energiewende in den letzten Jahren katastrophal schlecht gemanagt", sagte Hofreiter.
Peter Kapern: 2006 hat Nicholas Stern, der frühere Chefökonom der Weltbank, für Furore gesorgt. In einem Report hat er damals nachgewiesen, dass es billiger ist, dem Klimawandel vorzubeugen, statt anschließend seine Schäden zu beheben. Insbesondere der damalige britische Premier Tony Blair hat sich in seiner Klimaschutzpolitik auf diesen Stern-Bericht gestützt.
Gestern hat Nicholas Stern im Auftrag der Vereinten Nationen wieder einen Bericht vorgelegt. Verfasst wurde er von einer Kommission, die er gemeinsam mit Felipe Calderón, dem ehemaligen mexikanischen Präsidenten, geleitet hat. Der Tenor dieser Studie schwankt zwischen Alarmismus und Optimismus. Der Klimawandel droht, noch weit gravierendere Folgen zu haben, als bislang gedacht, wenn nichts geschieht. So der eine Teil der Kernaussage. Der andere Teil aber klingt durchaus hoffnungsfroh: Klimaschutz muss nicht auf Kosten des Wirtschaftswachstums gehen, so lautet er. Das ist eine Botschaft nicht zuletzt an die Adresse der Schwellenländer, die in letzter Zeit zu einer umfassenden Klimaschutzpolitik nicht willens waren, weil sie um ihren künftigen Wohlstand bangen. Ob sie ihre Position ändern, das wird man vielleicht in der kommenden Woche herausfinden, denn da hat UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon zu einem Klimagipfel nach New York eingeladen. – Bei uns ist nun am Telefon Anton Hofreiter, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Guten Morgen!
Gestern hat Nicholas Stern im Auftrag der Vereinten Nationen wieder einen Bericht vorgelegt. Verfasst wurde er von einer Kommission, die er gemeinsam mit Felipe Calderón, dem ehemaligen mexikanischen Präsidenten, geleitet hat. Der Tenor dieser Studie schwankt zwischen Alarmismus und Optimismus. Der Klimawandel droht, noch weit gravierendere Folgen zu haben, als bislang gedacht, wenn nichts geschieht. So der eine Teil der Kernaussage. Der andere Teil aber klingt durchaus hoffnungsfroh: Klimaschutz muss nicht auf Kosten des Wirtschaftswachstums gehen, so lautet er. Das ist eine Botschaft nicht zuletzt an die Adresse der Schwellenländer, die in letzter Zeit zu einer umfassenden Klimaschutzpolitik nicht willens waren, weil sie um ihren künftigen Wohlstand bangen. Ob sie ihre Position ändern, das wird man vielleicht in der kommenden Woche herausfinden, denn da hat UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon zu einem Klimagipfel nach New York eingeladen. – Bei uns ist nun am Telefon Anton Hofreiter, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Guten Morgen!
Anton Hofreiter: Guten Morgen!
Kapern: Herr Hofreiter, wird der Kampf gegen den Klimawandel mit diesem jüngsten Calderón-Stern-Bericht einfacher, da wir jetzt wissen, dass er sich auch rechnet?
Hofreiter: Er sollte eigentlich einfacher werden, beziehungsweise wenn man den ersten Stern-Bericht gelesen hat, dann konnte man schon erkennen, dass er sich rechnet, und wenn man bestimmte Dinge in Deutschland betrachtet, wie den Ausbau der Erneuerbaren Energien, und sich da nicht verhetzen lässt von ideologisch aufgeladenen Behauptungen der Kohleindustrie, dann hätte man auch schon wissen können, dass Klimaschutz sich rechnet.
Kapern: Insgesamt, Herr Hofreiter, klingt doch die Botschaft dieses Berichts zu schön, um wahr zu sein: Klima schützen und gleichzeitig in Wohlstand leben. Wenn das alles so einfach ist, warum tut sich dann in Sachen Klimaschutz so wenig, wie wir ja jedes Jahr wieder nachgewiesen bekommen bei den veröffentlichten CO2-Statistiken?
"Kohlekonzerne verhindern effizienten Klimaschutz"
Hofreiter: Der Hauptgrund ist die Lobby-Macht und die Inkompetenz der herrschenden Politik. Lobby-Macht: Die großen Kohlekonzerne – das kennen wir in Deutschland - verhindern auch in Deutschland effizienten Klimaschutz. Das nutzt zwar weder unserem Wohlstand, noch unseren Arbeitsplätzen, aber sie setzen sich halt durch. Und ich meine, schauen Sie unsere Bundesregierung an. Frau Merkel geht lieber zu einer Lobby-Veranstaltung der Industrie, statt nach New York zu reisen und sich mit Ban Ki-Moon und Obama zu treffen. Ich meine, wenn die Kanzlerin, die sich selber mal Klimakanzlerin nannte, solch krasse Fehlentscheidungen trifft, dann können Sie sich vorstellen, dass das in vielen anderen Ländern der Welt genauso schlimm ausschaut.
Kapern: Herr Hofreiter, dass Sie hier jetzt die Kanzlerin aufs Korn nehmen, das gehört ja gewissermaßen zu Ihrer Job-Description als Oppositionspolitiker. Aber in letzter Zeit hatte man doch eher den Eindruck, dass die Verantwortung für das Nichtstun in Sachen Klimaschutz eher bei den Schwellenländern als im Kanzleramt zu suchen ist.
Hofreiter: Unserer Beobachtung nach nimmt sich da das zwischen den Schwellenländern und dem Kanzleramt nichts, nämlich auch in Deutschland steigt der CO2-Ausstoß. Auch in Deutschland wird so viel Kohle verbrannt, so viel Braunkohle verbrannt, wie seit dem Ende der DDR nicht mehr. Das ist das Problem, dass jeweils sich gegenseitig der schwarze Peter zugespielt wird. Die Schwellenländer machen große Fehler, aber unsere Bundesregierung macht eben auch große Fehler, obwohl es sich sowohl für die Bundesrepublik Deutschland als auch für die Schwellenländer lohnen würde, den Klimaschutz anzugehen. Es sind ja ganz konkrete Sachen, die Erneuerbare Energien, vernünftig gestaltete Städte, insbesondere in manchen Ländern, degradierte Böden wieder auf Vordermann bringen. Es sind ja ganz konkrete Maßnahmen, und wenn man sich die einzelnen Maßnahmen anschaut, dann wird sehr schnell transparent und sehr schnell verständlich, dass Klimaschutz sich lohnt.
Kapern: Schauen wir mal auf einige Punkte aus diesem Report. Die kommen den Menschen hier in Deutschland ja doch ziemlich bekannt vor. Nehmen wir mal diesen einen Punkt: Die Autoren der Studie fordern, die Subventionen für fossile Energieträger abzubauen - das haben wir ja bei der Steinkohle in Deutschland getan - und dann auf die Erneuerbaren zu setzen, und auch das haben wir in Deutschland getan, mit der Folge, dass von wachsendem Wohlstand jedenfalls bei Otto Normalverbraucher keine Rede sein kann. Da ist ja die Stromrechnung vor.
Hofreiter: In Deutschland haben wir auch eine ganz große Leistung bei den Erneuerbaren Energien gebracht. In Deutschland sind die Erneuerbaren Energien entwickelt worden, und zwar von teuer zu nun wettbewerbsfähig. Jetzt, wo die Erneuerbaren Energien wettbewerbsfähig sind, ausgerechnet jetzt wird in Deutschland dieser Pfad abgebrochen. Deutschland hat über 100 Milliarden Euro investiert, um die Erneuerbaren Energien wettbewerbsfähig zu machen, und jetzt brechen wir den Pfad ab. Aber wenn Sie in manche Regionen gehen, zum Beispiel nach Aurich in Nordfriesland, wo Enercon entstanden ist, da sehen Sie sehr wohl was vom wachsenden Wohlstand. Deutschland hat auch gleichzeitig in den letzten Jahren die Energiewende katastrophal schlecht gemanagt, so dass wir gleichzeitig massiv steigende Braunkohleverstromung haben. Man hätte das, wenn man es anders gemanagt hätte, auch weitaus klüger, kostengünstiger für die Menschen und wohlstandsvermehrender gestalten können.
Kapern: Aber jetzt sind Sie ein wenig meiner Frage ausgewichen, Herr Hofreiter. Wie ist das Versprechen des Calderón-Stern-Reports von Klimaschutz bei gleichzeitigem Wohlstandsgewinn zu bewerten, angesichts der Tatsache, dass es immer schwieriger wird, die Stromrechnung hier in Deutschland zu bezahlen?
Hofreiter: Die Frage habe ich Ihnen exakt versucht zu beantworten.
Kapern: Na dann unternehmen Sie noch mal einen Anlauf. Vielleicht verstehe ich es dann.
"Irre entwicklungspolitische Leistung für die ganze Welt"
Hofreiter: Herr Stern hat beschrieben, dass die Erneuerbare Energie inzwischen extrem kostengünstig ist. Warum die Stromrechnung in Deutschland gestiegen ist, das liegt erstens daran, dass für die Industrie, vor allem die energieintensive Industrie, der Strompreis gesunken ist, was dann allein die Normalbevölkerung bezahlen muss, dann, dass es die letzten drei Jahre extrem schlecht gemanagt worden ist, so dass man zu solchen Zahlen gekommen ist, nämlich zwischen Erneuerbaren Energien und einem Braunkohle-Steinkohle-System, und des Weiteren, dass Deutschland die große Leistung erbracht hat, die Erneuerbaren Energien wettbewerbsfähig zu entwickeln, und das, was Sie jetzt bezahlen, sind die Kosten aus der Vergangenheit. Deswegen schlagen wir, ähnlich wie Töpfer, einen Fonds vor, einen Fonds, in dem die Entwicklungskosten für die Erneuerbaren Energien vom Strompreis weggenommen werden. Sie bezahlen sozusagen und ich bezahle und jeder Privatmensch über seine Stromrechnung die Entwicklungskosten der Erneuerbaren Energien in den vergangenen Jahren, aber jetzt sind die Erneuerbaren Energien kostengünstig. In sonnenreichen Gebieten können Sie Dank der Pionierleistung Deutschlands inzwischen eine Kilowattstunde Fotovoltaik-Strom für vier Cent produzieren, was eine irre Leistung ist. Das ist auch eine irre entwicklungspolitische Leistung, die Deutschland für die ganze Welt erbracht hat.
Kapern: In diesem Report, Herr Hofreiter, da finden sich auch Anregungen, die Ihnen möglicherweise die Haare zu Berge stehen lassen. Da heißt es nämlich, dass die Techniken zur Abscheidung und Speicherung von CO2 in Verbrennungsprozessen getestet werden und entwickelt werden sollen. Müssen die Grünen umdenken, wenn sie diesen Klimaschutzreport ernst nehmen?
Hofreiter: Diese Techniken stehen schon sehr, sehr lange in vielen Reports. Bis jetzt zeigen sich diese Techniken alle als unzuverlässig, als teuer, als ökonomisch nicht wirtschaftlich, als Maßnahmen, die potenziell gefährlich sind. Sie müssen sich klar machen, so ein Report ist natürlich auch immer ein Kompromiss aus verschiedensten Vorstellungen, und deshalb muss es nicht klug sein, auch alle Risiko-Technologien, die in einem Report erwähnt sind, zu übernehmen. Es wäre einfach schon schön, wenn die Bundesrepublik Deutschland 90 bis 95 Prozent übernehmen würde, nämlich dann würden wir unglaublich viel erreichen und müssten nicht auch noch die letzten drei, vier Prozent an Maßnahmen, die umstritten sind, übernehmen.
Kapern: Was erwarten Sie von dem Gipfel nächste Woche in New York?
"In China geht die Energiewende schneller voran als in Deutschland"
Hofreiter: Von dem Gipfel in New York erwarte ich, dass insbesondere die Schwellenländer und die USA erkennen, dass ihr bisheriger Weg, den Klimaschutz zu ignorieren mit der Begründung, er schadet dem Wohlstand, dass dieser Weg endlich verlassen wird. Obama hat ja angekündigt, dass jetzt die USA doch auf Klimaschutz setzen. In China sehen wir eine starke Trendwende. In China geht der Ausbau der Erneuerbaren Energien inzwischen schneller voran als in Deutschland. Also ich erwarte, dass sich hier vieles verändert. Umso bedauerlicher und peinlicher ist es, dass Deutschland sich nicht an diesem Gipfel beteiligt, denn man muss sich klar machen: Es sind nur Regierungschefs zugelassen. Wenn Frau Merkel nicht hinfährt und stattdessen sich mit Lobbyisten trifft, ist Deutschland schlichtweg de facto nicht vertreten.
Kapern: Anton Hofreiter, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Hofreiter, danke für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.
Hofreiter: Danke, Ihnen auch.
Kapern: Auf Wiederhören!
Hofreiter: Auf Wiederhören.
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