Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK), gibt sein Amt nach sechs Jahren auf. Für die Nachfolge haben die Sozialwissenschaftlerin Irme Stetter-Karp und der Theologe und Unternehmensberater Ulrich Hemel ihren Hut in den Ring geworfen.
Zu den wichtigsten Meilensteinen der Amtszeit des scheidenden Präsidenten gehört, dass sich die Katholische Kirche auf den Reformprozess Synodaler Weg begeben hat als Folge der Studie über sexuelle Straftaten von Priestern und Ordensleuten.
Sternberg zog insgesamt ein positives Resümee seiner Amtszeit. Er betonte die große Unterstützung der katholischen Laien für den Synodalen Weg. Er warnte auch vor einseitigen Schuldzuweisungen gegenüber Bischöfen beim Thema sexualisierte Gewalt in der Kirche. Die Laien hätten sich "auf den Weg gemacht", sich damit zu beschäftigen, wo es auch bei Laien "Missbrauchsprobleme" gegeben habe. Manche Gemeinden und Gruppen hätten "das Ganze noch gestützt und unterstützt" und mit einem "Co-Klerikalismus" dafür gesorgt, dass "das Ganze unter der Decke blieb". Laien seien in den Bistümern aber gleichzeitig sehr engagiert in der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle und in der Präventionsarbeit, betonte Sternberg. Deshalb sei die Aufarbeitung auch "keine reine Katastrophe".
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Das Thema der Gewaltenteilung spielt beim Synodalen Weg ebenfalls eine wichtige Rolle. Der „uralten Forderung der Katholiken“ nach einer Verwaltungsgerichtsbarkeit habe sich die Deutsche Bischofskonferenz angeschlossen – und eine Anfrage nach Rom geschickt. Die sei „skandalöserweise“ noch nicht beantwortet. Eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit würde Gläubigen und Pfarrgemeinden mehr Beschwerderechte geben. Auch das Handeln von Bischöfen und die Einhaltung von Normen könnten unabhängig geprüft werden.
Die Rolle der Frauen in der Katholischen Kirche ist ein weiterer wichtiger Punkt für die Synodalen. Sternberg wies darauf hin, dass bereits deutlich mehr Frauen in kirchlichen Leitungsfunktionen tätig seien. Die umstrittene Frage nach der Weihe von Frauen zu Priesterinnen werde „mit aller Wucht auf den Tisch kommen“. Er räumte ein, dass die Katholische Kirche die Diskussion um die Partizipation von Frauen lange weggedrängt habe.
Das Interview im Wortlaut:
Heinemann: Herr Sternberg, wie weit ist der Synodale Weg inzwischen gekommen?
Sternberg: Wir waren beim Synodalen Weg ja mit einem vollen Jahr Verzug durch Corona und wir hatten jetzt die zweite Synodalversammlung mit Abstimmungen und die erste mit Abstimmungen über inhaltliche Texte. Das heißt, bei der ersten Versammlung hatten wir Geschäftsordnungsthemen und Ähnliches. Und ich muss sagen, das war schon eine absolut wichtige Hürde, die wir da genommen haben, obwohl wir noch keine Texte bis ins Detail geklärt haben. Aber dass wir da wichtige Grundlagentexte mit durchaus auch provokanten Inhalten mit Mehrheiten zwischen 76 und 92 Prozent verabschieden konnten, hat mich erfreut und gewundert.
Heinemann: Warum haben die Bischöfe das letzte Wort?
Sternberg: Das ist einfach nach Kirchenrecht so, obwohl unsere Synode nicht nach Kirchenrecht funktioniert. Man kann nicht nach einem Recht eine Synode machen, die eine solche Synode nicht ermöglicht. Das Kirchenrecht ist so angelegt, dass tatsächlich Bischöfe da das letzte Wort haben, wobei wir eine Regelung eingeführt haben, und da haben wir es so gemacht, dass im Grunde genommen bei solchen Mehrheitsabschlüssen und Mehrheitsbestimmungen, wenn dann ein Bischof in einem kleinen Bistum eine Regelung nicht umsetzt, dann gibt es schon einen erheblichen Druck und das wird auch nicht ganz ohne Folgen bleiben. Außerdem: Selbst wenn das in ein paar Bistümern passierte, so etwas kann sich dann auch biologisch regeln.
Heinemann: Was meinen Sie damit?
Sternberg: Wenn der nächste Bischof kommt, ist das dann eingeführt, denn wie gesagt, man kann in einem Land nur ganz schwer einzelne Bistümer herausbrechen. Aber ansonsten: Wir sind keine Nationalkirche.
"Auch bei Laien hat es Missbrauchsprobleme gegeben"
Heinemann: Sie haben vom Kirchenrecht gesprochen und von der Rolle der Bischöfe. Das sind ja genau diejenigen, von denen viele lieber ihre Brüder im Nebel geschützt haben, als den Opfern am Abgrund zu helfen. Welche Zukunft hat eine solche Kirche?
Sternberg: Ich bin sehr, sehr vorsichtig mit Schuldzuweisungen und mit den flotten Sprüchen in diesen Fragen, denn als Laien haben wir uns auf den Weg gemacht, uns damit zu beschäftigen, wo es auch bei Laien Missbrauchsprobleme gegeben hat und Missbrauch gegeben hat, und auch, wo es Gemeinden sogar gegeben hat und Gruppen, die das Ganze noch gestützt und unterstützt haben, wo die mit einem Co-Klerikalismus dafür gesorgt haben, dass das Ganze unter der Decke blieb. Wie gesagt, hier bin ich sehr vorsichtig mit flotten Schuldzuweisungen. Ich glaube, dass dieser ganze Komplex Missbrauch unsere Gesellschaft noch in einer Weise aufwühlen wird, wie es die Katholische Kirche jetzt längst getan hat.
"Betroffenen-Perspektive ist das Wichtigste, was wir haben"
Heinemann: Meinen Sie mit flotten Sprüchen auch die Anklagen der Opfer?
Sternberg: Überhaupt nicht! Denn die Betroffenen-Perspektive ist das Wichtigste, was wir überhaupt haben, und haben in diesen ganzen Jahren der Aufarbeitung haben nicht nur Bischöfe, da haben alle gelernt und haben auch gelernt, um was für ein monströses Thema es sich da handelt bei der Frage Kinderschutz und Kindesmissbrauch.
Laien in der Präventionsarbeit engagiert
Heinemann: Und welche Note stellen Sie der Amtskirche bei der Aufarbeitung dieser Missbrauchsangelegenheit aus?
Sternberg: Genau das, glaube ich, geht nicht, weil das immer sehr unterschiedlich läuft, und es war auch richtig, dass die Presse immer wieder darauf hingewiesen hat, wo es Defizite gibt. Aber andererseits muss ich sagen, die Frauen und Männer, das sind meistens Laien, die in den Bistümern das im Moment sehr engagiert machen und die eine Präventionsarbeit hingelegt haben, an der sich viele was abgucken können, die kann ich nicht einfach pauschal bewerten. Aber eins weiß ich sicher: Es ist keine reine Katastrophe.
Heinemann: Welche Rolle, Herr Sternberg, spielt in der Hierarchie die Machtfrage?
Sternberg: Machtfragen spielen immer eine entscheidende Rolle. Das ist völlig klar. Und Macht ist ja auch nichts Böses.
Heinemann: Auch in Kirche?
"Eine Reihe von Bischöfen sind bereit, Macht abzugeben"
Sternberg: Aber selbstverständlich! Macht ist immer, wenn Menschen miteinander zu tun haben, ein ganz wesentlicher Faktor. Das ist einfach grundsätzlich so. Die Frage ist nicht, ob es Macht gibt, sondern die Frage ist, wie Macht ausgeübt wird, wer Macht wie bekommt, wie sie kontrolliert wird und wie man sie zum Beispiel unter Umständen auch temporär auf Zeit verleiht. Das sind Dinge, die werden durchaus jetzt intensiv diskutiert.
Heinemann: Wenn wir auf den Synodalen Blick schauen, welche Ängste löst denn die Vorstellung aus, Macht abgeben zu müssen?
Sternberg: Ich bin zumindest erstaunt darüber, dass sich eine ganze Reihe von Bischöfen sogar öffentlich geäußert haben und gesagt haben, sie seien bereit, Macht abzugeben. Und eins ist ganz bezeichnend: Die Forderung nach einer Verwaltungsgerichtsbarkeit, übrigens eine uralte Forderung der Katholiken in Deutschland, ein Stück Gewaltenteilung in der Katholischen Kirche, diese Forderung nach Verwaltungsgerichtsbarkeit hat die Deutsche Bischofskonferenz einstimmig übernommen und eine solche Anfrage nach Rom geschickt. Skandalöserweise ist das immer noch nicht beantwortet. Das liegt schon seit Monaten da.
"Eine ganze Reihe von Frauen auf leitenden Positionen"
Heinemann: Was heißt diese Machtteilung jetzt mal bezogen auf die Rolle von Frauen in der Kirche?
Sternberg: Ich glaube, da ist auch in den letzten Jahren eine ganze Menge passiert, natürlich längst nicht genug. Aber dass ich jetzt zum Beispiel in dieser Vollversammlung die Vertretung der Deutschen Bischofskonferenz eine Frau ansprechen darf, Frau Dr. Gilles, oder ich war am Montag in Bremen und da durfte ich für das Bistum Osnabrück eine Frau begrüßen als offizielle Vertreterin des Bistums, eine Hauptabteilungsleiterin. Wir haben mittlerweile doch eine ganze Reihe von Frauen auf leitenden Positionen. Das heißt, wir haben die Frage der Weihe. Das haben wir mit anderen Religionen und anderen Konfessionen gemeinsam, dass das auf Männer beschränkt ist, noch beschränkt ist. Aber dass Frauen keine Rolle mehr spielten in der kirchlichen Verwaltung und Repräsentation und Aufgabenstellung, das kann man nun auch nicht mehr sagen, zumal ja viele Gemeinden längst weiblich sind.
Heinemann: Und in der Hierarchie?
Sternberg: In der Hierarchie, sage ich ja. In der Hierarchie spielen die eine Rolle mittlerweile in den Bistumsleitungen. Das entscheidende Problem, was Sie ansprechen, ist natürlich richtig.
Weihe von Frauen "wird jetzt mit Macht auf den Tisch kommen"
Heinemann: Herr Sternberg, in der Bistumsleitung gibt es keine einzige Frau. Wollen wir das noch mal klarstellen.
Sternberg: Das ist nicht wahr, das stimmt nicht.
Heinemann: Welche katholische Bischöfin kennen Sie?
Sternberg: Moment! Keine Leiterin eines Bistums. Ich wollte gerade sagen, die Verbindung von Weihe und Leitung ist durchaus eine wichtige Frage und wir haben tatsächlich keine Bischöfin, so wie es übrigens auch bis 1977 in der Evangelischen Kirche nie eine Frau gegeben hat und in der Orthodoxie auch nicht und beim Judentum bis auf die Liberalen völlig undenkbar und im Islam auch. Das heißt, das ist ja keine Frage, die mal eben jetzt hier irgendwelcher bornierten Katholiken. Unser Problem ist, dass wir seit 1980 diese große, alle gesellschaftlichen Bereiche umfassende Diskussion um Partizipation von Frauen versucht haben, lange wegzudrängen und etwa die Weihefrage nicht zu diskutieren. Die wird jetzt mit Macht auf den Tisch kommen.
Heinemann: Inwiefern gehört die Fixierung der Katholischen Kirche auf die Eucharistie, auf die Kommunion, für die ja ein geweihter Mann benötigt wird, zu dieser Machtfrage?
Sternberg: Die Frage der Eucharistie ist noch mal eine spezielle Frage zur Definition der Weihemöglichkeit von Frauen. Das ist vor allen Dingen ein Sonderthema. Ich glaube, das ist nicht die entscheidende Frage, denn der Vorsitz bei der Eucharistiefeier, das ist eine Frage, die hängt damit zusammen, ob ich mir vorstellen kann, dass die wesentliche Funktion auch von einer Frau wahrgenommen werden kann. Das wird wie gesagt zurzeit intensiv diskutiert, nicht zuletzt auch übrigens im Synodalen Weg.
"Eine Menge Leute, die sehr reformbereit sind"
Heinemann: Inwiefern, Herr Sternberg, unterstützen Katholikinnen und Katholiken, die Kirchensteuer zahlen, eine Hierarchie, die an ihrer Vormachtstellung festhält?
Sternberg: Ich finde schon die Frage etwas merkwürdig. Eine Hierarchie, die an ihrer Vormachtstellung festhält, das ist, glaube ich, nicht ganz richtig. Sehen Sie, das sind Menschen, die sind in einer bestimmten Struktur, in einer bestimmten Rechtsstruktur in Positionen gekommen und versuchen, diese Positionen auszuüben, und ich sehe da nicht jetzt eine Gruppe von irgendwelchen bösen Leuten, die mit Macht, die mit falscher Macht irgendwas zusammenbindet und zusammenreißt, sondern ich sehe eine Menge von Leuten, die sehr reformbereit sind, die Dinge diskutieren, die auch für Veränderungen offen sind und die versuchen, mit dieser Kirche, wie wir sie haben und wo tatsächlich eine Reihe von Reformbedürfnissen da sind, wie man damit richtig umgeht und wie wir die so hinbekommen, dass Menschen wieder sagen, ja, da möchte ich auch gerne Mitglied sein.
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