Abrakadabra, Hokuspokus in der Haute Cusine - der Kochlöffel wird zum Zauberstab. Christian Jürgens rührt damit in einem blitzenden Edelstahltopf, dirigiert das Geschmacksorchester, komponiert das Menü. Der Sternekoch, ein Künstler der Kulinarik.
"Sehen Sie, da muss ich gleich schon uncharmant Einspruch erheben: Ich würde mich nie als Künstler bezeichnen. Ich glaube, dass ich mich eher im Handwerk wieder finde."
In strahlend weißer Kochjacke steht Christian Jürgens in der Restaurantküche im Seehotel Überfahrt am Tegernsee. Er mischt die Farben der Aroma-Palette - süß, sauer, salzig. Eine Beurre Blanc, eine weiße Buttersoße, köchelt auf dem Herd vor sich hin: Blubbernd steigen Blasen auf. Es duftet! Ein Hauch von Lauch und Schalotten, Nelken und Wacholderbeeren, Lorbeerblatt und weiße Pfefferkörner.
"Man sagt mir nach, dass ich kreativ bin. Eigentlich hinkt der Vergleich. Ich finde das auch ein wenig irritierend. Es gibt Menschen, die sagen dann immer: Das ist ein Akkord in diesem Menü und so weiter. Das bin ich nicht."
Bescheidenheit und ein gesundes Selbstbewusstsein zeichnen den Küchenchef Christian Jürgens aus. 1968 kommt er in Nordrein-Westfalen zur Welt, wächst in einer Metzgerfamilie auf. Mit 16 Jahren die Kochlehre, Stationen bei Feinkost Käfer und im Tantris, mit 30 bereits der erste Michelin-Stern.
"Ich erinnere mich heute noch an Gerichte, die ich vor 20 Jahren gegessen habe. Ich war mal in einem sehr guten Restaurant in Österreich, da habe ich einen Markknödel bekommen, in einer ganz normalen Rindssuppe. Und der geht mir bis heute nicht mehr aus dem Kopf, weil der ungefähr so groß war - ja, vielleicht ein bisschen größer als ein Tischtennisball und von einer solchen Zartheit, wenn ich den mit dem Löffel nur bedroht habe, hat der sich zerteilt - ein solch toller Geschmack und so flauschig, dass ich das nie vergessen werde. Ich kann ihn aber nicht mehr auf meiner Zunge zurückrufen - welche Aromen da drin waren. Ich weiß nur, dass der besonders gut geschmeckt hat."
Seit 2008 bereitet Christian Jürgens mit seinem kleinen Team am Tegernsee täglich nur zwei, drei, vier Dutzend Gästen Gaumenfreuden von aller höchstem Niveau - dafür gab es inzwischen den dritten Michelin-Stern.
Flüchtige Geschmackswolken zergehen auf der Zunge. Vom Hochgenuss bleibt die bittersüße Erinnerung an kunstvoll drapierte kulinarische Skulpturen auf den Tellern, das Schwelgen im vergänglichen Kunstgenuss - im Gaumenkitzel der Küchenwunder.
"Ich hadere nicht mit den Dingen und sage: Jetzt habe ich das schön angerichtet und der Gast verspeist es dann, sondern ich sage: Jetzt habe wir das toll gekocht und ich freue mich darauf, dass der Gast ein solches Schmunzeln wie sie jetzt gerade auf dem Gesicht trägt, wenn er dann das Ganze probiert und sagt: Genau das wollte ich heute essen, das schmeckt mir gut."
Mit seiner Küche holt Christian Jürgens den Tegernsee ins Restaurant. Als "weltoffene Regionalität" bezeichnet er sein Fünf- oder Sieben-Gänge-Menü. Los geht es mit einem Amuse-Bouche, einem Gruß aus der Küche. Serviert, nicht auf Tellern, sondern auf faustgroßen Kieselsteinen.
"Wir haben diese Steine in der Weißach gesammelt. Auf die wird eine Creme aus Apfel und Meerrettich aufgestrichen, die fast in diesem gleichen Grau ist wie diese Steine. Und darauf werden dann ein paar Gräser und Kräuter gepflanzt, streuen ein wenig aufgepoppten Chinoa darüber, wie wenn so ein bisschen kleine Standstückchen oben drauf liegen. Und das wird zusammen mit einer Wurzel, in die wir unser hausgemachtes Knäckebrot reinstecken, auf den Tisch gestellt. Viele unserer Gäste - und das ist auch durchaus so bezweckt - halten das erst mal für eine Dekoration."
Christian Jürgens dekonstruiert für seine Kreationen die Natur. Wie filigrane Kunstwerke wirken die Verästelungen aus Schokolade - er pulverisierte Saisonfrüchte als Herbstlaub, Ochsenmark in einem Gelee aus Rinderbrühe wird zu einer Erinnerung an den Bernstein in der Landschaft um den Tegernsee. So wird der Gast zum Gourmet-Flaneur der Jahreszeiten und beschreitet zusammen mit dem Sternekoch - Bissen um Bissen - ein Neuland der Gaumen-Freuden.
"Wenn man die Wege geht, die vorher noch niemand gegangen ist, dann hinterlässt man Spuren und nicht nur Staub. Ich möchte schon mal, dass man in ein paar Jahren sagt: Da war der Jürgens und das hat der gemacht. Das würde mich mit großen Stolz erfüllen."