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Sternenfall

"Höher, weiter, größer" scheint das Motto des Kunstsommers 2007 zu werden, und da passt, dass die große Einzelschau für Anselm Kiefer im Grand Palais Paris sich gleich "Monumenta" nennt. Kiefer ist der erste Künstler, der das vor einem Jahr wiedereröffnete Grand Palais allein bespielen darf. Im Zentrum der Ausstellung stehen die Überreste eines 17 Meter hohen Turms aus Beton und Blei, den Kiefer erst aufbaute, dann kurz vor der Vernissage wieder einreißen ließ.

Von Kathrin Hondl |
    Über 13.000 Quadratmeter Fläche unter einem gigantischen Glasdach mit einer 45 Meter hohen Glaskuppel - das Grand Palais, gebaut für die Weltausstellung von 1900, ist ein spektakuläres Gebäude; und für große Spektakel wird es auch genutzt: Großausstellungen, Kunstmessen, ja sogar Rummelplätze gab es hier schon seit der Wiedereröffnung vor gut einem Jahr. Anselm Kiefer ist der erste Künstler, der den spektakulären Raum allein bespielen durfte. Eine Herausforderung. "Man muss mit dieser Architektur kämpfen", sagt Kiefer. Die Spuren des Kampfes sind gleich beim Betreten der riesigen Halle unübersehbar: In der Mitte am Boden liegen Betonplatten, Eisenstangen, Geröll, dahinter eine Turmruine aus Betonplatten und Bleielementen. Noch kurz vor der Vernissage war die Turmruine ein 17 Meter hoher, zwei Meter breiter imposanter, zentraler Turm, benannt wie die ganze Ausstellung: "Sternenfall". Doch dann hat ihn Kiefer wieder zerstört.

    " Der hat konkurriert mit dem Gebäude, und das war nicht gut. Ich hab dann gedacht, hier muss man vertikal bleiben. Und hab ihn dann zerstört und hab was Neues draus gemacht. Also jetzt ist das eine Skulptur, die anders aussieht. Aber das mach' ich andauernd. Dass ich etwas versuche, dann zerstöre, wieder aufbaue. Das ist der normale Prozess, im Leben auch. "

    Um die Turmruinen-Skulptur herum hat Anselm Kiefer im Grand Palais sieben Häuser gebaut. Häuser, wie er sie auch schon in Barjac in Südfrankreich gebaut hat, auf dem Gelände in der Nähe von Nîmes, wo er seit 1993 lebt und arbeitet. Die Häuser sind zwischen neun und 14 Meter hoch, die Fassade aus Wellblech, die Wände innen weiß. Milchglasfenster an der Decke bringen Oberlicht hinein - und erinnern immer wieder auch an den Ausstellungsort, das Grand Palais: Wenn die Sonne scheint, wird die Stahlarchitektur des Glasdaches als Schatten in den Häusern sichtbar. Jedes Haus ist für ganz bestimmte Arbeiten gedacht und gebaut.

    " Man kann Bilder ja umbringen. Wenn man die in den falschen Zusammenhang bringt. Wenn man Blumen daneben stellt, oder was nicht dazu passt dann kann man die wirklich töten. Die Bilder. Und das ist mir oft passiert, wenn ich in Sammlungen war. Wenn das dann so zusammengewürfelt ist oder auch in Museen. Nicht alle. Manche Museen hängen des gut. Und ich denke, dass jedes Bild seinen eigenen Raum braucht, um zu wirken. "

    Jedes Bild oder ganze Werkgruppen. Das Haus mit dem Titel "Palmsonntag" beherbergt zum Beispiel eine Installation mit 33 Arbeiten: Am Boden liegt eine tote Palme. Eine riesige entwurzelte 18-Meter-Palme, unten hängt noch ein großer brauner Erdballen dran, die Blätter des Wipfels sind vertrocknet. An der gegenüberliegenden Wand hängen Material-Bilder aus bröckelnder Tonerde, Kohlezeichnungen und immer wieder Palmblättern, die in Gips getaucht wurden. Als aufrechte, kleine, weiße, filigrane Skulpturen bilden sie einen Kontrast zur am Boden liegenden wuchtigen toten Palme. Ein Kontrast, der - so suggeriert es der Titel "Palmsonntag" - an die christliche Liturgie erinnert: Jesus Christus' triumphalen Einzug in Jerusalem und die kommende Kreuzigung.

    Religion, Geschichte, Natur, Mythologie, Literatur, Poesie - die vielfältigen Quellen und Bezüge von Anselm Kiefers Kunst spiegeln sich in den Titeln seiner "Häuser" im Grand Palais wider: "Aperiatur Terra", Die Milchstraße, "Reise ans Ende der Nacht", "Geheimnis der Farne". Das Haus mit der Nummer 1 heißt "Nebelland". Wie das Bild, das es umgibt. Und wie ein Gedicht von Ingeborg Bachmann. Die letzten beiden Zeilen des Gedichts hat Kiefer auf sein Bild geschrieben:

    "Nebelland hab ich gesehen, Nebelherz hab ich gegessen"

    Ingeborg Bachmann und auch Paul Celan sind in dieser Ausstellung omnipräsent - wie immer bei Anselm Kiefer.

    " Das sind Dichter, mit denen ich lebe. Das sind für mich wichtige Personen, mit denen ich noch kommuniziere, die mir sagen, wenn ich was falsch mache, denen ich meine Arbeit vorlege als Kritiker. "

    Ein ‚neuer' Anselm Kiefer ist im Grand Palais also kaum zu entdecken - wohl aber ein ‚neues' Grand Palais. Anselm Kiefer nimmt den Ausstellungspalast als eine Art Landschaft, als unendlichen Ort, an dem er, der Künstler souverän agiert und konstruiert, zerstört und wiederaufbaut. Kiefers "Monumenta" im monumentalen Grand Palais funktioniert vor allem deshalb: Weil sie Monumentalität virtuos in Frage stellt.

    " Der Begriff monumental, der reicht nicht, weil der Ptolemäus der hat noch gedacht, das sei ‚ne Kuppel, wo die Sterne festgemacht sind. Aber heute weiß man: das geht ja immer weiter. Also: wo fängt die Monumentalität an, und wo hört sie auf? Es gibt eigentlich gar nichts Monumentales. Im Verhältnis zum Kosmos. "