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Stets bemüht

Ach, Leute, jetzt nehmt doch mal die Empörung aus dem Gesicht und steckt den anklagenden Zeigefinger wieder in die Nase – wo soll denn, bitte sehr, der Skandal sein? Politiker sind grundsätzlich nicht in der Lage, Doktorarbeiten zu schreiben.

Von Peter Zudeick |
    Wenigstens keine Doktorarbeiten nach den herkömmlichen Regeln. Die müssen selbst verfasst sein, und zwar ganz und nicht überwiegend, und sie müssen einen Beitrag zur Wissenschaft leisten. Also dieselbe irgendwie weiterbringen. Wie soll denn ein Politiker so was hinkriegen? Und warum? Es geht doch nur um den schmückenden Titel und sicherlich nicht um Wissenschaft. Schon aus Zeitgründen nicht.

    "Wie oft wurde der Kairos der Fertigstellung durch freiberufliche wie später parlamentarische 'Ablenkung' versäumt, bevor die Erkenntnis dieses traurigen Faktums einer bemerkenswerten Mischung aus eherner professoraler Geduld, sanftem, aber unerbittlichem familiären Druck und wohl auch ein wenig der beklagenswerten Eitelkeit weichen durfte."

    So schreibt der Freiherr im Vorwort. Kairos, wir Altgriechler wissen es, heißt "günstiger Augenblick". Will sagen: KT, wie wir Freunde ihn nennen dürfen, hatte anderes zu tun als zu promovieren, aber man hat ihn zum Erfolg geschubst. Will man da noch Wissenschaftlichkeit einfordern? Das ist bei Politikern ohnehin nicht üblich. Kristina Schröder hat, als sie noch Köhler hieß und bloß Bundestagsabgeordnete war, eine Doktorarbeit vorgelegt mit dem schönen Titel: "Gerechtigkeit als Gleichheit? Eine empirische Analyse der objektiven und subjektiven Responsivität von Bundestagsabgeordneten". Empirische Analysen sind üblicherweise Gegenstand von Seminararbeiten und nicht von Dissertationen. Abgesehen davon, dass ihr bei der Empirie die eigene Partei hilfreich zur Seite stand. Aber was soll's? Naturwissenschaftler haben's leichter.

    "Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten auf der Grundlage quantentheoretischer und statistischer Methoden". Das ist der Titel von Angela Merkels Doktorarbeit. Wen soll da interessieren, von wem sie abgekupfert hat? Irmgard Schwaetzer zum Beispiel, früher mal Bauministerin, hat auch einen Doktor vor dem Namen. Ihr Dissertationsthema: "Derivat des 4-Azaphenantrenringsystems durch intramolekulare Cyclisierungsreaktion. Synthese von substituierten 1,2,3,4,7,8,9,10-Octahydro-5,6-benzochinolinen." Da will niemand mehr genauer hinschauen. Da geht's in den Geisteswissenschaften doch ganz anders zu. "Die politische Entwicklung in der Pfalz und das Wiedererstehen der Parteien nach 1945", mit diesem schönen Besinnungsaufsatz wurde Helmut Kohl 1958 Doktor. Diesem Werk verdanken wir profunde Einsichten wie diese:

    "Die Pfalz beheimatet einen fröhlichen und weltoffenen Menschenschlag, der viel Sinn für gesellschaftliches Zusammenleben und die Freuden der Zeit hat und dem dogmatischen Denken abgeneigt ist."

    Das ist doch allemal einen akademischen Titel wert. Genau wie dieser Satz:

    "Im Dunst nebelhafter Verschwommenheit gezeugte und geborene Erkenntnisse zerfließen nur allzu oft im harten Licht der internationalen Rechtswirklichkeit."

    Manfred Wörner ist das eingefallen zum Thema "Strafgerichtsbarkeit über Truppen bei einverständlichem Aufenthalt auf fremdem Staatsgebiet". Schon war er Doktor. Gerhard Stoltenberg, der auch mal Verteidigungsminister war, promovierte 1954 mit der Arbeit "Der deutsche Reichstag 1871–1873" und habilitierte sich 1962 mit der Schrift "Politische Strömungen im schleswig-holsteinischen Landvolk 1918–1933". Um keine Fehler zu machen, hielt er sich in dieser Arbeit eng an einen Aufsatz eines Kieler Soziologiedozenten, ohne auf seine Quelle eigens hinzuweisen. Und so ähnlich ist das auch bei unserem Freiherrchen. "Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU" heißt seine Dissertation. Gibt es irgendetwas, was zur

    Verfassungsentwicklung in den USA und in Europa noch nicht geschrieben worden ist? Und wenn schon alles bekannt ist, warum muss man denn eigens darauf hinweisen, wo man abgeschrieben hat. Zeitungsschreiber tun das auch nicht. Und nun soll ich mich darüber aufregen, dass der Freiherr aus Zeitungen abgeschrieben hat, ohne das ausdrücklich kenntlich zu machen? Es ging doch schließlich um eine gute Sache. Nämlich um die Erlangung der Doktorwürde der juristischen Fakultät der Universität Bayreuth. Dafür müssen hin und wieder auch mal Opfer gebracht werden. Die Wissenschaft wird schon nicht daran zugrunde gehen.