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Steuer auf Einwegverpackungen
"Wir wollen weg von der Wegwerfkultur"

Tübingen plant die Einführung einer Steuer auf Einwegverpackungen von Geschäften, Cafés und Imbissbuden. Ziel der Maßnahme sei letztlich, ein Mehrweg- oder Pfandsystem durchzusetzen, sagte Oberbürgermeister Boris Palmer im Dlf. Mit langfristigen Einnahmen durch die Steuern rechnet er daher nicht.

Boris Palmer im Gespräch mit Georg Ehring | 21.12.2018
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    Oberbürgermeister Boris Palmer will die Verursacher für die Müllentsorgung zahlen lassen (dpa/Sebastian Gollnow)
    Georg Ehring: Immer mehr Menschen lassen sich ihr Essen nach Hause liefern, oder sie holen es selbst im Restaurant ihrer Wahl ab. Das ist bequem, jedenfalls einfacher als selber kochen. Doch wie so vieles hat auch dieser Trend eine Schattenseite und die heißt Müll. Plastik- oder Aluschalen werden oft nur einmal gebraucht, dann landen sie im gelben Sack oder in der gelben Tonne, wenn es gut geht.
    Der Stadtrat von Tübingen will solche Verpackungen jetzt besteuern, und darüber spreche ich mit Boris Palmer, dem Oberbürgermeister von Tübingen. Guten Tag, Herr Palmer.
    Boris Palmer: Guten Tag, Herr Ehring.
    Ehring: Herr Palmer, zunächst: Wie hoch wird die Steuer worauf genau?
    Palmer: Wie hoch wissen wir noch nicht. Sie soll so hoch werden, dass das Einwegzeug sich wirtschaftlich nicht mehr lohnt. Wahrscheinlich reden wir dann schon von 50 Cent oder einem Euro für einen Becher oder so einer Schale. Ums nach Hause liefern geht es übrigens nicht. Uns geht es um die Entsorgung auf der Straße oder in öffentliche Mülleimer. Da zahlt ja bisher die Stadt, das heißt alle anderen die Kosten, und das würden wir gern den Nutzern auferlegen.
    "Den Einweg-Wegwerfkult wirtschaftlich unattraktiv machen"
    Ehring: Das heißt, es ist dann die Pommesschale, die man zum Beispiel in der Pommesbude bekommt und dann vor der Bude verzehrt und bisher jetzt einfach in den Mülleimer schmeißt?
    Palmer: Ja. Wenn es der öffentliche Mülleimer sein soll, dann würde diese Steuer fällig. Wenn die Pommesbude sich entscheidet, ein Pfand zu verlangen und das selber zurückzunehmen und zu entsorgen, dann kann es entfallen. Was wir wollen, ist Mehrweg- oder Pfandsysteme durchsetzen, indem wir den Einweg-Wegwerfkult to go wirtschaftlich unattraktiv machen.
    Ehring: Das heißt, Sie stellen sich vor, dass die Pommesbude dann mehrfach verwendbares Plastik oder Porzellan verwendet?
    Palmer: Warum nicht!
    Ehring: Das ist die Frage!
    Palmer: Ja, ich stelle mir das vor. Warum soll das nicht gehen.
    Steuer soll wirtschaftlichen Anreiz schaffen
    Ehring: Wie haben denn die Betreiber reagiert bisher? Gibt es darüber eine Diskussion in Tübingen?
    Palmer: Ja! Und weil wir schon seit Jahren versuchen, den Müll zu reduzieren, haben wir auch viele Betriebe schon gewonnen, freiwillig Mehrwegsysteme einzuführen, zum Beispiel für Kaffeebecher. Aber es machen immer nur wenige mit und wenn wir es breit durchsetzen wollen, dass man seinen Becher an einer Ausgabestelle kaufen und an irgendeiner anderen wieder abgeben kann, dann brauchen wir einen wirtschaftlichen Anreiz. Den setzen wir jetzt durch die Steuer.
    Ehring: Das gibt es ja zum Beispiel bei diesen Kaffeebechern, dass man die dann bei einer anderen Kaffeebude los werden kann.
    Palmer: So ist es. Das haben wir in Tübingen eingeführt, aber es machen bisher nur 18 mit. Dabei hätten wir ungefähr 100 Ausgabestellen in der Stadt und wir wollen jetzt die anderen animieren, auch mitzumachen.
    Drei-Viertel-Mehrheit im Stadtrat für Grundsatzbeschluss
    Ehring: Die Europäische Union will ja Einwegplastik allgemein zurückdrängen. Warum machen Sie jetzt einen Alleingang vorher?
    Palmer: Weil die nur ganz bestimmte Plastiksorten zurückdrängen. Das ist auch gut so, aber da geht es ums Material. Wegwerfprodukte wird es davon trotzdem noch genug geben. Wir wollen weg von der to-go- und Wegwerfkultur.
    Ehring: Ist denn da Einigkeit im Stadtrat, oder gibt es da unterschiedliche Ansichten bei den Fraktionen?
    Palmer: Wir hatten eine Drei-Viertel-Mehrheit für diesen Grundsatzbeschluss. Die FDP und eine freie bürgerliche Liste waren dagegen. Aber die Grünen ganz und CDU und SPD haben mehrheitlich dafür gestimmt.
    Ehring: Wie geht es jetzt weiter? Wann soll die Steuer kassiert werden?
    Palmer: Wir arbeiten jetzt eine konkrete Satzung aus. Die soll dann bis zum Sommer vorliegen. Und wenn der Gemeinderat die beschließt, dann denken wir, dass die Steuer etwa in einem Jahr in Kraft treten kann.
    Von der Steuer sollen keine Einnahmen übrig bleiben
    Ehring: Haben Sie die rechtliche Zulässigkeit geprüft von so einem Alleingang? Fällt das in Ihren Bereich hinein?
    Palmer: Ja. Das war die Voraussetzung für den Grundsatzbeschluss gestern. Wir haben die rechtliche Prüfung abgeschlossen. Wir wissen, dass es geht, und jetzt geht es nur noch ums wie.
    Ehring: Was ist denn Ihre Erwartung? Wird es weniger Müll geben in größerem Umfang, oder wird es auf höhere Einnahmen für die Stadtkasse hinauslaufen?
    Palmer: Am Anfang wird es wahrscheinlich schon Einnahmen geben. Wir haben aber auch Aufwand: Wir müssen da zwei Stellen finanzieren. Das heißt, wir rechnen nicht damit, dass da was übrig bleibt. Ich glaube, dass es dann relativ schnell geht, dass die Einnahmen verschwinden. Das ist ja das Ziel der Steuer. Dann hat auch niemand den Aufwand mit der Bürokratie, sondern dann haben sich Einwegsysteme erledigt und Mehrwegsysteme durchgesetzt.
    Entsorgungskosten 2017 um 50.000 Euro gestiegen
    Ehring: Wie groß sind denn die Mengen, über die wir da reden? Wie viel solcher Müll fällt an und was ist das vor allem?
    Palmer: Es ist immer mehr. Wir haben ständig mehr Mülleimer in der Stadt aufgestellt. Wir leeren sie jetzt öfter, haben auch am Wochenende Zusatzschichten eingeführt. Ich kann Ihnen jetzt die Tonnenzahl nicht sagen, aber allein zwischen 2016 und 2017 sind unsere Entsorgungskosten um 50.000 Euro angestiegen. Es kostet halt auch richtig Geld.
    Ehring: Wie ist denn das Interesse anderer Gemeinden? Sind Nachahmer schon in Sicht, die das eventuell auch einführen wollen?
    Palmer: Es gibt einige Gemeinden, bei denen die Umweltbeauftragten sich bei uns erkundigt haben: Wie macht ihr das, was habt ihr da vor? Die beobachten jetzt sicher aufmerksam, wie die Satzung exakt aussieht. Und dann denke ich, dass diejenigen, die ähnliche Probleme haben, sich schon genau überlegen werden, ob sie nicht eine ähnliche Satzung beschließen. Aber das kann jede Gemeinde für sich selbst entscheiden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.