Die Enthüllungen über Hunderttausende Briefkastenfirmen in Panama zeigten, dass dringend untersucht werden müsse, ob die Brüsseler Behörde und die Mitgliedstaaten die Vorschriften zum Kampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung angemessen umgesetzt hätten. Diese kritischen Fragen müssten gestellt werden, betonte der Europaparlamentarier. Auch wenn einige Praktiken legal gewesen seine, seien sie moralisch nicht zu rechtfertigen.
"In einem Binnenmarkt wie in der EU brauchen wir eine gemeinsame gesetzliche Regelung". Deshalb müsse der Kampf gegen Steuerflucht und Steuerparadiese jetzt eine der obersten Prioritäten der EU sein.
Die Arbeit des EU-Untersuchungsausschusses wird auf den Untersuchungen des bereits vor 18 Monaten eingerichteten "Luxleaks"-Sonderausschusses aufbauen. Er nimmt umstrittene Steuerbegünstigungen für multinationale Unternehmen in Luxemburg und anderen EU-Staaten unter die Lupe nimmt.
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Was soll dieser Untersuchungsausschuss zu den Panama-Papieren bringen? Am Telefon ist Michael Theurer, Europaparlamentarier der FDP. Schönen guten Morgen.
Michael Theurer: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Der Schaden ist groß, das allgemeine Entsetzen auch über diese dubiosen Geschäftspraktiken. Wer hat da versagt?
Theurer: Zunächst mal ist dies das größte Datenleck aller Zeiten und wir sind der wirklich guten Recherchearbeit der Journalisten dankbar, weil wir darauf aufmerksam geworden sind, dass offensichtlich hier einige Dinge nicht richtig funktioniert haben. Wer hat versagt? Das ist die Frage, der wir uns im Untersuchungsausschuss dann auch genau widmen wollen. Zwölf EU-Richtlinien, mehrere delegierte Rechtsakte und die EU-Verträge sind nämlich heute schon so gestaltet, dass es verboten ist, Geldwäsche zu betreiben, dass die Mitgliedsstaaten auch verpflichtet sind, in Übersee-Gebieten Briefkastenfirmen zu verhindern, die den wahren wirtschaftlichen Eigentümer verschleiern. Wir wollen jetzt herausfinden, gab es EU-Rechtsbrüche und wenn ja warum.
"Dimension, die einen schwindeln macht"
Theurer: Denn man hat ja den Eindruck jetzt mit den Enthüllungen der Panama Papers, dass da eine Dimension erreicht ist, die einen wirklich schwindeln macht, weil es sind Politiker beteiligt, ehemalige Regierungschefs, Stars aus dem Sport, aus dem Kulturbereich. Man hat den Eindruck, dass vielleicht da nicht genau hingeguckt wurde, weil gerade auch Prominente beteiligt waren, die jetzt ins Rampenlicht gekommen sind, und dem muss nachgegangen werden.
Barenberg: Sie zeigen ganz klar mit dem Finger auf die EU-Kommission in Brüssel und auf einzelne Mitgliedsstaaten?
Theurer: Diese Vorwürfe stehen im Raum und in einer funktionierenden Demokratie muss das Ganze natürlich aufgeklärt werden. Dem muss nachgegangen werden. Wir hatten ja schon im Steuer-Sonderausschuss an der Frage der Steueroasen gearbeitet. Die Außensteuer-Dimension kam gerade in den Blickpunkt, als die Panama-Enthüllungen kamen. Und wir waren ja im Steuer-Sonderausschuss sowieso der Meinung, dass die Frage nach der politischen Verantwortung etwas ausgebremst wurde. Umso wichtiger ist es jetzt, dass mit der Unterstützung von vielen Kolleginnen und Kollegen der Untersuchungsausschuss durchgesetzt werden kann.
Barenberg: Richtet sich die Kritik eigentlich auch an die Adresse der Bundesregierung? Sven Giegold hat gerade in dem Beitrag gesagt, 20 Jahre lang ist im Prinzip so gut wie nichts geschehen, um solche dubiosen Praktiken zu verhindern. Wir erinnern uns: Die FDP war zwischen 2009 und 2013 ja auch Teil der Bundesregierung.
Theurer: Nationalstaaten nicht fähig, Problem zu lösen
Theurer: Die Bundesregierung hatte in der Frage der Vermeidung der aggressiven Steuergestaltungen immer eine klare Position. Man wollte das verhindern. Es gab da klare Erklärungen der Bundesregierung. Wenn wir jetzt allerdings die Arbeit des Steuersonderausschusses des Europäischen Parlaments uns anschauen, dann ist es jedenfalls Fakt, dass die 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union seit vielen Jahren über Steuerschlupflöcher Bescheid wussten, aber als Nationalstaaten nicht in der Lage waren, das Ganze zu lösen.
Das heißt, nur das Momentum des öffentlichen Drucks hat jetzt dazu geführt, dass man sich in den Nationalstaaten durchgerungen hat, gemeinsame europäische Lösungen herbeizuführen, und in der Vergangenheit war man wohl auch in Berlin der Meinung, eine stärkere europäische Gesetzgebung sei nicht erforderlich, und da war auch meine Partei in Berlin mit Sicherheit der Meinung. Aber als freier Demokrat sage ich, in einer Marktwirtschaft darf es solche ungleichen Wettbewerbsbedingungen nicht geben, weil die gehen ja zu Lasten der mittelständischen Unternehmen.
Barenberg: Wir hören den Ruf nach mehr Einheitlichkeit in Europa und einheitlichen Regeln ja selten von Liberalen, die ja gewöhnlich darauf setzen, dass der Markt, die Konkurrenz im Markt, auch die Konkurrenz der Staaten in der EU untereinander die Dinge schon richten wird. Da haben sich auch die Liberalen gründlich verkalkuliert in diesem Punkt?
"Märkte brauchen einen Ordnungsrahmen"
Theurer: Sagen wir einfach mal so: Ich glaube, es ist insgesamt in der Vergangenheit unterschätzt worden, die Dimension des Problems und wir Freien Demokraten haben ja einen Erneuerungsprozess auch mit unserem Leitbild "Mehr Chancen durch mehr Freiheit" durchlaufen.
Ja, wir sind als Ordnungspolitiker, als Anhänger der sozialen Marktwirtschaft der Meinung, dass Märkte einen Ordnungsrahmen brauchen, und wir haben festgestellt, dass nicht nur Reedereien ausflaggen jetzt, sondern auch große Buchhandelskonzerne, die noch mehr verkaufen, wie Amazon oder Facebook oder Google, aber auch Ikea oder Fiat, die ja von der EU-Kommission jetzt wegen illegaler Staatsbeihilfen über die Länder Luxemburg und Irland und so weiter zur Rechenschaft gezogen werden.
Das heißt, es kann nicht richtig sein, dass der Normalbürger seine Steuern bezahlt, dass kleine und mittlere Unternehmen die Steuern bezahlen, aber einige wenige auch Privatpersonen über die Panama-Briefkastenfirmen, die verschleiern praktisch die Strukturen, die machen Steuerdumping und im schlimmsten Fall laufen über solche Konstruktionen sogar Korruptionsgelder, Geldwäsche. Da muss jetzt das Europäische Parlament dringend genau hinschauen.
Barenberg: Sie haben selbst davon gesprochen, dass Sie sich zwölf Richtlinien unter die Lupe nehmen wollen. Es gibt eine Fülle von Regeln auch hier in der Bundesrepublik, um Geldwäsche, um Steuerhinterziehung zu vermeiden. Soweit Sie das jetzt schon absehen können, welches wird Ihre wichtigste Forderung sein, wenn es um Konsequenzen geht?
"Jeder Gewinn, der die EU verlässt, sollte einmal besteuert sein"
Theurer: Die wichtigste Forderung im TAXE-Ausschuss, wo ich als einer der beiden Sonderberichterstatter tätig bin, ist, dass diese Überkomplexität, die Kombination von 28 Steuergesetzgebungen, die zu Steuerschlupflöchern führt, in einen gemeinsamen EU-Rechtsrahmen dann gegossen wird, und dabei muss auch die Außensteuer-Komponente eine Rolle spielen. Wir fordern da, dass jeder Gewinn, der die EU verlässt, einmal besteuert ist.
Auf Ihre Frage, was am Ende des Untersuchungsausschusses herauskommt, kann ich Ihnen keine Antwort geben, denn wir wollen ja genauer hingucken, woran hat es denn da geklemmt. Wir wenden den Blick von legalen, aber möglicherweise nicht illegitimen Steuerkonstruktionen von international tätigen Großkonzernen vor allen Dingen auch auf Privatpersonen, die jetzt Unternehmenskonstruktionen, sogenannte Briefkastenfirmen in Panama und in anderen Steueroasen genutzt haben, um den wahren wirtschaftlich Berechtigten zu verschleiern. Das war heute schon teilweise oder weitgehend illegal.
Warum wurde es nicht geahndet? Was haben die Mitgliedsstaaten hier versäumt? Und hätte die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten hier stärker an die Kandare nehmen müssen? Das sind die kritischen Fragen, die wir als Abgeordnete stellen werden, wenn der Untersuchungsausschuss heute im Parlament verabschiedet wird.
Barenberg: Bei allem guten Willen, den wir mal unterstellen wollen, ist es doch ein großes Problem, dass verschiedene Geschäftspraktiken zwar legal sind, aber moralisch verwerflich, und dass da bisher nicht das eine mit dem anderen in Deckung gebracht wurde?
"Rechtlich in Ordnung, aber gesamtgesellschaftlich schädlich"
Theurer: Wir müssen sehr sauber unterscheiden, was war heute schon illegal und warum wurde es nicht geahndet, und hier scheinen ja Vollzugsdefizite vorhanden zu sein. Die sind jedenfalls durch die Presseberichte ans Tageslicht gekommen. Und die andere Frage ist: Es gibt sicherlich Konstruktionen, die sind rechtlich in Ordnung. Da wurden Steuerschlupflöcher oder andere Gesetzeskonstruktionen genutzt. Sie sind aber illegitim oder gesamtgesellschaftlich schädlich.
Da müsste dann - und das werden wir auch machen -, da werden dann Vorschläge von uns unterbreitet werden, wie diese Gesetzeslücken geschlossen werden. Klar aus meiner Sicht heute schon ist: Wir brauchen hier weltweite Regelungen und in einem Binnenmarkt, in dem es die Freiheit des Kapitalverkehrs gibt, wie in der EU, brauchen wir eine gemeinsame verbindliche rechtliche Umsetzung in der Europäischen Union.
Barenberg: Wenn Sie jetzt das Stichwort sagen, wir brauchen weltweite Regelungen, dann höre ich schon, wie viele am Radio sitzen und jetzt sagen, gut, dann wird alles wieder auf die lange Bank geschoben, bis wir dahin kommen.
Theurer: Das ist die große Gefahr, die wir hier sehen, und deshalb haben wir ja im Europäischen Parlament im Zusammenhang mit den Luxleaks-Enthüllungen Druck gemacht. Wir sind froh, dass da jetzt auch von der EU-Kommission Gesetzgebungsvorschläge gemacht worden sind. Man kann da etwas tun und die Europäische Union ist eine richtige Ebene, um das dann auch verbindlich durchzusetzen, wenn die Mitgliedsstaaten mitziehen, und genau das fordern wir ein.
Barenberg: … sagt Michael Theurer, Europaparlamentarier der FDP. Heute wird in Brüssel ein Untersuchungsausschuss eingesetzt zum Thema Panama Papers und mögliche Schlussfolgerungen. Danke Ihnen für das Gespräch heute Morgen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.