Peter Kapern: Kann ein Mann, der Steuern hinterzogen hat und eine Geldstrafe zahlen musste, sein politisches Spitzenamt behalten? Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin, sah darin zunächst wohl kein Problem. Es ging um seinen Kulturstaatssekretär André Schmitz, der eine knappe halbe Million auf einem Schweizer Konto liegen hatte. Wowereit wusste davon seit 2012 und hat trotzdem an seinem Staatssekretär festgehalten. Als die Sache aber nun publik wurde, da war es ausgerechnet SPD-Parteichef Sigmar Gabriel, der ein klares Urteil in der Sache abgab, und kurz darauf stehen die Zeichen auf Rücktritt.
Ohne dem Berliner Kulturstaatssekretär zu nahe treten zu wollen, er war beileibe nicht der prominenteste Steuersünder, der am vergangenen Wochenende geoutet wurde. Auch Alice Schwarzer, die Vorkämpferin der Frauenemanzipation, hat Steuern hinterzogen. Auch sie hatte Schwarzgeld bei einer Schweizer Bank deponiert. Bemerkenswerter noch als dies war ihre Begründung dafür: Sie sei in Deutschland derart drangsaliert worden, dass sie eine Flucht ins Exil erwogen habe, sagte sie, und dafür habe sie nun mal Geld zurückgelegt. Eine Rechtfertigung, deren Konnotation vielen die Sprache verschlagen hat. Meine Kollegin Christine Heuer hat darüber gestern mit der "taz"-Redakteurin Ulrike Herrmann gesprochen.
Christine Heuer: Was, Frau Herrmann, finden Sie schlimmer, dass Alice Schwarzer den Staat betrogen hat, oder wie sie damit umgeht, dass das jetzt öffentlich geworden ist?
Ulrike Herrmann: Na ja, ich finde beides gleich schlimm. Was man sich ja klar machen muss ist, dass Alice Schwarzer genau kalkuliert hat. Sie hat dieses Konto seit den 80er-Jahren, also seit ungefähr 30 Jahren, und wahrscheinlich lagern da mindestens 1,2 Millionen Euro. Sie hat aber jetzt bei den Steuerbehörden nur für die letzten zehn Jahre Steuern nachgezahlt, weil nämlich Steuerstraftaten nach zehn Jahren verjähren. Das heißt, immer noch ist es so, dass sie 20 Jahre lang Zinseinnahmen nicht versteuert hat. Und sie ist natürlich erst zu den Finanzbehörden gegangen, als klar war, dass Steuer-CDs kursieren und dass auch ihr Name wahrscheinlich draufsteht. Das heißt, sie hat genau dann sich offenbart bei den Behörden, als klar war, dass es heimlich nicht mehr weitergeht, aber trotzdem hat sie bei dieser ganzen Sache ein wirklich gutes Geschäft gemacht.
Herrmann: Schwarzer hat kein wirkliches Unrechtsbewusstsein
Heuer: Was sagt das über ihr Unrechtsbewusstsein aus, dass sie sich erst letztes Jahr selber angezeigt hat, fünf Jahre nach dem Fall Zumwinkel und sicher auch nach dem Fall Hoeneß?
Herrmann: Na ja, dass sie einfach kein wirkliches Unrechtsbewusstsein hat, wobei – das muss man natürlich ihr zugutehalten – sie wahrscheinlich immer gefürchtet hat, dass wenn sie sich den Behörden stellt, dann genau das passiert, was jetzt auch geschehen ist, nämlich dass es dann doch rauskommt, dass das Steuergeheimnis, das es in Deutschland gibt, dann nicht gewahrt wird.
Heuer: Aber man muss auch sagen, Alice Schwarzer hat sich mit all dem an Recht und Gesetz gehalten, das hier gilt.
Herrmann: Richtig. Nur dass man Steuersünder nicht noch schärfer bestraft, soll ja sie animieren, sich überhaupt zu offenbaren. Weil der Staat in der schwächeren Position lange war, war er ziemlich großzügig. Jetzt sollte man sozusagen nicht denken, dass was legal ist auch legitim ist.
Heuer: Das heißt, wir sprechen über eine juristische und über eine moralische Seite dieser ganzen Angelegenheit?
Herrmann: Ja genau, und das ist natürlich auch der Grund, warum der "Spiegel" es dann veröffentlicht hat, weil es natürlich interessant ist für die Öffentlichkeit, dass jemand, der selber so stark moralisch agiert wie Alice Schwarzer, dann selber auch moralisch so fehlbar ist.
Hermann: Sie macht sich zum Opfer
Heuer: Ist es das, was Sie ihr auch persönlich besonders übel nehmen?
Herrmann: Nein. Was ich noch viel schlimmer fand, war dann ihre Darstellung in eigener Sache. Auf ihrem Blog gibt es ja einen Eintrag zu dem Geschehen und da macht sie sich zum Opfer. Und die Behauptungen, die sie da aufstellt, sind in der Kombination komplett bodenlos. Das Erste ist, dass sie sagt, sie hätte die Steuerflucht begehen müssen, weil sie selber eine politisch Verfolgte gewesen sei. Sie dichtet sozusagen die Steuerflucht in eine politische Flucht um und behauptet, Anfang der 80er-Jahre, da sei die Hatz gegen sie so groß gewesen, dass sie dann überlegt hätte, ob sie nicht vielleicht ins Ausland gehen müsse. Und dann behauptet sie als zweites sozusagen implizit: Wenn man ins Ausland geht, muss man auch sein Vermögen mitnehmen, was völliger Unsinn ist. Sie hätte auch vom Ausland aus weiterhin auf deutsche Konten zugreifen können. Es gibt überhaupt keinen Grund, das dann nicht zu versteuern. Und sie behauptet dann zusätzlich noch, dass auch jetzt die Publikation ihrer Steuersünden allein dadurch zu erklären sei, dass gesellschaftliche Kräfte ihre Prostitutionskampagne verhindern wollen, und da überschätzt sie sich auch so maßlos.
Heuer: Was wollte Alice Schwarzer wirklich? Worum ging es ihr?
Herrmann: Ich glaube, sie war zutiefst erschüttert, dass diese Steuersünde doch rausgekommen ist. Sie war erschüttert, dass das Steuergeheimnis in ihrem Fall dann gebrochen wurde. Und sie weiß natürlich ganz genau, dass sie niemals mehr den gleichen Nimbus haben wird als moralische Autorität, den sie vorher hatte. Es ging eigentlich darum, irgendwie allerdings sehr unglücklich ihr Gesicht zu wahren.
Hermann: Darstellung Schwarzers in eigener Sache sehr unglücklich
Heuer: Das ist ihr nicht gelungen. Wie viel Schaden fügt sie sich zu?
Herrmann: Ich meine, durch diese sehr unglückliche Darstellung in eigener Sache hat sie es natürlich noch viel schlimmer gemacht, als es schon ist. Richtig wäre gewesen, den Weg zu gehen, den auch die anderen Steuersünder eigentlich immer gehen, nämlich zu sagen, ja es tut mir wirklich leid und es war ein unverzeihlicher Fehler und ich werde das nie wiederholen und ich werde jetzt Geld spenden. Interessanterweise hat sie ja jetzt auch eine Stiftung eingerichtet mit einem Tag Verspätung und einer Million Euro.
Heuer: Tätige Buße ist das doch, Frau Herrmann.
Herrmann: Ja genau. Das hätte sie sofort machen müssen, statt zu behaupten, sie sei politisch Verfolgte, und dann wäre der Schaden auch da gewesen, aber er wäre kleiner gewesen.
Heuer: Der Schaden ist jedenfalls beträchtlich. Politiker, Kommentatoren, Schwarzer-Hasser im Internet fallen mit Häme über sie her. Finden Sie die Reaktionen im Ton und auch im Ausmaß angemessen?
Herrmann: Na ja, es ist natürlich so, dass Alice Schwarzer vor allen Dingen für Macho-Männer immer das Feindbild schlechthin war, und die freuen sich natürlich alle. Insofern, kann man sagen, ist das alles komplett unangemessen. Man muss allerdings auch sagen – und das ist die Tragik an diesem Geschehen: Der Text von Alice Schwarzer ist beispiellos, wenn es darum geht, sich selber zum Opfer zu stilisieren. Dieses sich umdichten vom Täter ins Opfer, das ist natürlich etwas, worauf eine Gesellschaft total allergisch reagiert, wenn irgendwie klar ist, dass jemand ein Millionenvermögen in der Schweiz gebunkert hat.
Kapern: Die "taz"-Redakteurin Ulrike Herrmann im Gespräch mit meiner Kollegin Christine Heuer.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.