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Steuererhöhungen sind "fauler Kompromiss"

Der Wähler habe Steuererhöhungen eine klare Absage erteilt, sagt Reiner Holznagel, Präsident beim Bund der Steuerzahler. Die CDU müsse das bei ihren Koalitionsverhandlungen berücksichtigen. Die Erhöhungen seien Gift für die breite Mittelschicht und alles andere als zielführende Steuerpolitik.

Reiner Holznagel im Gespräch mit Rainer Brandes |
    Tobias Armbrüster: In Berlin haben noch nicht mal die ersten Sondierungsgespräche begonnen, da läuft bereits die Debatte über ein erstes großes Streitthema: Steuererhöhungen nämlich. Die SPD hatte solche Forderungen im Wahlprogramm, die Union hat sie zwar abgelehnt, aber mehrere CDU-Politiker wollen angesichts einer möglichen Koalition mit der SPD nicht ausschließen, dass wir uns tatsächlich jetzt auf höhere Steuern einstellen müssen. – Mein Kollege Reiner Brandes hat darüber gestern Abend mit Reiner Holznagel gesprochen, dem Präsidenten beim Bund der Steuerzahler. Erste Frage an ihn: Begeht die Union gerade Wortbruch?

    Reiner Holznagel: Auf jeden Fall begeht sie damit Wortbruch, in vielerlei Hinsicht. Einerseits steht hier keine Koalition oder irgendwelche Parteieninteressen im Vordergrund. Deutschland hat zurzeit die höchsten Steuereinnahmen, wie sie noch nie vorher geflossen sind, und das wird auch weiterhin so bleiben, ohne dass die Steuern erhöht werden.

    Und der zweite Punkt ist: Die Union hat noch nicht mal vor einer Woche vehement versprochen, dass es keine Steuererhöhungen gibt, und daraufhin hat sie auch eines der besten Wahlergebnisse in ihrer Geschichte bekommen. Und übrigens hat insgesamt der Wähler so entschieden, dass er Steuererhöhungen eine klare und deutliche Absage erteilt hat, nämlich 4,5 Millionen Menschen haben für keine Steuererhöhungen oder gegen Steuererhöhungen gestimmt, und das sollte die CDU auch wirklich bei diesen Koalitionsverhandlungen berücksichtigen.

    Reiner Brandes: Das kann man aber auch genau umgekehrt sehen. Schließlich ist die Steuersenkungspartei, die FDP, aus dem Bundestag herausgewählt worden, und die Mehrheit des Parlaments will Steuererhöhungen. Man kann also auch sagen, Steuererhöhungen sind genau richtig, weil, sie sind vom Wähler gewollt.

    Holznagel: Ich gebe Ihnen insoweit recht, dass der Wähler oder auch der Steuerzahler oder insgesamt der Bürger Versprechungen so dotiert, dass er Parteien abstraft, wenn sie ihre Versprechungen nicht einhalten. Die FDP, auch die CDU sind 2009 angetreten, um den Bürgern mehr Netto vom Brutto herbeizuführen, und das ist augenscheinlich nicht geglückt. Wir haben eine Steuerbelastungsquote, die am Ende genauso hoch war wie 2009. Das heißt, dieses Versprechen wurde nicht eingelöst. Auch deshalb hat die FDP, ich will es mal auf gut Deutsch sagen, diese Klatsche bekommen.

    Wenn die CDU in dieser Tradition fortfährt, nämlich dass man seine Versprechen nicht hält, dann wird auch die CDU bei der nächsten Wahl eine entsprechende Rechnung bekommen. Insofern kann ich der CDU nur raten, sich an dem zu halten, was sie versprochen hat, und das war eindeutig keine Steuererhöhungen.

    Brandes: Aber ist es nicht trotzdem so, wenn man SPD, Grüne und Linke zusammennimmt, dann haben die eine große Mehrheit im Parlament, und alle sind im Wahlkampf für Steuererhöhungen eingetreten.

    Holznagel: Ja die Parlamentsmehrheit kann dafür sein. Aber wir müssen doch feststellen, dass selbst die Grünen, selbst Spitzenpolitiker wie Jürgen Trittin zugeben, dass es eine Mehrheit gegen Steuererhöhungen gibt und dass er auch in Person bitterlich erfahren musste, dass sein Steuererhöhungskurs von den Wählern nicht honoriert worden ist.

    Ich will einen zweiten Punkt hinzufügen, der scheint mir wirklich sehr wichtig in dieser Diskussion. Es ist eben nicht so, dass nur einige wenige von diesen Steuererhöhungen getroffen werden, sondern eine breite Mittelschicht von höheren Steuern betroffen wird, und das ist Gift nicht nur für die Konjunktur, es ist Gift für diese Familien, die schlicht und ergreifend noch mehr an den Staat abführen müssen.

    Wir sollten lieber darüber diskutieren, wie wir das viele Geld, was dieser Staat hat, besser und effizienter einsetzen. Ich gebe durchaus zu, dass wir bei den Kommunen Probleme haben. Wir haben bei der Infrastruktur Probleme. Das heißt aber nicht, dass wir die lösen, indem wir Steuern erhöhen, sondern wir müssen das Geld, was der Staat zuhauf hat, besser einsetzen.

    Brandes: Jetzt haben Sie eben gesagt, die Mehrheit der Deutschen wäre ja betroffen von solchen Steuererhöhungen. Genau das ist ja die Frage. Einige in der Union sind nun offen für folgendes Modell. Sie sagen, na gut, wir können den Spitzensteuersatz vielleicht ein bisschen erhöhen und dafür bauen wir die Kalte Progression ab und entlasten kleinere Einkommen. Das müsste doch eigentlich im Interesse der meisten Steuerzahler sein?

    Holznagel: Das hört sich schön an, das fühlt sich weich an, und das könnte vielleicht auch für mancherlei Hinsicht gut dienen. Aber ein Faktencheck ist unbedingt wichtig. Klar ist: Bei der Anhebung des Spitzensteuersatzes, so wie er jetzt diskutiert wird, werden Einkommen ab 64.000 mehr belastet. Das heißt, wir sind hier schon bei der Mittelschicht voll drin. Und wir dürfen nicht vergessen: Die Einkommenssteuer ist nicht nur die Steuer für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sie ist sie auch für kleine Unternehmer, aber auch für mittelständische Unternehmen. Insofern hat sie hier eine doppelte Wirkung.

    Darüber hinaus müssen wir aber auch feststellen, dass die Pläne zum Abbau der Kalten Progression nicht so weit sind, dass dieser ungerechte Effekt tatsächlich beseitigt wird. Nach wie vor werden auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die Kalte Progression weiterhin belastet, zugegebenermaßen nicht in der Höhe wie jetzt, aber gleichwohl bleibt die Belastung. Insgesamt müssen wir unterm Strich feststellen, dass das ein fauler Kompromiss ist, der nicht zielführend ist, der sich zwar gut anhört, aber in der Umsetzung alles andere ist als wirklich zielführende Steuerpolitik.

    Brandes: Aber was raten Sie dann der Union? Soll sie sich lieber auf Steuererhöhungen einlassen, oder soll sie auf Neuwahlen setzen und hoffen, dass die FDP dann wieder in den Bundestag kommt?

    Holznagel: Der Bundestagswahlkampf hat eines ganz deutlich gemacht, dass es einen Unterschied gibt zwischen Parteienlagern, und das war innerhalb der Steuerpolitik. Die einen wollten Steuererhöhungen, die anderen wollten keine Steuererhöhungen. Es gab aber sehr, sehr viele Schnittmengen, wo man kaum noch unterscheiden konnte, wer für welche Haltung steht, und deswegen sollte jetzt eine Koalition gebildet werden, wo erst mal die Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden – Stichwort: Wie organisieren wir die zukünftige Energiepolitik, was machen wir mit dem Mindestlohn, wie gehen wir mit dem Arbeitsmarkt um, welche Probleme haben wir in der Rentenpolitik.

    Brandes: Aber was, wenn SPD und Grüne auf Steuererhöhungen nicht verzichten wollen?

    Holznagel: Das ist ein populäres Thema, und wir werden bei diesem populären Thema weiterhin am Ball bleiben, um deutlich zu machen, dass sehr viel gelogen wird, dass sehr viel Heuchelei passiert und dass schlicht und ergreifend falsche Zahlen im Umlauf sind. Das haben die Bürger erkannt und deswegen haben sie auch nicht SPD und Grüne in ihrer Mehrheit gewählt und schon gar nicht die Linke. Insofern sollten wir hier auch mal ehrlich mit uns allen sein und sagen, wenn wir dieses Thema angehen, dann müssen wir wirklich in die Steuersystematik einsteigen.

    Ich sage noch mal: Es gibt andere Themen, wo man kompromissbereit sein muss, wo auch Kompromisse wirklich vor der Haustür liegen. Aber das Steuersystem oder das Steuerthema nun hervorzukehren, ist eigentlich aus meiner Sicht ein Thema, um gewollt keine Koalition eingehen zu müssen beziehungsweise dann, wenn die CDU auf Steuererhöhungen umschwenkt, begeht sie Wortbruch, und das wird der Wähler mit Sicherheit bei der nächsten Wahl auch dementsprechend negativ dotieren.

    Armbrüster: Soweit Reiner Holznagel, der Präsident des Bundes der Steuerzahler, gestern Abend im Gespräch mit meinem Kollegen Reiner Brandes.


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