Ob Jean-Claude Juncker als ehemaliger Premierminister Luxemburgs für die geheimen Steuerabsprachen verantwortlich gemacht werden könne, könne man noch nicht beurteilen. Aus Sicht des CSU-Politikers Hans Michelbach könne er daher könne vorerst auch im Amt des EU-Kommissionspräsidenten bleiben.
Die EU-Kommission müsse jedoch alles daran setzen, die Steueroase in Luxemburg schnell und umfassend trockenzulegen. "Das ist ein europäisches Problem, was gemeinsam gelöst werden muss", sagte Michelbach. Er persönlich setze dabei auch auf die Initiative gegen Steuerflucht von Konzernen (BEPS).
Das Interview in voller Länge:
Peter Kapern: Eigentlich war der Start des neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker ganz vielversprechend. Er versprach ein gigantisches Investitionsprogramm und demonstrierte gegenüber den Regierungschefs der Mitgliedsstaaten ein sattes Selbstvertrauen. Jetzt aber kommt ihm möglicherweise seine Vergangenheit in die Quere. Sein Heimatland Luxemburg nämlich hilft internationalen Großkonzernen bei der systematischen Steuervermeidung. Das haben journalistische Recherchen ergeben. Und Juncker war eben lange Zeit Regierungschef und Finanzminister in Luxemburg in Personalunion. Und nicht nur das: Jetzt leitet er eine Behörde, die gegen Luxemburg in diesem Steuervermeidungsskandal ermittelt. "Kein Problem", sagt Juncker:
Jean-Claude Juncker: "Die Kommission hatte und hat absolut das Recht, Untersuchungen dieser Art einzuleiten, was nicht nur Luxemburg betrifft. Die Kommission wird ihre Arbeit leisten. Ich werde aber mich von diesem Fall fern halten, denn er fällt ins Ressort der Wettbewerbskommissarin, die ein großes Maß an Handlungsfreiheit benötigt. Ich werde sie nicht bremsen, denn das fände ich ziemlich unanständig."
Kapern: Eine internationale Journalisten-Organisation mit Sitz in Washington ist vor einiger Zeit in den Besitz gigantischer Datenmengen gekommen: Daten über die Geschäftsmodelle der Steueroasen in aller Welt. Gemeinsam mit renommierten Medien in verschiedenen Ländern wertet diese Organisation die Datenberge nun aus. Jüngstes Ergebnis der Recherchen: Das kleine Großherzogtum Luxemburg hat ein Geschäftsmodell entwickelt, mit dessen Hilfe Großkonzerne Steuervermeidung in Milliardenhöhe betreiben können.
Erst in der vergangenen Woche hat Finanzminister Schäuble einen großen Erfolg im Kampf gegen den internationalen Steuerbetrug gefeiert. Da unterzeichneten nämlich 50 Länder in Berlin ein Abkommen über den grenzüberschreitenden Informationsaustausch in Steuerfragen. Der Bundestag hat sich heute damit beschäftigt. Allerdings: Dieses Abkommen bezieht sich nur auf Privatvermögen. Die Steuertricks der Unternehmen bleiben davon völlig unberührt. Kein Wunder also, dass die jüngsten Enthüllungen über die Steueroase Luxemburg auch heute früh im Bundestag ein Echo hervorriefen.
Bei uns am Telefon ist nun Hans Michelbach von der CSU, der Obmann seiner Partei im Finanzausschuss des Bundestages. Guten Tag, Herr Michelbach.
Hans Michelbach: Guten Tag! - Hallo!
Kapern: Herr Michelbach, Ihr Verkehrsminister, der versucht ja gerade, via Maut ein paar hundert Millionen zur Sanierung der Straßen zusammenzukratzen, und nun lesen Sie in der Zeitung, wie deutsche Großkonzerne alleine in Luxemburg Steuervermeidung in gigantischer Größenordnung betreiben. Was halten Sie davon?
Michelbach: Das ist leider nichts Neues. Wir kennen das Problem. Deswegen gibt es ja auch diese BEPS-Initiative gegen Gewinnverlagerungen durch den Bundesfinanzminister.
Wir sind der Auffassung, dass die Steuern dem Staat gehören, in dem sie erwirtschaftet wurden, und nicht dem Staat, der den höchsten Steuerrabatt gewährt, und wir haben leider die Situation, dass einige Länder in Europa eine Art Rosinenpickerei bewerkstelligen und dann auch Vergünstigungen an Großkonzerne geben. Luxemburg ist da ganz vorne dran.
Wir haben nach unserer Auffassung hier einen Verstoß gegen europäisches Wettbewerbsrecht. Das ist eine illegale Staatsbeihilfe einzelner Länder an Konzern-Unternehmen und das Ganze ist dann natürlich eine Wettbewerbsverzerrung zulasten kleinerer und mittlerer Unternehmen.
Steuerflucht ist ein europäisches Problem
Kapern: Herr Michelbach, Sie haben da gerade einen Satz gesagt. Der dürfte dazu geführt haben, dass ein paar tausend Hörer gerade die Faust in der Tasche geballt haben. Sie haben gesagt: "Wir kennen das Problem." Ja warum um Gottes Willen haben Sie dann nichts dagegen gemacht?
Michelbach: Weil wir der nationale Gesetzgeber für Deutschland sind und weil das ein europäisches Problem ist.
Kapern: Jetzt würde Ihnen Sahra Wagenknecht widersprechen, so wie sie das gerade schon im Beitrag gemacht hat. Da hat sie darauf hingewiesen, wenn sie die Zinsen und Gebühren, die da abgeführt werden aus den Gewinnen von Unternehmen, nicht mehr abzugsfähig machen, dann ist das Problem gelöst.
Michelbach: Das ist nicht gelöst, denn wir haben die Situation, dass wir einen Binnenmarkt haben, innerhalb Europas Freizügigkeit haben und die Verlagerungen der Unternehmen natürlich legal ist. Was illegal ist, ist natürlich das Steuerdumping einzelner Nachbarländer, einzelner europäischer Staaten, und das kann nur Europa lösen, das EU-Parlament, die europäischen Finanzminister insgesamt im ECOFIN, und deswegen ja auch die schon lange vorgetragene Aufgabe, die Bemessungsgrundlage für alle Staaten der Europäischen Union gleich zu machen. Und diese einheitliche Regelung, die wird immer wieder von uns angemahnt, die wird immer wieder von uns verdeutlicht, und wir haben ja jetzt mit dieser BEPS-Initiative erstmals einen Erfolg. Den sollte man nicht klein reden. Hier haben wir die Situation, dass man auch deutlich macht, dass Steuerdumping und Steueroasen eigentlich in die Vergangenheit gehören.
Kapern: Herr Michelbach, lassen Sie mich da doch noch mal kurz einhaken. Möglicherweise halten Sie mich jetzt gleich für etwas ahnungslos; ich bin nun mal kein Steuerrechtsexperte. Aber warum ist es nicht möglich, Unternehmen zunächst Steuern auf ihre Gewinne zahlen zu lassen, bevor sie dann aus dem, was übrig bleibt, Zinsen und Gebühren nach Luxemburg überweisen? Warum ist das nicht möglich? Das wäre doch eine deutsche Gesetzgebung.
Michelbach: Nein. Es ist so, dass die Firmen ja legale Firmen in diesen Steuerdumping-Ländern gründen, und dann natürlich Gewinnverlagerungen soweit vornehmen, dass in diesen ausländischen Gesellschaften die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung entsteht, und dann gibt es ein Hin und Her von Verlagerungen im europäischen Steuer-Karussell sozusagen.
Steuerdumping-Methoden sind illegale Staatsbeihilfen
Kapern: Aber was würde geschehen, wenn der deutsche Gesetzgeber dies blockieren würde durch ein Gesetz, wie ich es gerade skizziert habe, wie es offenbar auch Sahra Wagenknecht vorschwebt?
Michelbach: Das ist nicht europarechtskonform nach dem Binnenmarkt, und wir haben eine schwierige Gemengelage. Wir haben auf der einen Seite das europäische Wettbewerbsrecht, wo wir ja monieren, dass diese Steuerdumping-Methoden illegale Staatsbeihilfen sind. Da haben wir auch die EU-Kommission mehrfach aufgefordert, tätig zu werden. Es gibt jetzt auch zwei Verfahren. Aber man kann natürlich den Vorwurf machen, dass die EU-Kommission diese Staaten mehr oder minder deckt, und jetzt ist auch noch ...
Kapern: Sie ermittelt ja beispielsweise jetzt gegen Luxemburg.
Michelbach: Ja! Das ist ja Gott sei Dank mal ein richtiger Weg, und ich denke, dass das auch den Herrn Juncker sehr schnell jetzt einholen wird als ehemaliger Finanzminister von Luxemburg und jetziger Kommissionspräsident.
Kapern: In welchem Sinne einholen wird? Kann er diesen Job nicht weiter machen, weil die EU-Kommission gegen sein Land ermittelt?
Michelbach: Nein. Ich meine, er muss schnell in jetziger Funktion zunächst mal handeln, dass die Mindestkoordinierung der Bemessungsgrundlage für alle Staaten in der EU festgelegt wird.
Kapern: Also er kann im Amt bleiben Ihrer Meinung nach?
Michelbach: Er kann zunächst einmal in seinem Amt Verantwortung übernehmen, dass das Ganze der Vergangenheit angehört. Die Untersuchung, ob er natürlich gegen Luxemburger Gesetze verstoßen hat, das kann ich im Moment nicht ermessen. Aber Tatsache ist, dass er Kommissionspräsident ist und dass jetzt offensichtlich ist, dass es Steuerdumping gab, und dass diese Steueroase europaweit durch die EU-Kommission jetzt auch trockengelegt werden muss, und da haben wir diese Initiative und ich denke, dass jetzt auch die Staatschefs in Brisbane bei dem neuen Treffen der G-20 natürlich auch dementsprechend Beschlüsse fassen werden.
Kapern: Hans Michelbach war das, der Obmann der CSU im Finanzausschuss des Bundestages, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Michelbach, danke für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.
Michelbach: Bitte! Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.