Dirk Müller: Wir wollen nicht hetzen, wir wollen nicht denunzieren, wir wollen auch nicht den erhobenen Zeigefinger moralisch korrigierend auf jemanden richten. So könnten jedenfalls diejenigen darauf antworten, wenn wieder von der Medienschuld die Rede ist. Wir wollen über den Sachverhalt reden wie auch im Fall Uli Hoeneß. Diesmal geht es um Alice Schwarzer, Frauenrechtlerin. Auch sie hat Steuern hinterzogen, etwa 200.000 Euro. Auch sie hat sich selbst angezeigt, offenbar im vergangenen Jahr und offenbar rechtzeitig, also ohne, dass es bereits zu Ermittlungen in diese Richtung gekommen war. Demnach unterhielt die frühere "Emma"-Chefredakteurin über Jahrzehnte ein Konto in der Schweiz und die deutschen Finanzbehörden wissen das aber erst seit vergangenem Jahr. "Das Konto war ein großer Fehler", schreibt Alice Schwarzer jetzt.
Über den Fall Alice Schwarzer wollen wir nun sprechen mit dem Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Thielemann, Direktor des Instituts Menschliche Marktwirtschaft, einer Denkfabrik für Wirtschaftsethik. Guten Morgen nach Berlin.
Ulrich Thielemann: Guten Morgen, Herr Müller.
"Den eigentlichen Fehler macht die Steueroase"
Müller: Herr Thielemann, machen selbst Moralisten immer wieder Fehler?
Thielemann: Die Frage ist ja auch: Wer macht letztlich den Fehler. Wir sind ja erstaunt: jetzt auch noch Alice Schwarzer. Hat sie sich sozusagen verführen lassen? Könnte man das vielleicht so formulieren? Was ich sagen will: Den eigentlichen Fehler macht die Steueroase, die offenbar über Jahrzehnte lang den Teppich legt für hinterziehungswillige Personen, wobei Alice Schwarzer sagt, es sei nicht der Grund die Hinterziehung gewesen. Darüber kann man diskutieren. Aber meine Botschaft würde sein: Eigentlich sind der Hauptschuldige die Steueroasen. Wir tun ja immer so: Steuern sind ja keine Spenden, sondern Steuern sind rechtsverbindlich gesichert und wer die nicht zahlt, wird bestraft. Aber diese Länder legen wie gesagt den Teppich dafür, dafür, dass man nicht bestraft wird. Natürlich wird man am Ende dann doch bestraft, wobei man wird nur sehr teilweise bestraft, nämlich für die letzten zehn Jahre. Davor ist ja die Verjährungsfrist. Das gilt auch für Frau Schwarzer. Aber meine Botschaft ist: Die Schuldigen sind eigentlich die Steueroasen und die politische Diskussion, die in diesen Ländern stattfand und die das gerechtfertigt haben.
"Steuern sind keine Spenden"
Müller: Also die Schweizer führen uns alle in Versuchung?
Thielemann: In Versuchung ist fast schon der falsche Begriff. Vielleicht kann man es so sagen: Steuern sind keine Spenden, sondern sind rechtsverbindlich. Es hat wohl in diesen Kreisen dann die Stimmung geherrscht, ja wie, du hast dein Geld nicht in der Schweiz, oder zumindest einen Teil, und nutzt diese Vorteile, und dann war die Versuchung wohl auch für viele zu groß. Ich meine, Frau Schwarzer, wenn sie sagt, sie hätte es nicht aus steuerlichen Gründen getan, was man diskutieren kann, dann hätte sie ja gleichwohl das versteuern können, das hat sie aber nicht getan.
Müller: Es war fast eine psychologische Flucht ihrerseits, sagt sie ja in diesem Zitat. "Ich habe in Deutschland versteuerte Einnahmen darauf eingezahlt, wo die Hatz gegen mich solche Ausmaße angenommen hat, dass ich ernsthaft dachte, vielleicht muss ich ins Ausland gehen." Dann ist sie nicht ins Ausland gegangen, sie ist hier geblieben, aber das Geld ist ins Ausland gegangen.
Thielemann: Ja. Aber ich meine: Wie plausibel das auch immer sein kann, sie hätte es ja dann versteuern können. Das hat sie aber nicht getan. Sie hat es jetzt nachversteuert übrigens, für die letzten zehn Jahre. Davor gilt die Verjährungsfrist und 20 Jahre lang hat sie also keine Steuern gezahlt.
Müller: Also einen Gewinn gemacht.
Thielemann: Das sind erhebliche Summen übrigens, die da sich angesammelt haben und die sie jetzt steuerfrei erhalten hat.
Müller: Sie hat einen Gewinn gemacht, müssen wir festhalten?
Thielemann: Ja, keine Frage!
"Man hat offenbar dieser Versuchung nicht widerstanden"
Müller: Reden wir über Alice Schwarzer. Warum ausgerechnet Alice Schwarzer, wo wir doch gesagt haben und gedacht haben, viele, viele Jahre lang, wer so rigoros ist, der handelt auch rigoros.
Thielemann: Ja, wie gesagt. Wir können darüber spekulieren, aber da bin ich nicht der richtige, glaube ich, ob es wirklich plausibel ist, dass es nicht doch vor allen Dingen steuerliche Gründe waren, die sie veranlasst hat, das Geld ins Ausland zu bringen. Ich meine, Deutschland ist jetzt kein Unrechtsregime, in dem man zur Flucht aufruft, auch in den 80er-Jahren nicht. Ich weiß nicht, wie plausibel das ist. Man kann, glaube ich, da nur spekulieren. Ich glaube, die Leute sagen sich, diesen Schatz nehme ich mir, diese Gelegenheit greife ich beim Schopf, ohne dann ein Unrechtsbewusstsein zu haben. Das ist ja auch in vielen Fällen so ein Extra gewesen gleichsam. Bei Hoeneß ist es ja ähnlich gewesen. Und übrigens: In all den prominenten Fällen war es ja nicht Schwarzgeld offenkundig. Ich glaube, dass die größten Teile, die in der Schweiz liegen, Schwarzgeld sind, also gar nicht erst versteuertes Geld - das sind natürlich ganz andere Dimensionen, von denen wir sprechen -, sondern es geht ja "nur" um die Hinterziehung der Zinsen auf diesem Geld, was allerdings versteuert war. Man hat offenbar dieser Versuchung nicht widerstanden, und was die Stellungnahme von Frau Schwarzer ja unterscheidet von den bisherigen, ist ein klares Bekenntnis zum Unrechtsbewusstsein, auch übrigens, dass das Unrechtsbewusstsein bei ihr gestiegen ist seit den Veröffentlichungen der letzten Zeit.
"Das Bekenntnis, Unrecht getan zu haben, kommt glaubwürdiger daher"
Müller: Das räumt sie zumindest ein. Aber wenn wir beide gestern Beispielsweise noch mal auf die Tagesschau schauen. Wir haben gestern Nachmittag ja telefoniert, uns zu diesem Interview verabredet. Da war vielen von uns jetzt aufgefallen: In der Tagesschau wurde berichtet über Steuernachzahlungen. Bei Uli Hoeneß war das ganz anders. Das war Steuerbetrug, Steuersünde, Steuervergehen. Geht man jetzt etwas respektvoller, mit mehr Distanz, mit etwas Vorsicht mit der ganzen Thematik um?
Thielemann: Ja, ich denke auch. Es ist natürlich dann auch die moralische Seite dabei. Man könnte jetzt mal vergleichen, wie Uli Hoeneß und wie Alice Schwarzer damit umgegangen sind. Die Bekenntnis, Unrecht getan zu haben, ich würde jetzt mal sagen, kommt doch deutlich glaubwürdiger daher.
Müller: Bei Alice Schwarzer?
Thielemann: Bei Alice Schwarzer. Ja, denke ich doch. Das würde ich schon sagen.
Müller: Auch wenn sie sagt, sie ist damals quasi in Hatz und fast schon Angst mit dem Gedanken konfrontiert gewesen, ins Ausland zu gehen, weswegen sie mal schnell das Geld da geparkt hat. Ist das ein Eingeständnis?
Thielemann: Ja, das ist eine Rechtfertigung dafür. Darüber kann ich wie gesagt nicht diskutieren. Ich müsste jetzt in die 80er-Jahre zurückgehen. Ich glaube aber nicht, dass es wirklich plausibel ist. Das kann ein persönliches Motiv sein, aber keine gute Begründung. Ich glaube, der Unterschied ist wie gesagt: Man nimmt ihr das eher ab, scheint mir, dass sie da einen Fehler gemacht hat. Aber ich würde sagen, sie könnte das eigentlich deutlich unterstreichen. Sie könnte deutlich unterstreichen, dass das ein Fehler ist, da kann man drüber diskutieren, denn wie gesagt: Sie hat jetzt nur für die letzten zehn Jahre, nicht für die 20 Jahre vorher zahlen müssen. Sie könnte jetzt sagen, okay, ich gehe damit moralisch um und zahle das an wen auch immer, spende das, was ich da zu viel erhalten habe. Das wäre natürlich ein deutlich klareres Zeichen. Man könnte zumindest darüber diskutieren. Was mir daran wiederum nicht gefallen würde ist, dass damit Steuern wiederum zur Spende werden. Nein, wir sollen dafür kämpfen, politisch kämpfen, dafür steht auch Alice Schwarzer, würde ich sagen, dass Steuern rechtsverbindlich, und zwar fair, gleichmäßig und rechtsverbindlich eingeklagt werden und beispielsweise Kapitaleinkommen nicht weiterhin privilegiert sind, was im Moment noch der Fall ist durch die Abgeltungssteuer, die uns die Schweiz ins Haus geholt hat.
Müller: Der Berliner Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Thielemann bei uns im Deutschlandfunk, Direktor des Instituts Menschliche Marktwirtschaft. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
Thielemann: Vielen Dank auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.