Martin Zagatta: Thomas Eigenthaler, er ist der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft - guten Tag, Herr Eigenthaler!
Thomas Eigenthaler: Schönen guten Morgen!
Zagatta: Herr Eigenthaler, wenn Sie das jetzt hören, wie sehr betrifft das Ihre Arbeit, diese Panama Papers, also wie sehr helfen die bei der täglichen Arbeit der Steuerbehörden? Merkt man das schon im Alltag?
Eigenthaler: Zunächst müssen wir mal den Steuerfahndern danken für Ihre wahnsinnstolle Arbeit, wir haben ja gehört, riesige Mengen an Daten in Englisch, Französisch, Spanisch abgefasst. Also es ist ein Wunder, dass man schon so weit gekommen ist und 150 Millionen Euro schon herbeigeschafft hat. Ich gehe davon aus, dass noch viele weitere Millionen in die Staatskasse kommen werden. Und das ist natürlich noch weitere Arbeit, und man kann den Steuerfahndungsstellen nur wünschen, dass sie auch personell gut ausgestattet sind.
Zagatta: Sind sie das?
Eigenthaler: Nun, man braucht für solche Aktionen natürlich noch mehr Personal. Wir sind immer nur auf die Grundbelastung ausgerichtet. Aber wenn man solche Leaks auswerten muss, so viele Datensätze, braucht man einfach mehr Personal, und da muss Hessen das natürlich bei seiner Personalausstattung berücksichtigen.
Zagatta: Wenn Sie sagen, 150 Millionen sind da schon ein großer Erfolg. Wo kommt das Geld vor allem her? Sind das Privatleute, die da Geld versteckt haben, die jetzt da belangt werden? Oder sind das, wie wir in dem Bericht ja auch gehört haben, Banken, die da mitgeholfen haben und die da jetzt Strafzahlungen leisten müssen?
Eigenthaler: Ich denke, es ist ein Mix. Es gibt Bankleute, aber sehr viel Unternehmen auch, die sich hinter solchen Briefkastenfirmen verstecken, man bastelt dort gesamte Konstrukte über die Ozeane hinweg rein in die Steueroasen. Und das wird natürlich von einer Beratungs- und von einer Finanzdienstleistungsindustrie unterstützt, die davon erheblich finanziell profitiert. Und ich hoffe nur, dass man auch an diese Hintermänner rankommt und die zur Verantwortung zieht.
Zagatta: Reichen denn da unsere Gesetze aus, weil das wurde ja immer wieder infrage gestellt?
Eigenthaler: Gesetze haben wir genug und vor allem haben wir auch hohe Strafrahmen. Wichtig ist, dass die Dinge aufgedeckt werden. Also wir haben es hier mit einer Weiße-Kragen-Kriminalität, mit Wirtschaftskriminalität zu tun, das ist nicht so einfach wie ein Verkehrsunfall. Und deshalb ist es sehr zeitintensiv, man braucht sehr erfahrene Leute, und vor allem braucht man eine hohe Motivation, dass man sich durch diesen Datenwust überhaupt durchkämpfen kann.
Plädoyer für den Pranger
Zagatta: Haben da die Panama Papers irgendwelche Konsequenzen gehabt? Also man liest immer, mehr Staaten liefern Bankdaten. Geht das noch, Geld im Ausland zu verstecken? Oder ist das jetzt ganz schwierig geworden?
Eigenthaler: Also natürlich wird es immer wieder Steuerhinterziehung geben und ich bin gespannt, wann die nächsten Leaks auftauchen werden. Wir sollten uns davon verabschieden, dass die Dinge irgendwann einem Ende zugeführt werden. Die Dinge werden verlagert, sie werden von einem Land ins andere verlagert, weil es immer wieder Leute gibt, die Steueroasen finden, die sich in die Büsche schlagen wollen. Also die Arbeit geht da für das Finanzamt und für die Steuerfahnder nun wahrlich nicht aus.
Zagatta: Da ist ja auch ein sogenanntes Transparenzregister mittlerweile eingeführt worden. Was hilft Ihnen das in der praktischen Arbeit? Bringt das was?
Eigenthaler: Das Transparenzregister ist relativ neu, das ist eine Datei, wo man eher an die Hintermänner rankommt, das ist aber zunächst eine nationale Datei. Jetzt muss man da rangehen, die europäisch und international zu vernetzen, ein Datennetzwerk, ein Dateinetzwerk zu schaffen. Jetzt reichen die Dinge noch nicht so lange hin. Vieles ist auch für Geldwäsche-Ermittlungen formuliert, weniger für Steuerhinterziehung.
Zagatta: Sie haben es angesprochen, da muss die EU oder muss die internationale Gemeinschaft gemeinsam handeln - da hat es ja Versuche gegeben, da hat man 17 Staaten auf eine schwarze Liste gesetzt. Bringt das überhaupt etwas? Weil da hat es ja, soweit ich das gelesen habe, gar keine Strafen gegeben, das war so eine Art Pranger.
Eigenthaler: Also ich bin ein Freund solcher Listen, egal, ob das nun schwarze Listen oder graue Listen sind, weil sie haben eine Pranger-Funktion, und eigenartigerweise tun dann die Staaten alles, um von diesem Pranger wieder wegzukommen.
Ob das wirksame Maßnahmen sind, das muss man dann beurteilen, aber jedenfalls ein Pranger ist gut, weil die Staaten wollen einfach nicht sozusagen ins Licht der Öffentlichkeit gerückt werden. Man muss aber sagen, dass die Staatsführungen der Oasenstaaten natürlich immer auch von diesen Strukturen profitieren, weil er einfach Steuereinnahmen in ihre Länder bringt.
Zagatta: Steueroasen, das klingt immer so exotisch. Wie ist das mit EU-Staaten? Da müssten doch einige auf dieser Liste auch erscheinen? Da wurden ja immer wieder genannt Luxemburg, Irland, Niederlande. Wieso werden die nicht entsprechend angeprangert?
Eigenthaler: Diese Frage stelle ich mir in der Tat auch. Ich habe das auch schon im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages angemahnt. Wir reden immer nur von sogenannten Drittstaaten, also nicht EU-Staaten, aber wir haben zum Beispiel Zypern, Malta, Madeira, die Kanalinseln, wo auch ein munteres Treiben an Steuerhinterziehung und an Verdeckungen stattfindet.
Kampf für Steuergerechtigkeit
Zagatta: Welche Antworten bekommen Sie da, wenn Sie die Frage stellen?
Eigenthaler: Nun, man möchte natürlich den europäischen Rechtskreis jetzt nicht durcheinanderbringen. Die Staaten sind bei wichtigen Beschlüssen aufeinander angewiesen. Oftmals braucht man Einstimmigkeit. Und da möchte man natürlich gegen bekannte Länder wie Luxemburg, Irland und die Niederlande nicht offen vorgehen, obwohl dort wirklich nicht alles im Besten liegt.
Zagatta: Herr Eigenthaler, ich gehe nicht davon aus, dass Sie jetzt da irgendwelche Tipps geben wollen, aber kann ich, wenn ich das will und das nötige Geld habe, mein Vermögen noch immer anonym ins Ausland bringen, dort verstecken, vielleicht sogar in, wie Sie es eben angedeutet haben, innerhalb der EU?
Eigenthaler: Ich glaube, dass Sie das innerhalb einer Stunde bewerkstelligen könnten. Es besteht ja ein offener Markt, Sie können Adressen über das Internet finden, weil man muss sich ja eines vor Augen halten: Die Gründung einer Briefkastenfirma ist per se nicht illegal, sondern es geht doch letztlich darum, ob Sie Ihrem Finanzamt etwas verschweigen. Aber die Dienstleistungsindustrie, die irgendwelche Verträge aufsetzt, Konten verwaltet, die ist per se nicht illegal, und deshalb wird man Ihnen in jeder Stunde diese Dienstleistungen anbieten, natürlich immer mit dem formalen Hinweis, aber seien Sie bitte ehrlich zu Ihrem Finanzamt. Ob Sie das sind, dafür kann zunächst der Dienstleister nichts.
Zagatta: Ist das nicht sehr frustrierend für Sie, für die Steuerbehörden?
Eigenthaler: Na, das sind wir gewöhnt. Wir haben einen langen Atem, wir sind sehr motiviert. Wir sind Hüter der Steuergerechtigkeit, wir kämpfen für Steuergerechtigkeit, und in diesem Kampf lassen wir uns nicht aufhalten.
Zagatta: Wie viel Geld entgeht dem deutschen Fiskus durch solche Praktiken, lässt sich das übersehen?
Eigenthaler: Nun, es gibt keine exakten Schätzungen, aber ich gehe davon aus, wenn man alles zusammennimmt, alles zusammennimmt, haben wir einen Verlust pro Jahr in Deutschland von etwa 50 Milliarden Euro, Tendenz nach oben.
Zagatta: 50 Milliarden, eine Menge Geld.
Eigenthaler: Und wenn ich noch dazurechne, dass es auch noch halbwegs legale Steuervermeidungskonstrukte gibt, wo Steuervermögen über die Grenze geschoben wird, wo zunächst nichts Kriminelles da ist, müssen wir von weiteren 50 Milliarden Euro ausgehen, die dem deutschen Fiskus fehlen. Unter dem Strich könnten wir bei genügender Beobachtung 100 Milliarden zusätzlich pro Jahr generieren.
"Schützende Hände"
Zagatta: Herr Eigenthaler, wenn ich das so höre: Müssten die deutschen Steuerbehörden nicht ganz anders vorgehen? Es ärgern sich ja viele, wie genau da bei Ihnen bei relativ kleinen Beträgen geprüft wird, und da geht es ja wohl um ganz große Fische, wenn Sie da von 50 Milliarden sprechen. Müsste man da nicht die Schwerpunkte dann unter Umständen ganz anders setzen und sagen, also die Kleinen belästigen wir oder belangen wir gar nicht mehr so genau und schauen da, wo wirklich das dicke Geld zu machen ist, auch aus Sicht des deutschen Steuerzahlers?
Eigenthaler: Ja, der Eindruck kann natürlich in der Tat schnell entstehen. Arbeitnehmer werden jedes Jahr vom Finanzamt kontrolliert, im Übrigen auch Rentner und Rentnerinnen, und Betriebe werden vielleicht nur alle 15, manchmal nur alle 50 Jahre steuerlich geprüft. Also hier ist eine wirkliche Lücke in der Steuergerechtigkeit da, und da müsste sich der Staat schon überlegen, wie schließt er diese Gerechtigkeitslücke?
Zagatta: Was müsste man da machen, um diese Lücke zu schließen?
Eigenthaler: Nun, man bräuchte mehr Prüfer für die Unternehmen, wir bräuchten mehr Fachleute für internationale Steuerbeziehungen, wir brauchen mehr Datenaustausch in Europa und international, und wir brauchen vor allem das Bewusstsein von den Staaten, nicht gegeneinander zu arbeiten, sondern miteinander für Steuergerechtigkeit und für relativ gleiche Steuerbedingungen zu arbeiten.
Zagatta: Warum passiert das nicht? Das müsste doch eine Investition sein, die sich doppelt, dreifach und noch mehrfach lohnt, wenn so ein Steuerfahnder dann unter Umständen da Millionen einbringt.
Eigenthaler: Also wenn man bedenkt, dass jeder Betriebsprüfer 1,5 Millionen Euro pro Jahr an Mehrsteuern einhebt und vielleicht mit Altersversorgung und Büro nur 70.000 kostet, wundere ich mich jeden Tag, warum hier nicht mehr gemacht wird, und manchmal denke ich, dass hier auch schützende Hände da sind, insbesondere im unternehmerischen Bereich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.