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Steuermoral
"Die Panama-Diskussion ist erbärmlich"

In der Diskussion um die Panama Papers vermisst der Reichtumsforscher Thomas Druyen eine klare Unterscheidung zwischen moralischer Kritik und juristischer Bestandaufnahme. Ein Gespräch über die Todsünde Gier, die Scheinheiligkeit der Empörung und die wahren Profiteure.

Thomas Druyen im Gespräch mit Christiane Florin |
    Thomas Druyen, Vermögensforscher
    Der Vermögensforscher Thomas Druyen nennt die Enthüllungen der Panama Papers pervers. (imago/stock&people)
    Christiane Florin: Seit gut einer Woche beschäftigen die Panama-Papiere Medien und Politik. Sie haben erforscht, wie sehr reiche Menschen so ticken. Wie viel Gier ist Ihnen da begegnet?
    Thomas Druyen: Im Verhältnis zu meiner eigenen Vorstellung, als ich vor 15 Jahren mit dieser Forschung begann und proportional zu der Diskussion, die wir jetzt gerade erleben mit den Panama-Papers und den ganz vielen Empörungswellen, die wir schon erlebt haben: relativ wenig. Das liegt auf der einen Seite daran, dass wir ja Vermögende untersuchen, das heißt, diejenigen, die in extrem hohen Gewinnbereichen und Vermögensbereichen sind – also über 30 Millionen US-Dollar. Da waren ganz wenig Investmentbanker zum Beispiel, ganz wenige Spekulanten. Also es hat schon damit zu tun, dass wir die Klientel, die mit Gier und diesen psychologischen Elementen in erster Linie zu tun haben, weniger als Forschungsgegenstand zur Kenntnis genommen haben. Also es waren mehr Unternehmer, auch die auch den neuen Branchen, viele Dynastien etc. Gier steht stellvertretend auch für eine Bereitschaft, zumindest eine gewisse Form der Illegitimität an den Tag zu legen. Ich glaube, die Gier reicht psychologisch überhaupt nicht aus als Beschreibung. Ich muss sagen, diese Panama-Diskussion, die ist erbärmlich.
    Florin: Was hätten Sie sich den gewünscht an Diskussion?
    Druyen: Man ist permanent auf der Suche nach Schuldigen. Und jetzt hat man wieder anonymisierte Schuldige. In der gesamten Panama-Geschichte ist nichts, was jemand, der sich damit beschäftigt hat – und ich meine jetzt nicht nur wissenschaftlich – überraschend.
    Florin: Wieviel Briefkastenfirmen-Inhabern sind Sie denn bei Ihren Recherchen begegnet?
    Druyen: Es waren sicherlich einige, aber unter 10 Prozent. Wir haben Interviews weltweit gemacht. Und da kamen natürlich ganz unterschiedliche Formen. Also einen Kriminellen habe ich leider – oder Gott sei Dank – keinen getroffen, der mir jetzt sagte, aus welchen Gründen er das macht. Ich habe aber andere Wahrnehmungen mitgeteilt bekommen von sehr, sehr viel älteren Leuten – zum Beispiel in Südamerika. Die sagten, wir müssen eine Möglichkeit finden bei dieser politische instabilen Lage, die wir haben, dass wir die Familie und auch das Unternehmen schützen, und deshalb sind wir geradezu darauf angewiesen, Gelder zu sichern. Damit will ich die anderen, die es aus anderen Gründen machen, natürlich nicht frei sprechen.
    Florin: Sie empören sich über die Empörung. Sehen Sie ethisch, kein Problem darin, solche Konstruktionen zu nutzen?
    Druyen: Pervers – das ist gar keine Frage, dass diese Konstruktionen trocken gelegt werden müssen. Nur das weiß ja die Politik seit 30, 40 Jahren schon. Ich errege mich über die Empörung wegen der Scheinheiligkeit. Es ist in dem Moment, wo es eine moralische Verfehlung ist, natürlich überhaupt nicht zu entschuldigen und muss beseitigt werden. Ich frage aber, ob unter den Empörten nicht auch Leute sind, die nachhaltig dazu beitragen, dass es keine Transparenz gibt.
    Florin: Wer trägt den die moralische Hauptverantwortung – der, der die Lücke öffnet, oder der, der sie nutzt?
    Druyen: Sicherlich ist der individuelle Delinquent mit krimineller Energie schuldig. Punkt. Denjenigen, der sich ein ethisches wie auch immer geeignetes Konzept zurechtlegt, muss man bewerten, in welchem Rahmen das sozusagen noch legal ist. Wir müssen die Frage der Legalität und der Illegalität, die ja permanent diskutiert wird, unbedingt mal klären. Also wir müssen uns eine Frage stellen nach der Durchdringungskraft von Moral. Moral ist leider was ganz unfassbar Wichtiges, aber ein zahnloser Tiger.
    Florin: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist", heißt es in der Bibel. Fällt das eigentlich Menschen besonders schwer, die schon sehr viel haben?
    Druyen: Also Ihre Frage impliziert ja, dass die, die viel haben, auch besonders in Gefahr sind, sozusagen dem Panama-Phänomen sich zu ergeben. Dem würde ich aufgrund meiner Forschungen widersprechen.
    Florin: Aber jemand, der wenig Geld hat, kommt doch gar nicht erst in die Versuchung, eine Briefkastenfirma in Panama einzurichten.
    Druyen: Ja, natürlich – gar keine Frage. Aber in jedem Milieu versucht man, bestimmte Vorteile wahrzunehmen. Diese Vorteilswahrung ist ein zutiefst menschliches Element. Und das vollzieht sich jeden Tag in allen Milieus und wird sich weiter vollziehen. Wenn wir jetzt aber von organisierter Kriminalität sprechen, dann ist das ein völlig anderes Delikt und muss bestraft werden. Dort, wo es Graubereiche gibt, bedarf es in einer globalisierten Welt, die natürlich auch von Lückennutzung profitiert, einer anderen Form der Rechtsbeurteilung. Wir haben das Handwerkszeug für einen VW-Bully, fliegen aber mit Überschall-Geschwindigkeit.
    Florin: Sie haben sich mit Superreichen beschäftigt, mit sehr reichen Menschen. Haben die sich von Steuermoral-Debatten beeinflussen lassen?
    Druyen: In Deutschland sind solche Debatten sicherlich einflussreich. In Deutschland gibt es auch eine hohe Zurückhaltung, auch Furcht einer solchen Diskussion gegenüber. Man möchte nicht, dass dieses Verhältnis der Milieus untereinander aus dem Ruder läuft. Davor hat man begründete Angst. Ich glaube, dass das bei uns wirklich eine hohe Sensibilität besitzt – aus vielerlei Gründen. In Asien, in China zum Beispiel, in Russland, in Indien sind das völlig andere Geschichten, die mit einer anderen Mentalität zu tun haben. In Amerika gibt es einen ganz anderen Staatsskeptizismus als bei uns. Wir verlassen uns ja im besten Sinn noch auf den Staat und haben noch trotz allem immer noch ein hohes Vertrauensverhältnis, was in Amerika zum Beispiel nicht gegeben ist. Wir können hier auf Ihre Frage hin, kann ich nicht generalisieren. Das ist von Kultur zu Kultur anders.
    Florin: Und die Empörung hat die damit zu tun, dass wir alle Steuermoral-Apostel sind? Von Ihnen abgesehen.
    Druyen: Da möchte ich nur sagen, meine Empörung ist nicht die Empörung gegenüber dem Vorgang, der skandalös ist, aber nicht skandalöser als viele, viele Dinge in letzten Jahrzehnten, die schon bekannt sind, aber nicht so breit getreten worden sind. Die Empörung scheint mir ein Element zu sein, um die notwendige Diskussion und die Aufklärung der Öffentlichkeit wiederum auf die lange Bank zu schieben.
    Wenn sich Leute empören, ist es ja gut, weil dann eine gewisse Aktivität – hoffentlich – und auch ein Druck freigesetzt wird. Aber Empörung – und das kann ich als Zukunftspsychologe, was ich zwei Jahre jetzt nebenher auch mache, sagen: wir sind in einem extremen Erregungszustand – unsere gesamte Gesellschaft, auf einem viel höheren, eine hohe Stressbedingung. Und das wirken Themen auf eine ganz andere Art und Weise, und die Empörung auch. Und die Empörung ist in erster Linie auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Frustration. Und manchmal ersetzt die Empörung dann auch intelligente Maßnahmen. Empörung ist noch nicht die halbe Miete zur Aufklärung. Nur darauf möchte ich hinweisen.
    Thomas Druyen lehrt am Institut für Zukunftspsychologie und Zukunftsmanagement der Sigmund-Freud –Privat-Universität in Wien.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.