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Steueroasen in Europa
"Noch ein paar Hausaufgaben zu erledigen"

Der CDU-Europaparlamentarier Herbert Reul hat sich mit Blick auf die "Luxemburg Leaks"-Affäre für mehr europäische Zusammenarbeit in der Steuer- und Finanzpolitik ausgesprochen. Zunächst müsse allerdings der Sachverhalt genau aufgeklärt werden. Das sei sicherlich auch im Interesse von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, sagte Reul im DLF.

Herbert Reul im Gespräch mit Martin Zurheide |
    Moselbrücke von Perl (Deutschland) nach Schengen (Luxemburg).
    Herbert Reul zur Luxemburg-Leaks-Affäre: "Wir brauchen eine kluge Lösung." (dpa / picture-alliance / Romain Fellens)
    Jürgen Zurheide: Natürlich ist Luxemburg immer noch so etwas wie eine Steueroase. Wer daran gezweifelt haben sollte, wurde diese Woche wieder einmal eines Besseren belehrt – und das alles ganz legal. Das ist die große Frage: Was passiert da eigentlich gerade in Luxemburg und was haben wir diese Woche gehört? Wir wollen auch heute Morgen noch einmal darüber reden mit Herbert Reul aus dem Europäischen Parlament, den ich ganz herzlich begrüße. Guten Morgen, Herr Reul!
    Herbert Reul: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Reul, was sagen Sie eigentlich einem deutschen Mittelständler, wenn er dann wieder liest, dass Amazon und Co., aber auch deutsche Großunternehmen maximal ein Prozent Steuern zahlen, während bei ihm hier richtig zugelangt wird. Was antworten Sie, wenn er Sie kritisch fragt?
    Reul: Dass wir offensichtlich noch ein paar Hausaufgaben zu erledigen haben, und dass es gut ist, dass die europäische Politik immer mehr zusammen entwickelt, weil solche Fragen ein Staat alleine offensichtlich nicht löst. Und wir sind ja auch ein Stück vorwärtsgekommen, aber möglicherweise noch nicht so weit, wie wir sein müssten.
    Die Untersuchungen laufen nicht erst seit gestern
    Zurheide: Der entscheidende Punkt ist ja, die Luxemburger selbst haben gesagt, das ist alles ganz legal, gleichwohl haben sie eine Art schlechtes Gewissen. Haben Sie denn schon gehört, dass man da etwas ändern wird? Man könnte ja zum Beispiel genauer hinschauen, denn es heißt ja in den Regeln in Luxemburg eigentlich, wenn ein Unternehmen dort tätig ist, muss es auch wirklich dort arbeiten. Und das Gegenteil scheint ja, was die Kollegen ausgearbeitet haben, der Fall zu sein.
    Reul: Dafür weiß ich noch zu wenig von den Details. Aber Sie wissen, dass dieser Vorgang, der jetzt die Öffentlichkeit sehr intensiv befasst, ja nicht zum ersten Mal die Öffentlichkeit befasst, sondern es hat schon mal öffentliche Debatten darüber gegeben. Die Debatte darüber, dass es in Europa Staaten sind, die "Steuerparadiese" sind, wo es also besonders gut oder günstig ist, Geld anzulegen, ist auch nicht neu. Und wir hatten auch einen großen Streit vor einigen Jahren, bis wir endlich erreicht haben, dass ein Informationsaustausch stattfindet.
    Das sind einzelne Schritte. Die Verfahren, die Untersuchungen, die laufen, auch nicht erst seit gestern, seit geraumer Zeit wird untersucht. Gut, jetzt ist Juncker Kommissionspräsident geworden, und schon kriegt das Ganze öffentlich eine andere Dimension. Aber die Sache selber ist eigentlich seit, ich glaube, spätestens Sommer schon auf der Tagesordnung, und Prüfverfahren der Kommission gibt es auch schon seit geraumer Zeit.
    Ich glaube, man kann es erst beurteilen, wenn man wirklich dann nach dem Prüfverfahren auch weiß, wo sind an welcher Stelle erstens fehlerhaftes Verhalten – das ist der leichteste Fall – oder wo sind Lücken, um die wir uns kümmern müssen?
    Man muss das Ergebnis der Untersuchung abwarten
    Zurheide: Über Herrn Juncker möchte ich gleich noch politisch mit Ihnen reden, aber ich will noch mal sagen, es gibt ja zwei Ansatzpunkte, Herr Reul. Der eine, internationale Vereinbarungen, da wissen wir, das ist alles oft schwierig, weil es eben einzelne Länder gibt, die wieder andere Interessen haben. Der andere ist dann so eine Art Mindeststeuer in einem Land wie Deutschland, damit man nicht alles absetzen kann. In welche Richtung tendieren Sie? Oder muss man beides machen?
    Reul: Da habe ich keine abschließende Meinung, das will ich auch so offen benennen. Ich glaube, das hängt auch ein Stück davon ab – ich glaube, es ist immer klug, dass man Entscheidungen, was man politisch macht, nicht macht, bevor man überhaupt den Sachverhalt aufgeschlüsselt hat.
    Ich bin immer für die richtige Reihenfolge, und ich glaube, wir haben da noch Bedarf, genau aufzuklären, was eigentlich passiert. Genau das ist ja der Grund, warum die Kommission Beihilfeverfahren eingeleitet hat, und zwar nicht erst, sondern länger. Und deren Ergebnis muss man abwarten. Manchmal ist es auch gut, ein bisschen Geduld zu haben. Ich befürchte – also manchmal haben wir ja schon Lösungen, bevor das Problem bekannt ist.
    "Man muss eine kluge Lösung haben"
    Zurheide: Wiederum, Herr Reul, da würde ich Ihnen jetzt ein Stück widersprechen wollen – ganz unbekannt ist das Problem natürlich nicht. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir eigentlich über das Phänomen schon viel, viel länger reden. Das ist jetzt möglicherweise eine neue Ausprägung. Können Sie dann den Unmut – ich komme wieder auf den Mittelständler und auch auf andere, die ihre Steuern zahlen müssen, verstehen, dass sie sagen, na ja, macht die Politik was, will sie vielleicht nichts tun?
    Reul: Natürlich kann man den Unmut verstehen, das ist doch vollkommen klar. Es gibt doch gar kein Argument, warum man das nicht verstehen soll. Die Frage ist nur, man muss eine kluge Lösung haben, und das Interessante ist, dass oft diejenigen, die an der Stelle sagen, da müsst ihr doch eigentlich was tun, nicht ganz einsehen, dass eine Voraussetzung dafür ist, dass es mehr europäische Zusammenarbeit gibt. Denn natürlich kommen wir ein Riesenstück vorwärts, wenn auch im Bereich der Finanzmarktregeln, der Aufsichten einfach europäisch zusammengearbeitet wird.
    Viele Sachverhalte sind heute nicht mehr möglich, die vor drei, vier Jahren noch möglich waren, weil wir neue Regeln haben. Aber offensichtlich reicht das noch nicht aus. Und deshalb ist Politik logischerweise gefordert. Aber trotzdem, ich bleibe dabei, erst Sachverhalt präzise aufklären, dann Lösungen.
    Zurheide: Dann kommen wir jetzt auf die politische Dimension. Damit steht natürlich Jean-Claude Juncker ein Stück weit wieder im Feuer. Ausgerechnet er muss jetzt aufklären, was er selbst zu verantworten hat – der nette Herr Juncker.
    Reul: Aufklären muss die zuständige Kommissarin, das ist Frau Vestager aus Dänemark, nicht er. Und wenn er klug ist, und ich glaube, der ist klug, dann wird er erstens alles vermeiden, was den Eindruck erweckt, er würde sich da einmischen. Und zweitens, Frau Vestager den Rücken stärken, dass lückenlos aufgeklärt wird. Und ich glaube, das wird auch so kommen.
    Junckers Interesse ist eine lückenlose Aufklärung
    Zurheide: Haben Sie da volles Vertrauen, oder werden Sie als Parlament da ganz besonders scharf hingucken?
    Reul: Also, erstens habe ich Vertrauen. Aber natürlich hat man als Parlamentarier auch den Auftrag, aufzupassen, ob es so passiert. Das eine ist erst mal, ein Vertrauen in Menschen zu haben, die diese Aufgabe wahrgenommen haben – ich habe ja keinen Grund zu zweifeln, dass die das falsch machen. Aber natürlich muss man auf der Strecke und auch beim Ergebnis hingucken, ist das auch so vollzogen worden? Und wenn nicht, wird nachgehakt, nachgefragt, neu diskutiert werden müssen.
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass Juncker auch nur ansatzweise ein Interesse daran hat, hier irgendwas nicht lückenlos aufzuklären. Sein Interesse ist und muss Aufklärung sein, da bin ich sicher.
    "Wir brauchen an der Stelle ein funktionierendes, starkes Europa"
    Zurheide: Hat sich denn schon genügend geändert – wir haben ja gerade auch die Reaktion der luxemburgischen Regierung von Donnerstagvormittag gehört. Die haben sich ja schon angehört wie ertappte Sünder, so unter der Überschrift, na ja, es war zwar legal, aber vielleicht doch nicht ganz richtig.
    Reul: Na ja, es klingt ganz so, dass da offensichtlich schon nach Aufdecken jetzt und etwas breiterer öffentlicher Debatte schon eine neue Nachdenklichkeit einsetzt. Aber es gibt Sachverhalte – gucken Sie mal, damals die Steuerflucht in andere Staaten, die Nichtbereitschaft von Staaten, das offenzulegen, was da passiert. Wie lange hat das gedauert, da war ja auch Luxemburg beteiligt, aber auch andere Staaten, Zypern, Malta, die Schweiz war beteiligt – wie lange es gedauert hat, bis man sich da verständigt hat.
    Ich glaube, dass im Grunde erst die Finanzkrise und der Druck, der dadurch entstanden ist, es möglich gemacht hat, dass Staaten, sage ich mal, die eine oder andere Besonderheit, die sie da in der Steuerbehandlung gefunden haben, auflösen mussten und man zu mehr europäischen Lösungen kam.
    Eigentlich ist das ein weiterer kleiner Mosaikstein, der beweist, wir brauchen an der Stelle offensichtlich ein funktionierendes, starkes Europa, aber dann auch die Zuständigkeit.
    Zurheide: Und wir brauchen Journalisten, die es aufdecken.
    Reul: Das ist auch wahr. Das ist nicht schlecht.
    Zurheide: Herr Reul, dann bedanke ich mich auch für den letzten Satz ganz besonders bei Ihnen, für dieses Interview herzlichen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.