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Steueroasen
Wie das "Offshore"-Prinzip Demokratien gefährdet

Die weltweit knapp 70 Steueroasen haben vor allem eines gemeinsam: niedrige bis gar keine Steuern, wenig bis gar keine Kontrolle, keine kritische Presse und keine Bürger, die nach Steuergerechtigkeit rufen. Der Autor John Urry John Urry beschreibt in seinem Buch "Grenzenloser Profit" wie und warum das Offshore-Prinzip Demokratien akut gefährdet.

Von Thomas Fromm | 15.06.2015
    Ansicht aus der Vogelperspektive auf den Staat Monaco.
    Der Kleinstaat Monaco gilt als Steueroase. (dpa / picture alliance / Pascal Guyot)
    Der kleine Schweizer Kanton Zug war früher mal ein Fleckchen Erde für Bauern. Eher arm als reich, eher ein traditioneller als ein mondäner Standort großer Finanztransaktionen. Heute hat Zug die höchste Dichte an US-Dollar-Millionären in der Schweiz. Eine Gegend, in der 30.000 global agierende Unternehmen gemeldet sind. Da aber die meisten dieser Konzerne nur ein örtliches Postfach brauchen, sieht es in Zug nicht aus wie in Manhattan, Frankfurt oder Singapur, sondern eben: wie in einem kleinen Schweizer Kanton.
    Die Cayman-Inseln sind eine Inselgruppe in der Karibik, sie liegen ein paar Hundert Kilometer vor Kuba und bringen es zusammen auf 262 Quadratkilometer. Die Inselgruppe hat ungefähr 50.000 Einwohner, weist aber an die 80.000 registrierte Firmen auf. So kommt es, dass hier, zwischen exotischen Echsen, Stachelrochen und türkisblauen Buchten an die zwei Billionen Dollar Einlagen verwaltet werden sollen.
    Es sind dies Orte, an denen nicht viel produziert wird. Keine Ballungszentren oder Metropolen. Es sind die Rückzugsorte der Globalisierung, Orte, die der britische Soziologieprofessor John Urry in seinem Buch "Grenzenloser Profit" so analysiert: "Die Staatseinnahmen der Cayman-Inseln bestehen im Wesentlichen aus den Verwaltungsgebühren für die Registrierung der Firmen, wobei jedes Unternehmen als eine rechtliche Einheit betrachtet wird, die von ihrem Gründer und ihren Anteilseignern getrennt ist. Firmen, die auf den Cayman-Islands registriert sind, unterstehen praktisch niemandem, sie können ihre Form jederzeit ändern und sind wandelbar, anpassungsfähig und hoch flexibel. Die meisten Firmen zahlen keine Steuern auf ihre Einnahmen, ihren Gewinn oder ihre Kapitalerträge, solange sie ihre Haupttätigkeit im Ausland ausüben."
    Oasen für Milliardenströme fernab des Weltgeschehens
    "Grenzenloser Profit" ist also ein Reiseführer der besonderen Art, ein Buch über jene 60 bis 70 Steueroasen, die mal Inseln sind, mal Hochtäler, mal Großstädte. Die vor allem eines eint: niedrige bis gar keine Steuern, wenige bis keine Kontrollen. Keine kritische Presse, und keine Bürger, die nach Steuergerechtigkeit rufen. Dafür: Sichere Häfen für Kapitalgewinne und Erbschaften, in denen man keine großen Bürogebäude braucht und wo keine persönlichen Besuche am Bankschalter erforderlich sind. Kleine Oasen für Milliardenströme, die oft nicht zufällig fernab des eigentlichen Weltgeschehens liegen.
    "Sie sind üblicherweise undemokratisch, und das politische System verfügt über Mittel und Möglichkeiten, all jene fernzuhalten, die nicht erwünscht sind. Nur wenige Bewohner werden gegen das lasche Regulierungsregime protestieren, weil sie fürchten müssen, in der kleinen, überschaubaren Gemeinschaft geächtet zu werden, in der gewissermaßen jeder jeden kennt.
    Mehr als ein Drittel des weltweiten Vermögens liegt nach Urry "offshore" - das kann man durchaus Globalisierung nennen: Die Offshore-Verlagerung als Konsequenz einer Theorie der "komparativen Kostenvorteile", als Ultima Ratio unternehmerischen Handelns, die am Ende allen Beteiligten zugutekommen könnte. Diese Lehre funktioniert aber nicht: Denn es gibt weder einen gesellschaftlichen noch ökonomischen Nutzen, wenn Gewinnmargen dank eines ausgeklügelten Offshore-Modells zwar steigen, dieses Geld aber nicht reinvestiert wird. Und wenn - als Teil einer globalen Konzernstrategie - trotz der hohen Gewinne Arbeitsplätze in Billiglohnländer transferiert werden.
    Verlagert werden nicht nur Kapital und Menschen, sondern auch Dienstleistungen
    Urry, der politikwissenschaftlich vorgeht und nicht als investigativer Journalist zu den Briefkästen der Karibik reist, liefert mit seinem Buch sehr gute Argumente für all die, die schon seit Langem strengere Kontrollen fordern. Insofern ist seine Analyse durchaus tagesaktuell: Nachdem Ende vergangenen Jahres Tausende von Dokumenten zeigten, wie internationale Konzerne in Luxemburg Milliarden an Steuern sparen, hagelte es bei den europäischen Nachbarn Kritik. Und was sagte der luxemburgische Finanzminister damals dazu, dass Steuerinformationen über Personen und Unternehmen aus dem Großherzogtum gelangten? Man sei "sehr unglücklich" darüber.
    Die, die mit Sonderangeboten und Briefkästen locken, verzichten nur ungern auf ihre Privilegien. Dabei geht es nicht nur um Steuern. Verlagern lassen sich inzwischen nicht nur Kapital und Menschen, sondern auch Dienstleistungen:
    "Eine verbreitete Art des Offshorings von Dienstleistungstätigkeiten ist deren Auslagerung in sogenannte Callcenter, wodurch statt von Angesicht zu Angesicht die Beratung nun "Ohr-zu-Ohr"- erfolgt. In den vergangenen zehn bis 15 Jahren hat sich dieser Bereich stark ausgeweitet; Callcenter bilden heute eine wichtige Quelle neuer Jobs, vor allem auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungen."
    Die durchschnittliche Verweildauer von Call-Center-Angestellten liegt nach Recherchen des Autors übrigens bei knapp einem Jahr. Das sagt viel über die Nachhaltigkeit einer modernen Verlagerungsindustrie aus. Und diese schickt nicht nur Geld und Arbeit, sondern immer öfter auch Müll quer über den Globus. Selbst hier sind die Renditen höher, wenn man ihn aus dem eigenen Land bringt und in Osteuropa oder Afrika entsorgt. An die 15 Millionen Müllsortierer soll es geben, vor allem in den Entwicklungsländern. Offshoring jener Gifte, die die reichen Länder nicht mehr gebrauchen können. So wie in Guiyu an der Küste des südchinesischen Meeres, einer Art Weltzentrum für elektronischen Müll. Vier Fünftel des Computerschrotts, der in den USA entsteht, schreibt Urry, soll hier, in einer der giftigsten Städte der Welt, landen. Es ist sozusagen das dunkle Hinterzimmer der sauberen, sterilen Flagship-Stores, die kalifornische High-Tech-Unternehmen weltweit betreiben.
    Offshore-Industrie: ein lukratives Geschäftsmodell
    Natürlich steht hinter all dem eine eigene Offshore-Industrie. In den großen Investmentbanken dieser Welt arbeiten sehr viele sehr gut bezahlte Menschen, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als sich Gedanken über dieses Geflecht zu machen. Es zu entwerfen, zu pflegen, es immer wieder neuen politischen und steuerrechtlichen Gegebenheiten anzupassen. Ein lukratives Geschäftsmodell:
    "Weniger als 10 Millionen Menschen besitzen erstaunliche 21 Billionen US-Dollar an offshore-Vermögen. Dies entspricht dem kombinierten Inlandsprodukt der USA und Japans, der größten und der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt."
    Am Anfang seines sehr lesenswerten Buches zitiert der Autor Warren Buffett, den Gottvater aller Investoren. Er sagte: "Es gibt einen Klassenkampf, natürlich, und meine Klasse, die Reichen, die ihn führen, die gewinnen ihn gerade." Das ist eine interessante, weil sehr entlarvende Analyse. Interessant wäre nun zu wissen, wie sich Buffetts Klasse die Zeit nach diesem Kampf vorstellt.
    John Urry: Grenzenloser Profit. Wirtschaft in der Grauzone. Wagenbach Verlag, 224 Seiten 17,90 Euro.