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Steuerschätzung und Corona-Hilfen
Linke will Staatshilfen an BMW überprüfen

Gerade angesichts von sinkenden Steuereinnahmen müsse der Staat Hilfen an Großunternehmen in der Coronakrise mit "sehr harten Kriterien" verbinden, sagte Linken-Politikerin Gesine Lötzsch im Dlf. Wenn etwa BMW Hilfen in Anspruch nehme, könne man nicht gleichzeitig Dividenden ausschütten.

Gesine Lötzsch im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
Diese Coronakrise wird teuer. Wie teuer genau, das wissen wir noch nicht. Aber schon jetzt ist klar, die Steuereinnahmen in Deutschland gehen dramatisch zurück. Bund, Ländern und Kommunen müssen sich darauf einstellen, dass ihnen deutlich weniger Geld zur Verfügung stehen wird als bislang angenommen. Steuerschätzer prognostizieren ein Minus vom mehr als 81 Milliarden Euro. Noch vor der Bekanntgabe der Zahlen der Steuerschätzung forderte Gesine Lötzsch, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, eine stärkere Belastung hoher Vermögen und großer finanzstarker Unternehmen.
Kalte Dusche für Bund, Länder und Kommunen - die Steuerschätzung Der erwartete Einbruch bei den Steuereinnahmen durch die Wirtschaftsflaute in der Coronakrise löst bei den Kommunen Forderungen nach einem Rettungsschirm für Städte und Gemeinden aus. Es müsse schnell gehen, so der Städtetag.

Tobias Armbrüster: Frau Lötzsch, die Steuereinnahmen brechen also weg. Was muss jetzt passieren?
Gesine Lötzsch: Es ist erstens überhaupt keine Überraschung, dass die Steuereinnahmen wegbrechen, und ich glaube auch, dass man auf allen Ebenen schon die Möglichkeit hatte, darüber nachzudenken. So sieht man auch, dass die Risiken sehr unterschiedlich verteilt sind. Fangen wir mal mit den Kommunen an, dort, wo die Leute ja auch eher einen täglichen Ansprechpartner haben und wo sie zuerst auch die Politikerinnen und Politiker in die Pflicht nehmen.
Wir haben gesagt, als Linke, schon in der vergangenen Woche, wir brauchen einen Schutzschirm für die Kommunen, damit die Kommunen die Basisarbeit, die sie jetzt machen müssen – und sie bekommen ja immer mehr Aufgaben auch im Zuge der Krise zugeteilt –, erfüllen können. Wir müssen natürlich schauen, was ist jetzt aus dem vielen Geld geworden, was ja der Deutsche Bundestag vor wenigen Wochen in großer Einmütigkeit beschlossen hat, nämlich die Sozialpakete zu Beginn der Coronakrise, den Schutzschirm für die Wirtschaft, also den Wirtschaftsstabilisierungsfonds…
Gegen Boni und Dividenden
Armbrüster: Den haben Sie ja, glaube ich, mitbeschlossen, wenn ich mich richtig erinnere.
Lötzsch: Den haben wir mitbeschlossen, und wir haben aber gesagt, wir müssen genau hinschauen, gibt es da Mitnahmeffekte, und das hat sich jetzt schon erwiesen. Da würde ich gerne auch einen Blick mal in unsere Nachbarländer werfen. In Dänemark hat man die Entscheidung getroffen, dass Unternehmen, die entweder in Steueroasen sitzen, kein Staatsgeld bekommen, oder man hat auch entschieden, dass in dieser Zeit keine Boni und Dividenden ausgegeben werden dürfen, und das ist in Deutschland leider nicht so hart geregelt worden. Hier müssen wir unbedingt nachsteuern.
Die Linken-Politikerin Gesine Lötzsch im Bundestag in Berlin. 
Die Linken-Politikerin Gesine Lötzsch (picture-alliance / dpa / Rainer Jensen)
Wenn wir uns zum Beispiel anschauen, dass bei BMW zum einen Kurzarbeit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Anspruch genommen wird, was ja quasi von der Allgemeinheit bezahlt wird, und zum anderen Dividenden ausgeschüttet werden sollen in Höhe von 1,65 Milliarden Euro an die Aktionäre, und zwar jetzt in wenigen Tagen, am 19. Mai, und diese Dividenden kommen ja vor allen Dingen Großeigentümern, Quandt und Klatten, zugute. Da sagen wir als Linke, solche Firmen brauchen keinen Rettungsschirm. Die müssen die Dinge, die sie selber ja haben, auch investieren und damit auch ihren Beitrag leisten zur Bewältigung der Krise und nicht ständig noch weitere Staatshilfen fordern.
Armbrüster: Frau Lötzsch, wollen Sie dann schon verteiltes Geld wieder zurückholen?
Lötzsch: Na ja, wir brauchen sehr, sehr harte Kriterien, und es ist ja zum Beispiel so, wenn jemand zum Beispiel Kurzarbeitergeld anmeldet, eine Firma, ist ja die Erfahrung, dass gerade bei kleineren Firmen das sehr, sehr hart und sehr genau geprüft wird und auch Rückzahlungen teilweise erhoben werden. Das finden wir natürlich bei solchen Großunternehmen und bei den Superreichen völlig gerechtfertigt. Wie gesagt, wir sind hier in Europa, und man kann sich auch an positiven europäischen Beispielen orientieren.
Steuersystem soll gerechter werden
Armbrüster: Frau Lötzsch, aber das Problem geht ja noch etwas tiefer. Diese Zahl, wir haben es gerade gehört, steht da jetzt im Raum, 100 Milliarden Euro weniger. Das Geld werden Sie nicht reinholen dadurch, dass Sie sich bei einigen Firmen solche Mitnahmegelder, solche Mitnahmeeffekte wieder zurückholen. Die große Frage ist doch, woher kommt, wie könnte so ein riesiges Loch, 100 Milliarden Euro, tatsächlich gestopft werden?
Lötzsch: Die Frage ist natürlich völlig berechtigt. Es gibt natürlich viele Bausteine, und wir sehen ja jetzt, dass wir überlegen müssen, wie können wir auch unser Steuersystem gerechter und vor allen Dingen so gestalten, dass auch für die Allgemeinheit viel dabei herauskommt. Wir wissen ja, dass in der Bundesrepublik die Vermögenswerte ungeheuer ungleich verteilt sind. Ein Prozent der Bevölkerung verfügt über 50 Prozent der Vermögenswerte, und da sind wir der Auffassung, dass diese Krise jetzt so tief und so schwer ist, dass wir sagen, wir müssen den Grundgesetzartikel 106 in Anwendung bringen, der sieht nämlich für besondere Situationen eine einmalige Vermögensabgabe vor, und das ist natürlich etwas, was man einfach nicht zur Seite wischen kann. Ich glaube auch, dass man bestimmte Entscheidungen überdenken muss.
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Es ist ja beschlossen worden, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, es ist allerdings eine Teilabschaffung beschlossen worden, und ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass eine Teilabschaffung des Solidaritätszuschlages vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat. Das heißt, man müsste davon ausgehen, dass die ganzen 20 Milliarden, die der Solidaritätszuschlag bringt, quasi entfallen würden, und darum sagen wir, die Abschaffung des Solidaritätszuschlages ist nicht das Gebot der Stunde, sondern den sollten und müssten wir beibehalten.
Dritter Punkt, logischerweise, wir müssen auf die Ausgabenseite schauen: Wofür geben wir unser Geld aus. Wir haben ganz häufig und intensiv diskutiert, dass für Rüstung viel zu viel Geld ausgegeben wird. Ich kann mich entsinnen, dass auch die SPD gerne gesagt hat, diese zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes, was ja auch immer von Herrn Trump mit schöner Regelmäßigkeit von den Europäern und insbesondere natürlich auch von Deutschland gefordert wird, das ist ein Irrweg. Niemals ist so viel Geld für die Bundeswehr ausgegeben worden wie unter der jetzigen Regierung aus Union und SPD, die 50-Milliarden-Grenze, nach NATO-Kriterien berechnet, muss man dazusagen, ist gerissen worden. Also da kommt ein Baustein zum anderen, und ich finde...
Armbrüster: Frau Lötzsch, wir kriegen diese Bausteine alle mit, und Sie müssen mir zugestehen, dass ich da zwischendurch auch noch mal eine Frage stellen darf.
Lötzsch: Ja, selbstverständlich, Entschuldigung.
Armbrüster: Das waren jetzt wirklich sehr viele Punkte.
Lötzsch: Das war jetzt natürlich im Eifer des Gefechts.
"Nicht so, dass wir Unternehmen ruinieren wollen"
Armbrüster: Ich habe hier auf meinem Zettel schon mal stehen: angefangen mit der Vermögensabgabe. Die wollen Sie jetzt also einführen, die Linkspartei. Heißt das dann, Sie wollen jetzt denen das Geld wegnehmen, auf die es hier eigentlich ankommt? Weil hinter dieser Vermögensabgabe stehen ja sehr oft Unternehmen, die der Staat jetzt eigentlich braucht als Steuerzahler, die eigentlich so schnell wie möglich wieder in Gang kommen sollen. Jetzt wollen Sie solchen Unternehmen oder beziehungsweise den Unternehmern, die dahinterstehen, das Geld wegnehmen.
Lötzsch: Na ja, das ist natürlich nicht so, dass wir Unternehmen ruinieren wollen. Wir haben ja gesagt, wir orientieren uns am Grundgesetz, Artikel 106, oder wollen den zur Anwendung bringen. Diese Vermögensabgabe muss natürlich mit sehr hohen Freigrenzen für Betriebsvermögen verbunden sein und auch über einen sehr langen Zeitraum dann bezahlt werden.
Auch dafür gibt es ja historische Beispiele. Nun wissen wir ja auch, gerade spätestens seit der Finanzkrise 2008, dass ja die gerne wiederholte Annahme, dass dieses Geld vor allen Dingen im Betriebsvermögen steckt, ja nicht stimmt. Also wir haben ungeheuer viel Geld, was an Papieren, an Aktien, die nicht oder in allen möglichen Papieren, also nicht in Betriebsaktien stecken, und das ist natürlich etwas, was überhaupt nicht zum Zusammenbruch von Betrieben führen würde. Ganz im Gegenteil, natürlich sind wir unbedingt daran interessiert, dass die Wirtschaft stabilisiert wird, denn dadurch entstehen ja auch Arbeitsplätze beziehungsweise werden Arbeitsplätze gesichert.
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Armbrüster: Aber das Signal ist doch ganz klar: Sie wollen denen, die Geld verdienen und auch Steuern zahlen, denen wollen Sie das Geld wieder wegnehmen.
Lötzsch: Also es ist ja so, wenn gesagt wird, die Leute, die Steuern zahlen, Steuern zahlen alle, und zwar wird ja gerne unterschlagen, dass ein sehr, sehr großer Anteil am Steueraufkommen die Mehrwertsteuer ist, und jeder, der sich eine Flasche Cola kauft oder ein Brötchen, zahlt die Mehrwertsteuer, und der Anteil der Mehrwertsteuer – also dieser Steuer, der man sich auch unter gar keinen Umständen entziehen kann, es sei denn, man ist ein Betrüger, und da haben ja kleine Leute überhaupt nicht die Möglichkeit dazu, – dieser Anteil wächst immer mehr und wird völlig unterschlagen, und …
Armbrüster: Frau Lötzsch, wir müssen ein bisschen auf die Uhr gucken.
Lötzsch: Na klar.
Armbrüster: Ich habe noch einen anderen Punkt, den Sie genannt haben, auf der Liste stehen: Sie wollen den Solidaritätszuschlag doch weiter beibehalten. Ich kann mir vorstellen, dass sich gerade viele Bezieher von kleineren und mittleren Einkommen doch darauf gefreut haben, dass der Soli jetzt endlich abgeschafft wird, und für die Wirtschaft wäre das natürlich auch gut, weil dann wäre mehr Geld da für Kaufkraft. Den Leuten wollen Sie jetzt sagen, sorry, das Geld kriegt ihr jetzt doch nicht.
Lötzsch: Ach, wissen Sie, was da beschlossen wurde, ist ja eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht mit Ansage, denn es ist ja nur für einen Teil, nämlich für die Leute, die Sie gerade angesprochen haben und die sich darüber freuen würden, dass der Solidaritätszuschlag entfällt, angekündigt worden, aber es ist ja schon gesagt worden, von denjenigen, die ihn weiterzahlen müssten.
Wir klagen vor dem Bundesverfassungsgericht, und es ist von vielen, vielen Rechtsexperten gesagt worden, diese Klage wird vor dem Bundesverfassungsgericht mit hoher Sicherheit durchkommen. Darum ist natürlich die Lösung, dass wir ein wirklich gerechtes Steuersystem haben, was kleinere und mittlere Einkommen nicht belastet, sondern entlastet. Die Teilabschaffung des Solidaritätszuschlages, wie gesagt, führt zum Bundesverfassungsgericht, und es ist ein Urteil mit Ansage. Das kann sich jeder an allen fünf Fingern schon jetzt ausrechnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.