"Wind und Sonne treten in den Wettstreit, wer einen Wanderer wohl entblößen kann. Und der Wind pustet sehr, sehr kräftig. Und je kräftiger und kälter der Wind pustet, umso mehr klammert sich der Wanderer zu, schließt die Jacke, ja? Und die Sonne kommt mit ihren Strahlen, und der Wanderer öffnet die Jacke ganz von selbst."
Eine Fabel des griechischen Dichters Äsop, mehr als zweieinhalbtausend Jahre alt. Man kann sie originell zeitgenössisch interpretieren. Der Finanzwissenschaftler Enrico Schöbel von der Universität Leipzig tut das:
"Wie wäre das denn, wenn der Staat halt so was wie wärmende Sonnenstrahlen schickt, sodass sich der Steuerzahler halt selbst denkt: 'Ach, ich kann ja was abgeben! Und die Jacke brauch ich jetzt gar nicht.' Wohingegen, wenn einem da der kalte Wind der Staatsmacht ins Gesicht bläst, dann man vielleicht dichtmacht."
"Abgabetermine für Manuskripte haben mich immer mehr belastet als Abgabetermine für Steuererklärungen. Das bereue ich aus tiefem Herzen", erklärte sich Theo Sommer, der langjährige Chefredakteur und Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit", laut "Süddeutsche Zeitung". Er hatte seine Jacke dichtgemacht. In einem öffentlichen Prozess musste er eine Steuerhinterziehung in Höhe von rund 650.000 Euro einräumen. Anfang des Jahres wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Tageszeitung "Die Welt" zitiert ihn mit den Worten:
"Es war ein großer, ein grober Fehler, der mir nicht hätte passieren dürfen, ein Fehler aus Torheit und Nachlässigkeit."
Eigentlich müssten mehr Menschen Steuern hinterziehen
Fehler, Torheit, Nachlässigkeit. Statt den Rechtsbruch klar zu benennen, lavierte Theo Sommer in seiner Wortwahl herum. Woran aber liegt es, dass viele erwischte Steuersünder ihre Schuld verdrängen? Oder gibt es generell kein zur Zerknirschung führendes Schuldgefühl beim vermeintlichen "Kavaliersdelikt" Steuerhinterziehung? Neben Alice Schwarzer und Uli Hoeneß ist der Fall Theo Sommer der vielleicht erschütterndste eines Prominenten, weil Sommer gerne öffentlich Wasser predigte, während er heimlich Wein soff. Die Diskrepanz erstaunt und leitet zur Frage, was wir über die Psychologie des Steuerzahlens oder -nichtzahlens wissen.
"Noch mehr als die Messung des Ausmaßes der Steuerhinterziehung beschäftigt die Wissenschaft die generelle Frage, wie sich die Steuerzahler bezüglich ihrer rechtlichen Verpflichtung zur Steuerzahlung verhalten",
heißt es in einer Studie des Bundesfinanzministeriums von 2006.
Im Zentrum dieser Fragestellung steht das sogenannte Steuerzahlerrätsel.
Das Steuerzahlerrätsel beschreibt ein Phänomen, das viele Wissenschaftler schon beschäftigt hat, nämlich dass man eigentlich annehmen müsste: So gering, wie die Wahrscheinlichkeit ist, erwischt zu werden beim Steuerhinterziehen, müssten eigentlich viel mehr Menschen Steuern hinterziehen, als wir es beobachten können.
Der Stuttgarter Volkswirt und sozialdemokratische Kommunalpolitiker Martin Körner ist einer der beiden Autoren der Studie. "In der Wirklichkeit zahlen die Leute alles in allem eigentlich ganz ehrlich ihre Steuern."
"Es gibt in Deutschland eine Kultur des Steuerzahlens",bestätigt auch Enrico Schöbel, der sich in seinen Forschungen mit den "weichen" Faktoren des Steuerzahlens beschäftigt.
"Steuer rechtfertigt sich über den Zwangscharakter: Der Staat kann das, der Staat darf das! Aber hier findet ein Umdenken statt. Also auch in der steuerjuristischen Literatur lesen Sie jetzt immer mehr einführend, dass es in der Demokratie sehr auf die Steuerwilligkeit ankommt, ja? Nicht nur über die Mitwirkung, sondern eben generell: Steuern brauchen bürgerliche Akzeptanz."
Selbst errichtete Fassaden
"Ich weiß von vielen meiner Mandanten, die völlig gelassen ihre Steuern zahlen. Nur: Die verdienen entsprechend, und dann ist es auch leichter."
Frank Wehrheim arbeitet als Steuerberater im hessischen Bad Homburg. Zuvor war er viele Jahrzehnte als Steuerfahnder unterwegs.
"Die Bereitschaft heute, für die Möglichkeit, etwas von der Steuer abzusetzen, Risiken einzugehen, die ist immer noch da."
Im Jahr 2012 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 12.900 Personen wegen Steuerhinterziehung verurteilt, zwölf Prozent von ihnen erhielten eine Freiheitsstrafe, die allerdings fast immer zur Bewährung ausgesetzt wurde. Seit dem Ankauf von CDs mit verräterischen Steuerdaten aus der Schweiz ging auch die Zahl der Selbstanzeigen sprunghaft in die Höhe.
"Also, dass wir so ein Volk von bereitwilligen Steuerzahlern sind (...) das würd ich nicht so unterschreiben."
"Sonst so die Zahl der reuigen Sünder, meine ich, ist sehr gering, dass Leute wirklich so eine Art Umkehr machen. Es ist so wie mit dem, der aus dem 10. Stock springt und im ersten immer noch sagt: 'Ist ja bisher alles gut gegangen.' Das ist eigentlich eher die Mentalität", meint Achim Doerfer. Wie Frank Wehrheim kennt der Göttinger Steuerrechtsanwalt und Autor des im Frühjahr erschienenen Buches "Die Steuervermeider" diejenigen sehr gut, die vor dem Mikrofon lieber schweigen - die Selbstanzeiger oder bereits überführten Steuerhinterzieher. Während Prominente sich gezwungenermaßen öffentlich rechtfertigen müssen, kann sich der normale Steuerhinterzieher in Sprachlosigkeit flüchten. Viele der Ertappten warten allerdings dem Fahnder oder dem eigenen Anwalt gegenüber mit mehr oder minder überzeugenden Erklärungen auf. Achim Doerfer hört sie immer wieder in allen Spielarten:
"Oftmals erlebt man das ja dann auch in Ehen. Dann sitzt eben der eine Ehepartner und tischt dann nach wie vor so diese selbsterrichteten potemkinschen Fassaden auf, das sei nur ne Urlaubskasse gewesen. Und dann grätscht der andere Ehepartner rein: 'Jetzt halt doch mal den Mund und hör auf, den Anwalt zu belügen! (lacht) Wir hatten hier doch was ganz anderes vor!' Also das schwingt schon so ein bisschen mit, aber so in der Art: Naja, die Aldi-Kassiererin hat mir zu viel Wechselgeld rausgegeben, soll ich das jetzt sagen oder nicht?"
Steuerzahlen ist keine Primitivbestrebung
Die moralische Verfehlung wird zwar wahrgenommen, doch auf der Ebene einer Lappalie angesiedelt. Der zweite prominente Fall 2014, Alice Schwarzers bekannt gewordene Steuerhinterziehung, ist dafür symptomatisch.
"Ich habe einen Fehler gemacht, ich war nachlässig. Aber ich habe den Fehler wieder gutgemacht. Ich habe für die letzten zehn Jahre (…) rund 200.000 Euro Steuern nachgezahlt, plus Säumniszinsen. Der Fall ist damit auch aus Sicht der Steuerbehörde bereinigt",erklärte Alice Schwarzer auf ihrer Webseite. Abgesehen davon, dass der Fall aus Sicht der Steuerbehörde noch nicht abgeschlossen zu sein scheint, ist auch hier bloß wieder von Fehlern und Nachlässigkeiten die Rede. Die Formulierung von der "Wiedergutmachung" erweckt sogar den Eindruck, die Selbstanzeige sei eine besonders gute Tat. Der Spiegel-Journalist Jürgen Dahlkamp stellt allerdings auf dem Spiegel-Blog das hier zugrunde liegende Prinzip klar: Es ist ein Deal, kein Freispruch - und schon gar keine Auszeichnung.
"Es ist ein unmoralisches Angebot, das einzige dieser Art im deutschen Strafrecht, und wer es annimmt, ist deshalb auch noch kein moralischer Mensch. Allenfalls ein schlauer."
Es gibt kaum individualpsychologische Untersuchungen zur Steuerhinterziehung oder Steuermoral. Sechzig Jahre alt ist die Publikation des Psychologen Karl-Georg Holtgrewe über den "Steuerwiderstand". Trotz verstaubt wirkender Begrifflichkeiten liefert sie eine plakative Erkenntnis:
"Der Wille zum Steuerzahlen ist den Primitivbestrebungen entgegengesetzt und daher auf sich allein gestellt."
Als "Primitivperson" bezeichnet Holtgrewe jenen Teil unserer Persönlichkeit, der für rationale Steuerung unzugänglich bleibt. Dort handelt der Mensch, ohne nachzudenken, instinktiv - und genau dort ist das Steuerzahlen nicht angesiedelt. Psychologisch betrachtet wird der Wille zum Steuerzahlen, so vorhanden, von keinerlei positiver Grundemotion gestützt und bleibt ein kühler Vernunftakt aus Selbstdisziplin. Schlimmer noch: Durch die erzwungene Abgabe von eigenem Geld - tiefenpsychologisch gedeutet: überlebenswichtiger Nahrung - wird der Staat zum verhassten Gegner statt zum Agenten eigener Interessen.
Die allgemeine Steuermoral ist der Schlüssel
"Sie sehen nicht, wen Sie da übers Ohr hauen, ja, ob das jetzt Ihr Freund ist oder Ihr Gegner? Man spricht in der Finanzwissenschaft von 'öffentlichen Gütern', von denen prinzipiell jeder profitiert. Sie haben keine Rivalität im Konsum. Dadurch, dass ich Sicherheit genieße, hat der andere keine Sicherheitseinbuße. Aber Sie haben eben dieses Problem, dass Leute als Trittbrettfahrer eben dieses Gut mitkonsumieren, ohne ihren eigenen Beitrag dafür zu leisten", erläutert Enrico Schöbel. Der Leipziger Finanzwissenschaftler sucht nach Kategorien, mit denen sich der permanente Interessenkonflikt des Steuerzahlers beschreiben lässt.
"Das ist die Gefahr bei öffentlichen Gütern, dass dieses öffentliche Gut durch Freifahrerverhalten erodiert. Und dass es dann überhaupt nicht mehr bereitgestellt wird. Also nehmen Sie die Weide im Dorf, die Almende, die läuft Gefahr, übernutzt zu werden, wenn jeder seine Enten, Schweine und was er sonst noch so hat dahin treibt. Und Sie säen da kein Gras aus, weil Sie genau wissen: Wenn da mehr Gras wächst, dann schickt der Nachbar noch ein paar Enten dahin (lacht), und deswegen läuft diese Dorfweide halt Gefahr, kahl gefressen zu werden, plattgetrampelt zu werden."
Übertragen auf die Staatsfinanzen heißt das: Hinterziehen zu viele Menschen die Steuern, ruinieren sie das öffentliche Gut Steuermoral. Und die allgemeine Steuermoral liefert den Schlüssel zum individuellen Steuerzahlerverhalten. In seiner Studie schreibt Martin Körner zusammen mit Harald Strothmann:
"Bürger, die davon ausgehen, dass viele oder fast alle Bürger Steuern hinterziehen, haben eine erheblich schlechtere Steuermoral als Bürger, die grundsätzlich ein überwiegend faires Verhalten der anderen Steuerzahler unterstellen. (...) Dies verdeutlicht die beträchtliche Gefahr eines Teufelskreises der Steuermoral und indirekt der Steuerhinterziehung: Je mehr Bürger Steuern hinterziehen und je eher der Tatbestand der Steuerhinterziehung daher als 'Kavaliersdelikt' betrachtet wird, desto schlechter fällt die Steuermoral aus."
"Das ist ganz verheerend, vor allem in einer bestimmten Peer-Group. Wenn dort das Verschieben von Steuergeldern in die Schweiz oder das Etablieren bestimmter Steuerhinterziehungsmodelle akzeptiert ist und normal ist, dann sind der Steuerhinterziehung Tür und Tor geöffnet! Und über die Peer Group hinaus sicherlich auch, wenn es sich um Personen handelt, die auch so ein bisschen Vorbildcharakter haben", wie zum Beispiel Uli Hoeneß, Alice Schwarzer, Theo Sommer - Prominente, von denen man das nicht unbedingt erwartet hätte.
"Auch das ist die Realität in unserem Land, dass das eben vor niemandem Halt macht."
"Ich will meine Steuern optimieren"
"Das ist also wirklich die ganze Palette: von Lehrer, über den Selbstständigen, hin zum Unternehmer. Aber auch Menschen, wo Sie es gar nicht erwarten, wo Sie sagen: Kleiner Beamter. Und trotzdem Geld im Ausland. Es sind - und das muss man klar festhalten - schon wir alle!"
Als ehemaliger Steuerfahnder kann Frank Wehrheim diese Aussage mit einiger Berechtigung treffen. Wer erwischt wird, versucht es mit einem Abwehrkampf, so seine Erfahrung: "Die Klassiker waren Schimpfen auf die Politiker, die mit 'meinem' Steuergeld das Falsche anfangen. Die also die falschen Entscheidungen treffen politisch, und mein Geld einfach was weiß ich (…) heute würde man sagen den Griechen oder der EU und Italienern für Olivenbäume (…) und das Geld wird einfach falsch gesteuert. Bis hin: 'Das kriegen die falschen Leute, die dann keinen Anreiz haben, selber zu arbeiten!'"
"Das ist eine Variante einer ganz typischen Selbstrechtfertigung, die man eigentlich in allen Bereichen des Strafrechts hat. Bei den Kiffern hört man dann immer: 'Das ist der scheiß Bullenstaat, und das ist alles doof! Und die anderen sind schuld!' Ist also eine Spielart dieses: 'Ja irgendwie ist es das System, und ich hab damit ja gar nichts zu tun!'"
"Tatsächlich war dahinter immer eins: 'Ich will meine Steuern optimieren und will mehr Geld für mich haben!' Also die große Gier, die steckt doch in den meisten Fällen dahinter."
"Gier muss man mit Gier entgegentreten", lautet das versteckte, aber stets erkennbare Rechtfertigungsmuster der meisten Steuerhinterzieher. Denn die sekundäre Gier des Steuerhinterziehers folgt der primären Gier des Steuereinnehmers nach. Am Anfang ist der Staat als Räuber: Er nimmt, ohne zu fragen. Schon im frühen Mittelalter beschäftigte das die Theologen, wie der Wirtschaftswissenschaftler Günter Schmölders in den 70er Jahren schrieb:
"Bei Thomas von Aquin erscheint die Steuererhebung der geistlichen und weltlichen Fürsten unter der Überschrift Utrum rapina possit fieri sine peccato - Kann Raub ohne Sünde geschehen?"
Alte Steuern sind gute Steuern
Ja, das kann er, wenn die Wegnahme gerechtfertigt erscheint - aber die theologischen Spitzfindigkeiten, die dem Akt die Sündhaftigkeit nehmen, leuchten den Steuerpflichtigen lange nicht ein. Noch 500 Jahre später beschreibt John Stuart Mill die progressive Einkommensteuer als “milde Form der Räuberei”, und wenn die Kameralisten als Philosophen der Staatsbudgets seit der Aufklärung über Steuergerechtigkeit nachdenken, dann tun sie das vor allem unter dem Aspekt der Belastungsgrenze, die der Staat aus Eigeninteresse nicht überschreiten sollte, wie der Wirtschaftswissenschaftler Christian Scheer schildert:
"Nur zu gern zitiert man den hübschen Satz des zu seiner Zeit viel gelesenen italienischen Rechtswissenschaftlers Gaetano Filangieri (1780), dass es sich mit den Steuern wie mit einem Gewicht verhalte: Ein Mensch könne eine Zentnerlast auf dem Rücken tragen, er breche aber zusammen, wenn man ihm ein Pfund an die Nase hängt."
"Es gibt eine sehr, sehr alte Steuerregel, die Canardsche Steuerregel, die sagt: 'Alte Steuern sind gute Steuern.' Warum? (lacht) Weil sich die Leute daran gewöhnt haben, ja? Und woran sie sich gewöhnt haben, da denken sie nicht mehr groß drüber nach", bemerkt der Finanzwissenschaftler Enrico Schöbel. Die altehrwürdige Schaumweinsteuer oder die Feuerschutzsteuer sind tatsächlich kaum Gegenstand öffentlicher Debatten. Betrogen wird heute vor allem bei der Einkommen- und Umsatzsteuer. Der Ex-Steuerfahnder Frank Wehrheim erkennt drei Hauptkategorien der Steuerhinterziehung. Die erste betrifft das von ihm sogenannte "freie Geld", das nicht primär dem Finanzamt verborgen werden soll, sondern vor allem den eigenen Familienangehörigen.
"Das kann hingehen bis dass jemand als Hobby eben gern ins Bordell gegangen ist und brauchte dafür Geld, von dem niemand wusste."
Die Steuerhinterzieher der zweiten Kategorie kommen scheinbar sauber daher, denn sie berufen sich auf moralische Überlegenheit. Sie wollen ja bezahlen - nur nicht vorbehaltlos:
"Und das sind dann so Menschen, die bei der Steuer auf der einen Seite, ich sag mal: betrügen, und auf der anderen Seite dann auf anderen Sektoren sagen: 'Jetzt spende ich die Summe X,Y oder Z an gemeinnützige Sachen. Aber ich bestimme, was mit meinem Geld passiert! Ich bestimme, und nicht der Staat.'"
Am häufigsten aber sind die leidenschaftslosen Rechner des eigenen Vorteils:
"Diese Leute versuchen natürlich möglichst alles bei der Steuer unterzubringen, das heißt abzusetzen. Und dann fangen sie irgendwann an, aus dem gelben Bereich in den roten Bereich überzugehen und dann noch alle möglichen privaten Dinge auch noch in den Betrieb zu bringen. Das sind Menschen mit Strukturen, die sind auch, glaub ich, so im Leben unangenehm. Die geben Ihnen auch kaum ein Bier aus."
Prominente, die öffentlich bekennen, dass sie ordentlich ihre Steuern bezahlen
So weit die gängige Typologie. Aber was tut man, wenn auf der einen Seite das Unrechtsbewusstsein immer mehr schwindet und auf der anderen Seite massive Verschwendungen bei staatlichen Projekten wie beim Berliner Großflughafen BER den Steuerkriminellen scheinbar gute Argumente liefern?
"Grundsätzlich besteht darin eine gewisse Gefahr, also Politiker sollten da schon intensiver nachdenken", und zum Beispiel die internationalen Forschungsergebnisse zur Steuerehrlichkeit beherzigen.
"Von besonderer Bedeutung sind unter anderem folgende Fragen: (...) Haben die Bürger das Gefühl, dass Leistung und Gegenleistung in einem adäquaten Verhältnis stehen? Haben die Bürger Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Staates, und in welchem Maße identifizieren sie sich mit dem Staat?" listet Martin Körners Koautor Harald Strotmann in einem Aufsatz die weltweit gewonnenen Erkenntnisse auf.
"Im Durchschnitt fällt die Steuermoral der Bürger in den betrachteten OECD-Staaten umso besser aus, je dezentraler der Staat aufgebaut ist, denn eine Identifikation mit dezentralen staatlichen Ebenen fällt leichter als mit zentralen."
"Generell bin ich schon der Meinung, dass in den Städten und Gemeinden doch erstens eine andere Form der Politik gemacht wird, die glaub ich schon gemeinwohlorientierter ist als manches, was auf Landes- und Bundesebene geschieht. Und die Menschen eben näher dran sind."
Als Spitzenkandidat der Stuttgarter Kommunal-SPD redet Martin Körner hier pro domo, aber die Forschungsergebnisse stützen ihn. Jenseits schwer zu bewerkstelligender Strukturveränderungen existiert jedoch noch ein vergleichsweise einfaches Mittel:
"Spürbare positive Effekte auf die Steuermoral der Bürger könnten erreicht werden, wenn es im Zuge geeigneter Informationskampagnen gelänge, deutlich zu machen, dass viele - auch prominente und wohlhabende - Bürger ihre Steuern durchaus auch rechtmäßig bezahlen."
"Es gab 'ne Initiative - vielleicht vor zehn Jahren, unter anderem von dem Staeck und die Senta Berger war auch dabei -, wo jetzt einfach mal prominente Namen öffentlich bekennen, dass sie ordentlich ihre Steuern bezahlen. Und ich glaub, dass das schon etwas ist, was ankommt bei den Leuten. Glaub schon, dass das 'ne Wirkung hätte."