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Steven Pinker
"Aufklärung jetzt"

Er ist einer der Popstars im internationalen Wissenschaftsbetrieb: Steven Pinker. Der Psychologieprofessor an der Universität Harvard schreibt Bestseller-Bücher und regelmäßig Beiträge für die "New York Times" oder den "Guardian". In seinem neuesten Werk singt er ein Loblied auf die Aufklärung.

Von Benjamin Dierks |
    Buchcover-Collage: Steven Pinker "Aufklärung jetzt", S.Fischer Verlag. Als Hintergrundbild ein Gemälde von Holbein mit einem Porträt dess Humanisten Erasmus von Rotterdam
    Das Buch des Harvard-Professors ist ein erholsamer Gegenentwurf zu Wissenschaftsfeindlichkeit und Verschwörungstheorien, die sich in Politik und Gesellschaft in den letzten Jahren breitgemacht haben. (Buchcover: S.Fischer Verlag / Hintergrund: dpa/Bifab)
    Der wohl größte Fan von Steven Pinkers Buch "Aufklärung jetzt" ist Bill Gates. Gleich nach Erscheinen erklärte der Microsoft-Gründer es zu seinem "absoluten Lieblingsbuch aller Zeiten". Gates setzt sich mit seiner Stiftung gegen Hunger, Armut und Krankheit ein. Da wird ihm gefallen, dass mit Pinker mal jemand kommt und die Erfolge feiert, die auf diesem Gebiet erzielt wurden. Auf der anderen Seite hat Gates sein Leben lang Computer gebaut und ist es gewohnt, die Welt in Nullen und Einsen einzuteilen. Da liegt es nahe, dass ihm Pinkers Mission gefällt, denn der setzt auch auf Zahlen, um die Welt zu erklären. Mit ihrer Hilfe will der Harvard-Psychologieprofessor aufzeigen, dass es uns heute allen Klagen zum Trotz so gut geht wie noch nie und in Zukunft voraussichtlich sogar noch besser gehen wird.
    "Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt" - der Untertitel klingt nach einem Manifest. Pinker will in seiner 600 Seiten langen Abhandlung nachweisen, dass Aufklärung und Wissenschaft, die Naturwissenschaft vor allem, den Menschen mehr Wohltaten bereitet haben, als es viele heute wahrhaben wollen.
    "Ich bin auf Datensätze gestoßen, die belegten, dass es den Menschen immer besser geht. Die schien niemand zu kennen, weil nicht über sie berichtet wurde. Ich wollte sie abbilden und erklären."
    Pinker hat in der Tat sehr viele ermunternde Daten zusammengetragen. In 15 Kapiteln von Gesundheit über Wohlstand, Sicherheit und Demokratie bis hin zu Lebensqualität und Glück zählt er penibel auf, was sich für den Menschen verbessert hat: Die Lebenserwartung liegt heute im weltweiten Durchschnitt bei 71 Jahren - im Vergleich zu 30 Jahren im 18. Jahrhundert. Die Arbeitszeit ist gesunken, die Zahl der Demokratien gestiegen, Krankheiten, die vor nicht langer Zeit noch Millionen Todesopfer forderten, sind mit Medikamenten und Impfstoffen eingedämmt oder ausgerottet worden.
    Fortschritt und Wohlstand werden nicht gewürdigt
    Daneben offenbart Pinker auch einige weniger erwartbare Nachrichten: Die Gefahr, durch einen Blitzeinschlag zu sterben etwa, ist wegen besserer Wettervorhersagen gesunken. Weltweit hegen Menschen heute weniger Vorurteile, denken liberaler. Gesündere Ernährung und bessere Schulbildung schließlich tragen dazu bei, dass die Menschheit immer schlauer wird. Allerdings nicht schlau genug, um all diese Wohltaten von Aufklärung, Wissenschaft und Fortschritt auch gebührend zu würdigen, findet Pinker.
    "Diese ehrfurchtgebietenden Leistungen strafen jeden Lügen, der jammert, dass wir in einer Zeit des Niedergangs, der Ernüchterung, der Bedeutungslosigkeit, der Oberflächlichkeit oder der Absurditäten leben. Dennoch werden die Schönheit und Kraft der Wissenschaft heutzutage nicht einfach nur gewürdigt, sondern auch zutiefst gehasst."
    Pinker liefert einige psychologische Begründungen für Wut und Zukunftsangst trotz des von ihm präsentierten Fortschritts. Menschen seien auf Nostalgie gepolt und verklärten die Vergangenheit. Sie nähmen schlechte Nachrichten stärker wahr als gute. Schließlich sei es das Geschäft der Medien, dass negative und bedrohliche Ereignisse mehr Beachtung fänden als die Tatsache, dass viele Dinge über die Zeit besser würden.
    Das Narrativ vom Niedergang
    Es reicht Pinker aber nicht, den guten Nachrichten zum Durchbruch zu verhelfen. Um die Kühnheit seines Vorhabens zu verdeutlichen, muss er stets hervorheben, wie groß und mächtig das Heer der Aufklärungsgegner sei. Auf der einen Seite sind das die üblichen Verdächtigen, autoritäre Populisten, religiöse Fanatiker und Reaktionäre, die gesellschaftlichen Fortschritt am liebsten zurückdrehen würden. Das Buch des Harvard-Professors ist ein erholsamer Gegenentwurf zu Wissenschaftsfeindlichkeit, Lügen, Verschwörungstheorien und Hass, die sich in Politik und Gesellschaft in den vergangenen Jahren breitgemacht haben.
    Der Glorifizierung einer Gruppe, Rasse, Nation oder Religion setzt Pinker sein Verständnis des humanistischen Ideals entgegen: dem Wohlergehen jedes einzelnen Menschen zu dienen. Fast noch mehr aber reibt Pinker sich an jenen Feinden der Aufklärung, die er auf der anderen Seite des politischen Spektrums ausgemacht hat.
    "Die Idee, dass wir Daten nutzen können, um unsere Hypothesen über die Gesellschaft zu überprüfen, ist vielen Intellektuellen fremd. Viele Akademiker, Kritiker und Journalisten stehen auch den Institutionen der Aufklärung überraschend feindlich gegenüber, der liberalen Demokratie etwa oder Organisationen internationaler Zusammenarbeit. Und die Erzählung des Niedergangs ist ziemlich beliebt unter Gelehrten, das geht bis ins 19. Jahrhundert zurück."
    Angesichts mancher Kulturpessimisten hat Pinker sicher Recht. Das Problem: Er ficht nicht gerade mit dem feinen Florett.
    Pinker teilt aus
    Nicht nur zeitgenössische Gegenspieler, auch zahlreiche Größen der Philosophiegeschichte deklariert der selbsternannte Kämpfer für die Aufklärung kurzerhand zu - so wörtlich - "Schwarzmalern": Nietzsche, Schopenhauer und Heidegger ebenso wie Foucault, Sartre und Benjamin. Auch vor Adorno und Horkheimer macht er nicht Halt, die im Angesicht des deutschen Massenmords an den europäischen Juden in ihrer Dialektik der Aufklärung deren Verdienste in Zweifel zogen (und nebenbei recht treffsicher die Erwartung äußerten, dass der Kapitalismus eines Tages selbst soziale Beziehungen zur Ware machen und Populisten den Weg zur Macht ebnen würde).
    Steven Pinker, Psychologe und Kognitionswissenschaftler an der Harvard Universität, am 22.01.2018 auf der Innovationskonferenz Digital-Life-Design in München. 
    „Die Idee, dass wir Daten nutzen können, um unsere Hypothesen über die Gesellschaft zu überprüfen, ist vielen Intellektuellen fremd", schreibt Pinker in seinem neuen Buch "Aufklärung jetzt". (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
    Für Pinker sind sie schlicht Teil einer "dämonisierenden Kampagne" gegen die Aufklärung, indem sie sie mit dem deutschen Faschismus in Verbindung brächten.
    "Die Qualitäten, die wir an Geisteswissenschaftlern loben - Berücksichtigung des Kontextes, Nuancierung, historische Tiefe - lassen sie häufig im Stich, wenn sich die Gelegenheit ergibt, einen Feldzug gegen ihre akademischen Rivalen zu führen."
    Diesen Vorwurf muss sich aber umgekehrt auch Pinker machen lassen. Seine Abhandlungen über den Widerstreit von Geistes- und Naturwissenschaften sind faszinierend, wie auch sein Eintreten gegen antihumanistische Tendenzen. Und einige seiner Polemiken sind durchaus amüsant.
    Missionarischer Eifer trübt die Stärken des Buches
    Sein Versuch aber, Aufklärung, Wissenschaft und Fortschritt in gewisser Weise in ihrer Reinheit zu verteidigen und kritische Ansätze in die Nähe der heutigen Formen von Gegenaufklärung zu bringen, wirkt irritierend ahistorisch. Zumal die Protagonisten der Aufklärung in vielen Fragen weniger gradlinig waren als Pinker es suggeriert. Und nicht nur auf Besserung zu vertrauen, sondern zu zweifeln und dem zu widersprechen, was einem missfällt, ist ja Teil von Aufklärung und gesellschaftlichem Fortschritt. Die bessere Stellung von Arbeitern etwa, die Pinker zu Recht als Errungenschaft hochhält, war die Folge von Widerstand und sozialem Kampf, nicht Fortschrittsgläubigkeit.
    Pinkers Furor rührt zum Teil daher, dass sein vorangegangenes Buch, das unter dem deutschen Titel "Gewalt" erschienen ist, von einigen Kollegen infrage gestellt wurde. Pinker hatte darin methodisch ähnlich wie im aktuellen Band aufgezeigt, dass physische Gewalt weltweit deutlich abgenommen habe. Nun schreibt er, dass er gar nicht verstehen könne, dass sich einige Kritiker trotz der Klarheit seiner Graphen nicht überzeugen ließen. Pinkers Reaktion in "Aufklärung jetzt": Noch mehr Graphen und jede Menge Breitseiten gegen jene, die seine rationalistische Sicht auf die Welt in Zweifel ziehen.
    Der missionarische Eifer, der ihn treibt, ist unterhaltsam, trübt aber sein in vieler Hinsicht bemerkenswertes Buch. Während er die Empirie hochhält, erniedrigt er Geisteswissenschaften in einer Form, die fast an die Expertenfeindlichkeit erinnert, die heute grassiert. Der Aufklärung dürfte das nicht dienen.
    Steven Pinker: "Aufklärung jetzt. Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung",
    S.Fischer, 736 Seiten, 26,00 Euro.