Gitarre, Bass, Schlagzeug und Keyboards folgen den Vorgaben von Bandchef Steven Wilson. Im Konzert in Köln, das der Deutschlandfunk aufgezeichnet hat, erlebten die Zuschauer einen hochvirtuosen Parforce-Ritt durch die Geschichte der progressiven Rockmusik. Die Vorbilder sind deutlich hörbar: King Crimson, Yes, Genesis oder Pink Floyd. Allerdings verfügen Wilsons Musiker heute über technische Möglichkeiten und spielerische Fähigkeiten, von denen die Kollegen vor 40 Jahren nur träumen konnten.
Aufnahme vom 20.3.15 im E-Werk in Köln.
Interview Steven Wilson - Teil 2 (03:27)
"Es ist eine Art utopischer Traum von mir, dass man Musik völlig unvoreingenommen, ohne Vorurteile hören könnte, ohne vorgefertigte Zuordnungen zu irgendwelchen Genres. Doch leider besteht die Welt, in der wir leben, absolut aus vorgefertigten Zuschreibungen. Es wäre doch recht naiv von mir zu glauben, dass Teile meiner Musik nicht entdeckt worden sind, weil sie nicht einem bestimmten Stil, einem Genre zugerechnet werden. Zu Beginn meiner Karriere gab es viele Leute die sagten: Wenn Du Pink Floyd magst, dann solltest Du mal Porcupine Tree hören. Ok, ich habe davon auch gut profitiert, aber jetzt, nach 25 Jahren als aktiver Musiker ist es vielleicht nicht mehr wichtig zu sagen: Wilson, der klingt nach dieser oder jener Band, ich hoffe, dass mein Schaffen inzwischen für sich selbst stehen kann. Davon träumt doch jeder Künstler: stilbildend zu sein, ein eigenes Genre erschaffen zu haben.
Kate Bush ist ein gutes Beispiel dafür: die existiert komplett in ihrer eigenen Welt, oder Neil Young - solche Leute. Ich denke, jeder Künstler möchte es zu diesem Punkt schaffen, dass seine Musik einfach als seine Musik beschrieben wird. Ich bin je weitestgehend mit dem Begriff "progressive Rock" verknüpft und verstehe auch, warum das so ist und ich bin dem Genre auch mit großer Liebe verbunden - aber, ich gestehe: noch lieber hätte ich für meine Musik einen eigenständigen Begriff.
Demographische Studien anhand von Band-T-Shirts
Während der Konzerte kann man von der Bühne herab immer demographische Studien betreiben, anhand der T-Shirt der Konzertbesucher. Früher hatten die meisten T-Shirts von Pink Floyd oder Marillion an, aber das hat sich total verändert: Nun sehe ich Leute, die T-Shirt der Flaming Lips tragen, oder Radiohead oder Boards of Canada oder Aphex Twins-T-Shirts, aber auch Miles Davis oder Frank Zappa. Ich finde es wirklich lustig, dass wenn man auf der Bühne steht, einem diese Veränderung so entgegenstrahlt. Ist doch toll! Manchmal sind auch Kids darunter, die irgendwelche Death Metal-Bands toll finden - daran kann ich dann doch ablesen, dass es bei meiner Musik weit über diese engen Genre-Begriffe hinausgeht.
Die Musik leidet darunter, dass wir in einer Zeit leben, wo Geduld und Aufmerksamkeitsspanne radikal sinken. Ich habe neulich von einer Statistik gelesen, dass bei YouTube 99 Komma weiß nicht genau: sieben? Also gute 99 Prozent aller User bei YouTube gucken die Videoclips oder Shows nicht zuende. Das gibt mir doch sehr zu denken: was bedeutet das für die Musik? Kann man einen Steven Wilson-Song in vielleicht knapp 30 Sekunden erfassen? Da ist doch oft nicht mal das Intro vorbei!
"Schwupps: bin ich weg"
Naja, passiert mir auch: Ich gucke was und sehe auf der Leiste rechts die Vorschläge, was es noch alles gibt, Leute, die sich dieses Video angesehen haben, habe auch noch jenes angeschaut - und schwupps: bin ich weg. Dagegen muss man heute anmusizieren - mit einem Song, der zehn oder 15 Minuten lang ist, aus vielen verschiedenen Passagen besteht - und die Leute sind weg, bevor das Intro überhaupt beendet ist. Aber: ich kann die Welt leider auch nicht ändern."
Interview: Tim Schauen