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Sticheln gegen die Kindersterblichkeit

In der Gavi-Allianz, der Globalen Allianz für Impfstoffe und Immunisierung haben sich WHO, UNICEF, Politik und die Pharmaindustrie zusammengetan. Seit 2000 läuft das Gemeinschaftsvorhaben, Zeit für eine Zwischenbilanz. Das Ziel der Initiative: Die Kindersterblichkeit in den Entwicklungs- und Schwellenländern soll mit Impfkampagnen und Gesundheitsprogrammen drastisch reduziert werden. Rund drei Millionen Kleinkindern hat die Initiative seit ihrer Gründung im Jahr 2000 das Leben gerettet. Probleme bereitete dabei nicht nur der enorme logistische Aufwand, der hinter den großen Impfkampagnen steckt.

Von Verena von Keitz |
    "Wir wachen morgens auf um Kinderleben zu retten, und wir gehen abends zu Hause ins Bett und denken immer noch darüber nach, wir wollen dieses Problem anpacken, und gemeinsam werden wir das Problem lösen."
    "Es ist möglich, auch die ärmsten Kinder zu erreichen, und man kann das mit vergleichsweise einfachen Mitteln erreichen."
    "Eine Strategie ist die, dass man die Krankheit möglichst effektiv behandelt beziehungsweise ausrottet, das geht zum einen in vielen Fällen durch Medikamente, und zum andern natürlich viel ursächlicher und zum früheren Zeitpunkt durch impfen."

    Sticheln gegen die Kindersterblichkeit
    Wie eine globale Impf-Allianz Millionen Leben rettet
    Von Verena von Keitz

    Das Matchinga District Hospital im ostafrikanischen Malawi – einem der ärmsten Länder der Welt. Rund um einen spärlich bepflanzten Innenhof drängen sich mehrere niedrige Baracken. In einem dieser Gebäude steht die Krankenschwester Alice K’Soto, umringt von schwangeren Frauen und Müttern mit kleinen Kindern. Sie berät Frauen vor und nach der Geburt. Außerdem kümmert sie sich um das so genannte erweiterte Impfprogramm, das sich an Kinder bis zum Alter von fünf Jahren wendet.

    "”Es liegt in unserer Verantwortung, die Kindern zu impfen: gleich im ersten Lebensjahr. Sie erhalten zum Beispiel zügig nach der Geburt eine Impfung gegen Tuberkulose und gegen Polio, und mit sechs Wochen bekommen sie einen Kombinationsimpfstoff, der sie vor fünf weiteren Krankheiten schützt. Im Laufe der ersten Lebensmonate werden sie mehrfach geimpft, und im Alter von neun Monaten können wir sagen: Das Kind hat einen vollständigen Impfschutz. Außerdem werden die Impfungen kombiniert mit regelmäßigen Vitamin-A-Gaben ab dem sechsten Lebensmonat – und zwar solange, bis die Kinder fünf Jahre alt sind.""

    Das erweiterte Impfprogramm gehört zum Vorsorgeprogramm des Matchinga-Bezirks-Hospitals. Dieses Impfprogramm ist in der malawischen Gesundheitsversorgung gut verankert und sehr erfolgreich. Es gilt als eines der Vorzeigeprogramme auf dem afrikanischen Kontinent – und erreicht sogar einen Großteil der Frauen, die ihre Kinder zu Hause gebären und für sich selbst gar keine Vorsorge in Anspruch nehmen. K’Soto:

    "”Viele der Frauen, die ihre Kinder zu Hause bekommen, verpassen zwar die allererste Polio-Impfung direkt nach der Geburt, aber die Mütter sind sich bewusst, dass ihr Kind Impfschutz braucht. Also kommen sie nach der Geburt hierher und lassen sie gegen Polio, Hepatitis b und so weiter impfen. Also auch wenn die Frauen nicht hierher zur Schwangerschaftsvorsorge kommen, bringen sie ihre Kinder in die Kinderklinik.""

    Über 80 Prozent aller Kinder werden mit dem erweiterten Impfprogramm erreicht. Möglich wird dieser umfassende Impfschutz in einem so armen Land wie Malawi durch die Unterstützung der Globalen Allianz für Impfstoffe und Immunisierung, kurz Gavi.

    Ein modernes dreigeschossiges Gebäude im französischen Secheron-Viertel von Genf. Gegenüber das Haus der Welthandelsorganisation WTO, nach vorne erhebt sich die Zentrale des UN-Kinderhilfswerks Unicef. In dem unscheinbaren Bau befindet sich das Sekretariat der Globalen Allianz für Impfstoffe und Immunisierung. Hier arbeitet Simon Wreford-Howard.

    "Was uns so effizient macht, ist die Vermischung der öffentlichen und privaten Sektoren, die gemeinsam zusammenwirken, das ist eine einmalige Mischung von Leuten hier in Genf, die wirklich sehr stark daran glauben, um Kinderleben zu retten. Wir wachen morgens auf um Kinderleben zu retten, und wir gehen abends zu Hause ins Bett und denken immer noch darüber nach, wir wollen dieses Problem anpacken, wir kommen zusammen als Gruppe als Allianz, und gemeinsam werden wir das Problem lösen."

    Die Gavi-Allianz ist der bisher größte und finanzstärkste Versuch, mit Hilfe von flächendeckenden Impfungen die Kindersterblichkeit auf der Welt zu senken. In der weltweit agierenden Impfallianz haben sich Regierungen von Industrie- und Entwicklungsländern mit privaten Geldgebern, den Vereinten Nationen, Hilfsorganisationen, Weltbank, der Pharma-Industrie und weiteren Partnern zusammengetan. Ins Leben gerufen wurde Gavi im Jahr 2000 auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos. Finanzielle Geburtshilfe gab es von der damals frisch gegründeten Bill- und Melinda-Gates-Stiftung. In Zahlen: 750 Millionen Dollar.

    "Bei Gavi geht es darum, den Zugang zu Impfstoffen gerade in den ärmsten Ländern sicher zu stellen. Das hört sich so einfach an, denn Impfstoffe sind für uns hier in Europa so selbstverständlich, dass man mit einem Kind zum Kinderarzt gehen kann und geimpft wird, und die Impfung ja auch im Impfplan festgehalten werden – in den Entwicklungsländern ist das andersrum."

    Rudi Tarneden vom international tätigen UN-Kinderhilfswerk Unicef, das für die Gavi-Allianz Impfkampagnen in Ländern auf der ganzen Welt durchführt. Tarneden:

    "Wir machen uns hier in den Industrieländern nicht bewusst, wie gefährlich bestimmte Infektionskrankheiten sein können. Ein wirklich hartes Beispiel dafür sind die Masern. Für uns gelten sie als Kinderkrankheit, auch wenn immer mal wieder Ausbrüche wie in NRW für große Aufregung sorgen, wo sogar Kinder dran verstorben sind, aber in den Entwicklungsländern sind Masern weiter ein großer Kinderkiller. Das hat unter anderem auch den Grund, dass die Durchimpfung sehr gering ist, und zum andern viele Kinder mangelernährt - ohnehin geschwächt sind und einfach der Krankheit wenig entgegen zu setzen haben."

    Die Kinderstation des Matchinga-Bezirks-Hospitals. Der Saal wirkt luftig und geräumig. Hölzerne Feldbetten reihen sich aneinander. Darin liegen Kinder mit aufgeblähten Bäuchen und geschwollenen Beinen – eine der drastischen Folgen von Mangelernährung. Der deutsche Chirurg Ralf Schmidt - seit mehreren Jahren in malawischen Krankenhäusern tätig - geht langsam von Bett zu Bett.

    "Hier haben wir jetzt viele von den Kleinen im Raum und man sieht auf den ersten Blick, dass die Kleinen Stoffwechselprobleme haben – es fängt an bei der Haarfarbe, das ist nicht mehr dieses schwarze Kraushaar, das ist dünn und ausgezehrt, struppig, bräunlich verfärbt, wir sehen einige mit Ansätzen von Hungerödemen, wie das Kleine hier, das sich fürchterlich beschwert, Lidödemen, aufgetriebenen Beinen und Leib, Fehlernährung ist in der Regel eine Proteinmangelerscheinung. In den Dörfern gibt es immer wieder Zeiten, wo zum Beispiel nur Maismehl vorhanden ist, kein Fisch, kein Fleisch sowieso nicht, keine Milch, und dann kommt es halt zu den Mangelerscheinungen."

    Ralf Schmidt tritt in den angrenzenden Saal der Kinderstation: An der Wand lehnen Säcke voller Mais mit der Aufschrift "Unicef" und "European Community". Ein paar Mütter stehen bei einer Krankenschwester und hören ihr zu. Andere hocken neben ihren Kindern und schieben ihnen löffelweise Maisbrei in den Mund. Schmidt:

    "Wir kommen hier zum Ernährungsprogramm, wo Mütter unterernährter Kinder lernen sollen, wie es nicht zu Eiweißmangel kommt, oder auch Kinder aufgepäppelt werden, und jeder bekommt hier sein Kontingent an Bohnen, an Maismehl, aber auch Öl, Nüsse, bestimmte Vitamine, um einfach ein regelmäßiges Ernährungsprogramm zu sichern, um die Fehlernährung zu vermeiden."

    Das Matchinga-District-Hospital ist eins von 27 Bezirkskrankenhäusern in Malawi. Sein Einzugsbereich: 500.000 Einwohner. Etwa 500 Patienten – Männer, Frauen, Kinder - sind stationär aufgenommen. Dazu kommen täglich weitere 400 Menschen, die ambulant behandelt werden. Neben Malaria und Aids ist die Mangelernährung eines der Hauptprobleme der Patienten. Sie macht Kinder in Entwicklungsländern äußerst empfänglich für Infektionskrankheiten wie Masern, Polio oder Keuchhusten.

    "Mangelernährung schwächt das Immunsystem und macht die Kinder anfälliger – und auch die Lebens-, Wohnverhältnisse. Enge Behausungen fördern die Übertragung von Krankheiten","
    sagt der Arzt und Gesundheitswissenschaftler Jens Holst aus Berlin, der unter anderem für die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit zum Thema Gesundheitsreformen in Entwicklungsländern arbeitet. Holst:

    ""Wenn das Immunsystem insgesamt durch dauerhafte Mangelernährung geschwächt ist, ist man natürlich auch gegenüber den Konsequenzen dieser Krankheiten anfälliger, und in diesem Zusammenhang gibt es natürlich unterschiedliche Strategien, und eine Strategie, die so ein bisschen den dauerhaften Positivismus auch in der Medizin widerspiegelt, ist die, dass man die Krankheit möglichst effektiv behandelt beziehungsweise ausrottet, das geht zum einen in vielen Fällen durch Medikamente, durch Zurverfügungstellen von Medikamenten, und zum andern natürlich viel ursächlicher und zum früheren Zeitpunkt durch Impfen."

    Im Jahr 2006 starben laut Weltgesundheitsorganisation 9,7 Millionen Kinder im Alter von unter fünf Jahren - viele von ihnen an so genannten vermeidbaren Krankheiten. Ermittelt werden diese Zahlen von einem Expertengremium, in dem Vertreter der WHO, der Harvard-Universität und verschiedener Stiftungen sitzen. Die Zahlen basieren auf Haushaltsbefragungen, auf Statistiken der Entwicklungsländer und auf eigenen Erhebungen. Rudi Tarneden von Unicef:

    "Fast zehn Millionen Kinder, die sterben, sind natürlich eine Katastrophe, das sind 26.000 Kinder pro Tag, eine erschreckende Zahl – trotzdem kann uns die globale und historische Perspektive zeigen, dass eben der Kampf gegen Kindersterblichkeit erfolgreich ist. Und erfolgreich heißt, dass man davon ausgehen kann, dass seit 1990 die Zahl der Kinder, die vor dem fünften Geburtstag sterben, weltweit von etwa 13 Millionen auf heute 9,7 Millionen gesunken ist. Das heißt, diese Zehn-Millionen-Marke war eine Schallmauer und auch politisch ist das wichtig, weil man kann damit sagen: Es ist möglich. Es ist möglich, auch die ärmsten Kinder zu erreichen, und man kann das mit vergleichsweise einfachen Mitteln erreichen."

    Gavi unterstützt mehr als 70 Länder, deren Bruttosozialprodukt unter 1000 US-Dollar pro Einwohner liegt, viele davon in Afrika und Südostasien, aber auch im Nahen Osten. Nach Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation haben die Aktivitäten von Gavi in den vergangenen sieben Jahren fast drei Millionen Kindern das Leben gerettet: Zwischen 2000 und 2006 wurden geschätzte 480 Millionen Kinder bei Impfkampagnen gegen Masern geimpft. Die Zahlen für die Kinderlähmung Polio liegen noch höher: Allein im Jahr 2007 erhielten 400 Millionen Kinder in 27 Ländern die Polio-Impfung. Auf das Konto der Gavi-Allianz gehen auch knapp 37 Millionen Kinder, die seit dem Jahr 2000 mit einer Grundimmunisierung gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten geschützt wurden. Und 176 Millionen Kinder erhielten modernere Impfstoffe etwa gegen Hepatitis b und Gelbfieber.

    Ein Großteil der Impfstoffe, die in den Impfkampagnen eingesetzt werden, stammen aus den Industrieländern. Über die zentrale Unicef-Beschaffungsstelle im dänischen Kopenhagen werden die Medikamente für die Impfkampagnen hauptsächlich bei europäischen und nordamerikanischen Pharma-Unternehmen eingekauft, erklärt Rudi Tarneden:

    "Impfstoffe beschaffen heißt, dass Unicef mit der Pharmaindustrie schaut, wie kann man am günstigsten diese Impfstoffe herstellen, wie kann man erreichen, dass für große Impfkampagnen, da geht es dann manchmal um zehn, 15 Millionen Kinder, ausreichend Impfstoffe in einem Monat in einem bestimmten Land zur Verfügung stehen und die dann auch zum Beispiel in entlegene Regionen zu transportieren. Das heißt, es geht darum, auch die Pharmaindustrie in die Lage zu versetzen, diese großen Mengen Impfstoffe zu produzieren, bereit zu stellen, und ihnen gleichzeitig auch die Sicherheit zu geben, dass die abgenommen werden. Denn sonst würden die das niemals herstellen."

    Das Kinderhilfswerk macht für eine Impf-Kampagne oder Impfaktion eine Ausschreibung, und die Pharmahersteller können sich bewerben – wenn ihre Impf-Produkte von der Weltgesundheitsorganisation WHO vorregistriert worden sind. In vielen Entwicklungsländern gibt es keine Zulassungsbehörden für Arzneimittel. Deshalb übernimmt die WHO selbst diese Aufgabe. Bei den Verhandlungen zwischen Unicef und den Impfstoff-Herstellern geht es um den Preis, aber auch um Mengen und Lieferdatum, erklärt Thomas Riedel, Regionaldirektor bei der Impfstoff-Firma Novartis Vaccines in Marburg.

    "Da es hier um Riesenmengen geht – also großvolumige Aufträge, wir reden hier von mehreren fast 100 Millionen Dosen, je nachdem was für ein Produkt wir sehen. Das heißt, das bedarf von unserer Seite eine enge Abstimmung mit Unicef, um das Produkt zur Verfügung zu haben und rechtzeitig liefern zu können. Als ich anfing mit dem Geschäft, das war 1998, gab es noch ziemliche Probleme mit Unicef: dass der Bedarf von Unicef-Seite und das, was die Hersteller zur Verfügung gestellt haben, zum Teil drastisch auseinander gingen: Also entweder hatten sie deutlich zu wenig bestellt, und die Hersteller kamen nicht nach, oder es wurde zu viel bestellt und es wurde dann nicht abgenommen und dann saßen wir am Ende dort und konnten es nicht verkaufen."

    Diese Probleme sind durch bessere Planung und verbindliche Verträge inzwischen gelöst. Durch die Aktivitäten von Gavi haben sich große, neue Märkte für die Impfstoff-Hersteller aufgetan – in Ländern, die zuvor keine flächendeckenden Impfungen finanzieren konnten. Und die Pharmaunternehmen haben auf die steigende Nachfrage reagiert. Der Impfstoff-Hersteller Novartis Vaccines baute zum Beispiel seine Marburger Produktions-Anlagen für Diphtherie-Impfstoff im Jahr 2004 komplett um – seither wird die Produktion mit doppelter Kapazität gefahren.


    Ein Geflecht von glänzenden Edelstahlrohren durchzieht die Räume der Marburger Produktionsanlagen. Einige der Rohre münden in riesige Edelstahlkessel. Unter höchsten Reinheitsbedingungen werden hier die empfindlichen biologischen Wirkstoffe hergestellt.

    "Das hier ist der Eingang, den das Material nimmt. Alles, was wir hier an Equipment, an Rohstoffen, was auch immer brauchen, zur Produktion, auch zum Beispiel an Kleidung wie diese Überschuhe, werden von außen in diese Schleuse gebracht und die Mitarbeiter entnehmen dann von innen, ohne wieder nach draußen zu gehen, um so den Hygienestatus eine Stufe anzuheben","

    erklärt der Biologe Karsten Kattmann, zuständig für das Wachstum der Diphtherie-auslösenden Bakterien, aus denen der Impfstoff gewonnen wird. Kattmann:

    ""Wir wollen ja 150 Millionen Dosen produzieren, und da brauchen wir natürlich sehr viel Nährmedium."

    Von der Anzucht der Erreger bis zum fertigen Impfstoff vergeht viel Zeit, sagt der Pharma-Manager Thomas Riedel.

    "Die Produktion eines Impfstoffes dauert ungefähr ein Jahr. Bei manchen sogar länger. Also jetzt nicht die Entwicklung, sondern Sie haben ein fertiges, entwickeltes Produkt, und bei manchen müssen Sie noch viel früher anfangen, aber wir sagen mal, also mindest. für die Basisproduktion zwischen zwölf und 15 Monate."

    Der Diphtherie-Impfstoff wird von Novartis gemeinsam mit Tetanus- und Keuchhusten-Vakzinen als Kombinationsimpfstoff angeboten. Seit wenigen Jahren gibt es sogar eine Fünfer-Kombination, die zwei neuere Impfstoffe enthält: Den Impfstoff HIB gegen das Bakterium Hämophilus influenza, das fieberhafte Infektionen des Nasenrachenraums hervorrufen kann; und den Impfstoff HEP gegen einen Erreger, der Hepatitis auslöst: eine Entzündung der Leber, die nach Jahrzehnten zu Leberkrebs führen kann. Dieser Fünffach-Kombinationsimpfstoff wird wie der Impfstoff gegen Polio inzwischen weltweit eingesetzt. Voraussetzung bei der Auslieferung der Impfstoffe: eine lange Haltbarkeit. Thomas Riedel:

    "Man darf ja nicht vergessen – es wird ins Land geliefert, dann muss es im Land verteilt werden, also es vergeht auch noch Zeit im Land, bis es beim Endkunden ankommt. Die Laufzeiten normalerweise sind deutlich über ein Jahr, also Minimum ein Jahr, bei manchen Produkten sogar mehrere Jahre, und insofern ist das von der Sicherheit auch schon ausgeräumt."

    Eine der größten Herausforderungen beim Transport der empfindlichen Substanzen: Um ihre Wirksamkeit beizubehalten, müssen Impfstoffe ununterbrochen gekühlt werden. Riedel:

    "Sie müssen immer die Produkte in einer zwei bis acht Grad Kühlkette haben – bei Polio ist es sogar so, dass Sie es in der Regel bei –20 Grad lagern, nur lagern, und dann wenn Sie es rausnehmen aus den –20 Grad und dann in diese zwei bis acht Grad Kühlkette entlassen, dann wird die Laufzeit drastisch reduziert. Das heißt, es sollte innerhalb einer gewissen Zeit verwendet werden."

    Deshalb enthalten die Fläschchen mit den Impfflüssigkeiten zum Beispiel kleine Signal-Aufkleber, die ihre Farbe ändern, wenn der Impfstoff zu warm oder zu lange gelagert wurde. Auch die Kühlboxen, in denen die Impfstoffe transportiert werden, sind technisch ausgerüstet mit Kontrollmessgeräten, die die Bedingungen während des gesamten Transports dokumentieren. Allerdings müssen die Hersteller die Kühlkette nur bis zu einem bestimmten Punkt überwachen. Thomas Riedel:

    "Im Moment ist es so, dass wir verantwortlich sind bis zu unserem nächstgelegenen Flughafen, was ja nicht so weit ist, weil in dem Fall, wenn es hier Marburg ist, dann wäre es der Flughafen Frankfurt, oder unsere Niederlassung in Siena liefert dann meistens über Mailand oder Rom. Und dann sind wir erstmal aus der Verantwortung entbunden."

    Bis hierhin eine nahtlose Kühlung zu gewährleisten, ist kein Problem. Anders sieht es in den Entwicklungsländern aus, in denen die Impfstoffe eingesetzt werden sollen. Rudi Tarneden von Unicef:

    "Es kann notwendig sein, dass man sehr improvisieren muss, wie man Kühlschränke oder Kühlboxen oder andere Materialien in bestimmte Gebiete bringt. Zum Beispiel in Nigeria werden Impfstoffe oft mit Booten in abgelegene Gebiete gebracht, oder aber in Afghanistan auf Esel gepackt, um sie in die hochgelegenen Dörfer zu tragen."

    Bei den Impfaktionen werden zum Teil in wenigen Tagen mehrere Hunderttausend Kinder geimpft. Dafür sind Tausende von Helfern nötig, die die Durchführung planen und den Überblick haben, wann die Impfteams wo mit welchen Impfstoffen sein müssen. Tarneden:

    "Ich habe es selbst vor einigen Jahren in Afghanistan erlebt, nördlich von Kabul, eine Impfaktion. In Afghanistan wurden bei dieser Impfaktion innerhalb weniger Wochen insgesamt mehrere 100.000 Kinder gegen Masern geimpft. Dort mussten die Impfstoffe in Kühlcontainer auf Pick-ups verladen werden, Tage vorher waren schon Leute in die Dörfer gegangen, hatten darauf aufmerksam gemacht, dass demnächst eine Impfaktion durchgeführt wird, hatten Plakate aufgehängt, interessanterweise nicht Plakate mit geschriebener Schrift, weil viele Leute dort Analphabeten sind, sondern mit Piktogrammen, um ihnen klar zu machen, was das bedeute. Sie hatten mit den lokalen Chiefs gesprochen, also mit dem Imam, und ihn überzeugt seine Bevölkerung aufzurufen. Dann rückten die Impfteams dort an, der Muezzin stand auf dem Dach der Moschee mit einem Megaphon das von Unicef gesponsert wurde, und rief die Bevölkerung auf, nun in diese Moschee zu kommen, was auch ein ganz wichtiger Ort ist, das ist ja auch vertrauensbildend, denn von der Autorität wurde kommuniziert: Lasst eure Kinder impfen. Und dann bildeten sich lange Schlangen von Kindern vor dem Gebäude wo dann mehrere Stunden lang wirklich Hunderte Kinder hintereinander weg geimpft worden sind."

    Um zu vermeiden, dass Kinder doppelt geimpft werden, müssen die Helfer kreativ sein: Impfpässe gibt es in der Regel nicht. Deshalb bekommen die geimpften Kinder schon mal einen Stempel auf die Hand.

    "Ich war einmal in Pakistan mit dabei","

    erzählt der Pharmamanager Thomas Riedel,

    ""und wenn ich das richtig in Erinnerung habe, waren das 35.000 Zweier-Teams, die innerhalb von drei Tagen durch das ganze Land gelaufen sind und alle Kinder geimpft haben. Die sind wirklich von Tür zu Tür gelaufen, haben an der Tür geklopft, haben gefragt, wie viele Kinder sind hier, haben geguckt, dass alle Kinder da sind, haben das draußen an der Tür markiert, vier Kinder sind da – drei sind geimpft worden, und wenn das nächste Team kam, irgendwann drei Monate später, konnte man anhand der Schriftzeichen an der Tür erkennen, wann waren die da, wie viele Kinder wurden das letzte Mal geimpft und so weiter."

    Bei manchen Impfungen ist es notwendig, in einem gewissen Zeitraum mehrmals zu impfen, damit ein Kind vollständigen Impfschutz entwickelt – etwa bei Masern oder Tetanus. Das bedeutet: Die Impfteams müssen mehrmals in der gleichen Region auftauchen und die Bevölkerung davon überzeugen, dass mehrere Dosen des Impfstoffs lebenswichtig sind. Rudi Tarneden:

    "Großer Punkt ist natürlich, wenn man solche Massenimpfungen durchführt, dass man das Vertrauen der Bevölkerung nur gewinnen kann, wenn ein Höchstmaß an Sicherheit da ist. Es gibt leider traurige Beispiele, dass sich in Ländern wie Rumänien oder in Nordafrika viele Menschen in Krankenhäusern mit Gelbsucht oder sogar mit HI-Virus angesteckt haben, weil da unsachgemäß gearbeitet worden ist, und das ist eine der größten Herausforderungen auch für Massenimpfungen, dass man eben mit Gesundheitspersonal arbeitet, dass ja nicht nach europäischem Standard ausgebildet ist."

    Für die Gavi-Allianz hat die Impfsicherheit höchste Priorität, sagt der Leiter der WHO-Abteilung zur Stärkung von Impfprogrammen, der südafrikanische Arzt Rudi Eggers.

    "Das ist uns sehr wichtig, weil die Impfung immer einem gesunden Kind gegeben wird und man will nicht, dass das Kind durch die Impfung krank gemacht wird, dass da bei der Impfung keine Krankheit übertragen wird. Das Prinzip ist, dass jedes Kind mit einer Nadel, mit einer Spritze einmal geimpft wird – dieses System ist so weit getrieben, dass heute die Spritzen so sind, dass man sie gar nicht wieder gebrauchen kann. Sollte man versuchen, es zu erzwingen, bricht der Stiel der Spitze ab, und diese Spritzen werden jetzt durchweg im Impfprogramm gebraucht und Gavi hat sehr dazu beigetragen um das weltweit auch in Gang zu bringen."

    Seit der Gründung von Gavi im Jahr 2000 wurden schon 1,3 Milliarden dieser Einwegspritzen in den Empfängerländern verwendet. Doch mit Einwegspritzen allein ist die Gefahr von Infektionen nicht gebannt. Eggers:

    "Wenn man die Spritze nun gebraucht hat und das Kind geimpft hat, muss man natürlich nun auch die Spritze sorgfältig entsorgen. Denn man kann nun die Spritze nicht rumliegen lassen auf irgendeiner Müllhalde, wo die Leute dann potenziell sich wieder infizieren könnten, und da muss also auch ein ganzes System entworfen werden wie man die Spritzen ordentlich entsorgt. In der 3. Welt ist es oft so, dass die in Verbrennungsanlagen kommen, oder wenn es gar nicht anders geht auch vergraben werden."

    Wegwerfspritzen allein reichen aber nicht, um die Bevölkerung für Impfkampagnen zu gewinnen. Dies zeigte sich deutlich am Beispiel Nigeria. Das nordafrikanische Land boykottierte immer wieder die Impfaktionen westlicher Hilfsorganisationen – zum Beispiel Polio-Impfungen – aus Angst, die Impfungen würden der Bevölkerung schaden. In der Tat treten in Nigeria immer wieder Fälle von Kinderlähmung auf, die vom Impfstoff selbst hervorgerufen worden sind. Eggers:

    "Beim Polio ist so, der Impfstoff ist ein Schluckstoff, man schluckt zwei Tropfen, das ist also ein lebender Virus, der eingenommen wird, ein lebender Virus, der geschwächt wurde durch den Prozess des Impfstoffmachens. In sehr seltenen Fällen, also einmal in drei Millionen oder so passiert es, dass dieser geschwächte Virus wieder virulent wird. Es gab jetzt vor kurzem eine Situation in Nigeria, wo es auftrat, dass dieser Impfvirus anfing zu zirkulieren und da waren so 69 Fälle in den letzten zwei Jahren, die von diesem zirkulierenden Impfstoff ausgelöst waren."

    Der letzte Ausbruch war im Winter 2006, was aber erst neun Monate später bekannt wurde. Das Problem: Wird das Polio-Virus aus dem Impfstoff wieder aktiv und trifft dann auf viele ungeimpfte Menschen, kann es einen erneuten Ausbruch der Krankheit auslösen. Eggers:

    "Wir haben acht oder neun Fälle von zirkulierenden Impfstoffviren gehabt in den letzten acht Jahren oder so, es war immer diese Situation, in der nicht ordentlich die Routine-Impfung durchgeführt wurde, und in dem Fall kann dann der Impfstoffvirus beginnen zu zirkulieren. Also die Antwort zu dem nigerianischen Problem ist eigentlich: Es muss mehr geimpft werden, damit die Kinder durchweg geschützt werden, auch vor dem zirkulierenden Impfstoffvirus."

    Bisher ist die Gavi-Allianz mit der Ausweitung von Impfungen sehr erfolgreich – auch wegen ihrer starken Finanzkraft. 3,5 Milliarden Dollar hat die Impf-Allianz bisher an Geldern aufgetrieben. 1,5 Milliarden stammen von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung - ein Umstand, der viele aufhorchen lässt, wie zum Beispiel den Arzt und Gesundheitswissenschaftler Jens Holst aus Berlin:

    "Sicherlich ist es politisch relativ sexy zu sagen – Bill Gates impft die Kinder der Welt. Das ist natürlich ganz schön, und gerade wenn man so ein krakenartiges Riesen-Monopol-Unternehmen hat, das ja ständig von Gerichtsverfahren verfolgt wird, dann ist es natürlich politisch ganz schön, wenn man auch so eine humanitäre Aktion vorweisen kann. Die Frage ist nur, was wirklich mit den Geldern gemacht wird und wie die öffentliche Kontrolle darüber ist. Man muss einfach genau gucken, was am Ende bei raus kommt."

    Die Kritik, dass Gavi ein Spielball von Bill Gates sei, weist Simon Wreford-Howard vom Gavi-Sekretariat allerdings zurück:

    "Natürlich hat die Gates-Foundation in unserem Aufsichtsrat eine starke Stimme, nach wie vor, aber wie gesagt, als ich in diesem Job anfing, das große Problem war, dass alle gesagt haben und auch in Deutschland, dass Gavi eine Gates-getriebene Organisation ist, das stimmt heute nicht mehr."

    Inzwischen ist das langfristige Ziel von Gavi, nicht nur Impfkampagnen von außen durchzuführen, sondern Impf- und Gesundheitsprogramme in den Ländern selbst zu etablieren. Beim Co-Financing-Modell beteiligen sich die von Gavi unterstützten Länder an den Kosten der Impfprogramme. Ziel ist, diesen Eigenanteil der Empfängerländer im Laufe der Zeit zu steigern, damit sie eines Tages die Impfprogramme komplett selbst finanzieren können.

    Auch Malawi finanziert sein erweitertes Impfprogramm auf diese Weise. Die hohen Abdeckraten mit dem im Jahr 2002 eingeführten Fünffach-Impfstoff haben allerdings ihren Preis. Die Kosten für den modernen Kombinations-Impfstoff betragen mehr als 90 Prozent der Gesamt-Kosten aller Impfungen für Kinder unter einem Jahr. Derzeit ist der Anteil, den das Land durch das Co-Finanzierungs-Modell bezahlen muss, zwar noch recht gering, wie Thomas Riedel von Novartis Vaccines erläutert.

    "Wenn wir jetzt mal bei dem Beispiel Penta bleiben, also der 5fach-Kombination, da kostet die Impfdosis zurzeit ungefähr 3,60 Dollar, da zahlt ein Land momentan so zwischen 15 bis 30 Cent pro Dosis."

    Ein Land wie Malawi wird aber auch künftig kaum in der Lage zu sein, den vollen Preis pro Impfdosis zu bezahlen. Der einzige Weg, die Empfängerländer in die Lage zu versetzen, wirklich dauerhaft Impfprogramme in ihr Gesundheitssystem einzubetten: Die Preise müssen rapide fallen. Und das geht nur, indem die Konkurrenz mit Nachahmer-Medikamenten das Geschäft belebt. Rudi Tarneden von Unicef:

    "Es ist so, dass die Generika-Produktion in Indien, aber auch in Lateinamerika ein ganz wichtiger Baustein ist, um das europäische Hochpreissystem aufzubrechen und dass in den armen Ländern bezahlbare Medikamente zugänglich sind."

    Indonesien, Indien, Brasilien sind Länder, die zumindest bei der Produktion von traditionellen Impfstoffen wie Polio, Tetanus und Masern aufholen. Simon Wreford-Howard vom Gavi-Sekretariat ist zuversichtlich:

    "Da wir ja diese sehr große Einkaufskraft haben, um Impfstoffe weltweit einzukaufen, heißt das, dass wir den Markt verändern können. Wir können bewerkstelligen, dass verschiedene Hersteller auf den Markt kommen, und dass diese Hersteller dann nicht nur in den Industriestaaten sitzen, sondern auch in den Schwellenländern; wir können bewerkstelligen dass die Preise runtergehen und damit das gesamte Geschäft der Impfung effizienter wird und preiswert."

    Ein weiteres Problem, das den Ausbau guter Krankenversorgung in armen Ländern hemmt: Vielen Entwicklungsländern laufen die Ärzte davon. In der britischen Stadt Manchester arbeiten mehr malawische Ärzte als in Malawi selbst. Und unter denen, die da bleiben, fordert Aids viele Todesopfer. Diese Todesfälle verringern die ohnehin knappe Zahl des medizinischen Personals weiter. Um die Verstorbenen angemessen zu ehren, bleiben die Krankenhäuser am Tag der Beerdigung oft geschlossen, erzählt der deutsche Chirurg Ralf Schmidt.

    "Es ist bei Todesfällen Tradition, dass alle Verwandten und Freunde mit auf Beerdigung gehen müssen, das bedeutet, wenn hier ein Hospitalangestellter stirbt, da muss das ganze Hospital auf die Beerdigung, da kann es sein, dass wir hier einen ganzen Tag niemanden haben, der arbeitet, und dieses Problem, das fordert einen immensen Tribut an Manpower, diese Teilnahme an Beerdigungen, und das lähmt auch das ganze ökonomische System."

    Wie Aids fordern auch die anderen beiden so genannten Armenkrankheiten Malaria und Tuberkulose zahllose Todesopfer. Impfungen gegen diese Seuchen sind noch immer nicht in greifbarer Nähe. Und auch gegen andere Krankheiten gibt es zum Teil keine Schutzimpfungen. Gesundheitswissenschaftler Jens Holst aus Berlin:

    "Es lässt sich leider nicht alles wegimpfen, und die Hauptsterblichkeitsursachen für Kinder und Säuglinge sind zum einen die Infektionskrankheiten des Magen-Darm-Traktes, zum anderen Infektionskrankheiten der Atemwege, und da gibt es so ein breites Keimspektrum, viele Hunderte von Bakterien und Viren, dass es praktisch unmöglich ist, gegen all das zu impfen. Das heißt, es gibt immer Lücken dabei und selbst wenn man gegen eine bestimmte Krankheit wirksam impfen kann, bleibt immer noch eine ganze Spannbreite von anderen möglichen Risiken übrig, das muss man halt im Kopf haben."

    Trotzdem sprechen die Zahlen für den Erfolg der Gavi-Allianz. Mit ihrer Hilfe könnte das Milleniums-Ziel, die Kindersterblichkeit um zwei Drittel zu senken, erreicht werden, meint Rudi Tarneden von Unicef.

    "Bis 2015 Senkung Kindersterblichkeit um zwei Drittel, ausgehend von 1990, dieses Ziel wird für Osteuropa, Lateinamerika, Karibik und auch Teile Ostasiens erreicht werden."

    Sorgen bereitet den Kinderschützern allerdings das südliche Afrika und Teile Südasiens. Im Jahr 2006 starben achtzig Prozent der Kinder in diesen Regionen.

    "Für das südliche Afrika gilt sicherlich die Kombination aus extremer Armut, Krisensituationen, also Bürgerkriege, aber auch Nahrungsmittelknappheit, insgesamt schwache Staaten, Aids-Epidemie, alle diese Faktoren wirken zusammen. Es ist so, dass fast die Hälfte aller Länder wo die Kindersterblichkeit besonders hoch ist, so genannte Krisenstaaten sind, wo bürgerkriegsähnliche Konflikte oder Nachkriegssituationen zu bewältigen sind."

    Und in solchen Ländern ist es eben schwer möglich, Gesundheitssysteme zu etablieren, die einen Großteil der Bevölkerung erreichen.