Georg Ehring: Unsere Luft besteht zu fast 80 Prozent aus Stickstoff, und trotzdem bringt ausgerechnet Stickstoff ein Umweltproblem, denn manche Verbindungen tun der Natur gar nicht gut, die meisten davon kommen aus der Landwirtschaft. Die EU-Kommission will die Stickstoffbelastung verringern; sie überarbeitet derzeit die entsprechende Richtlinie. Das Umweltbundesamt ist für eine möglichst scharfe Regulierung, und ich habe seine Präsidentin Maria Krautzberger gefragt, welche Schäden zu viel Stickstoff in der Umwelt anrichtet.
Maria Krautzberger: Wie Sie schon sagten: Die Probleme des Stickstoffs liegen nicht an dem Stoff an sich, sondern in den Verbindungen, die der Stoff eingehen kann. Und wir müssen sehen, dass der Mensch ja den natürlichen Stickstoff-Kreislauf in den letzten Jahrhunderten ganz massiv verändert hat. Die Menge an reaktivem Stickstoff hat in den letzten 100 Jahren so stark zugenommen, dass wir ein Umweltproblem haben in einem Ausmaß, das uns erst in den letzten Jahren wirklich bewusst geworden ist. Das geht auch zurück darauf, dass wir Stickstoff inzwischen ja industriell herstellen und somit sich die Mengen insgesamt erweitert haben.
Ehring: Woher kommt der denn jetzt in die Umwelt?
Krautzberger: Er kommt in die Umwelt über die Landwirtschaft, aber auch über Verbrennungsprozesse. Die Landwirtschaft hat einen erheblichen Anteil an dem Eintrag in die Umwelt und Stickstoff, der in die Umwelt eingebracht wird, gelangt in die Luft, er bleibt in den Böden, er wandert ins Grundwasser, in die Flüsse und die Meere und führt dort in den Flüssen und Meeren zu Eutrophierungen. Er gefährdet die biologische Vielfalt. Wir finden Stickstoff als Nitrat im Grundwasser. Wir wissen, dass Nitrat in großen Mengen gesundheitsschädlich ist und wir in der Folge das Grundwasser, wenn wir es als Trinkwasser nutzen wollen, aufwendig aufbereiten müssen. Wir finden Stickstoff in der Luft als Stickstoff-Dioxid zum Beispiel, als ein Luftschadstoff, der auch zu Entzündungsreaktionen in den Atemwegen führen kann. Also Stickstoff hat nicht nur positive Wirkungen, sondern ist im großen Maße auch umwelt- und gesundheitsgefährdend.
"Halten Nitrat-Rahmenrichtlinie nicht ein"
Ehring: Eine Stickstoffquelle ist die Landwirtschaft und Überdüngung ist doch eigentlich Verschwendung. Wie steht es denn um die Bereitschaft der Landwirtschaft, da entgegenzusteuern?
Krautzberger: Man muss der Landwirtschaft Regeln vorgeben. Die Bundesregierung ist ja gerade dabei, die Düngeverordnung zu novellieren, und die neue Düngeverordnung soll auch den Stickstoffüberschuss, den wir heute haben, weiter begrenzen. Das begrüßen wir als Umweltbundesamt, das ist ein richtiger Weg. Wir haben heute einen Stickstoffüberschuss von rund 97 Kilogramm pro Hektar und dieser soll schrittweise auf 50 Kilogramm pro Hektar zurückgeführt werden. Das macht die Bundesregierung auch auf Druck der EU, das muss man deutlich sagen, da wir die Nitrat-Rahmenrichtlinie nicht einhalten, aber der Weg ist richtig und notwendig.
Man muss natürlich auch dahin kommen, diese Zielvorgaben umzusetzen. Das heißt, man muss sie auch in der Praxis durchsetzen. Für die Landwirtschaft bedeutet das natürlich auch, dass die Landbewirtschaftung neu organisiert werden muss, dass man stärker kontrolliert, wie viel Stickstoff eingesetzt wird, und das wird auch eine neue Praxis zur Folge haben, auf die sich die Landwirtschaft einstellen muss.
Aufweichung der Luftreinhalte-Vorschriften: "Ein großer Irrtum"
Ehring: Was erwarten Sie denn von der Europäischen Kommission? Sie befürchten ja eine Abschwächung der Richtlinie.
Krautzberger: Ja. Das ist eine Diskussion, die wir in Brüssel gerade mit großer Sorge beobachten. Wir befürchten insbesondere eine Abschwächung der Luftreinhalte-Vorschriften, eine Aufweichung der Luftreinhalte-Vorschriften. Da gibt es Anzeichen dafür. Das wäre aus unserer Sicht ein großer Irrtum, weil letztlich die Gesundheit der Bevölkerung auch in Europa immer im Vordergrund stehen muss. Wir wissen noch nicht wirklich, wie sich die Diskussion in Brüssel weiterentwickeln wird, aber wir werden sie auf jeden Fall kritisch begleiten und auf diese Probleme immer wieder hinweisen.
Ehring: Was kann denn ein Verbraucher tun, der besorgt ist über zu viel Stickstoff in der Umwelt?
Krautzberger: Er kann darüber nachdenken, ob er wirklich so viel Fleisch konsumieren muss, wie er das heute tut, wenn er das tut. Die Frage des Lebensstils hat schon auch Einfluss auf den Stickstoffüberschuss. Wir können mit unserem Konsumverhalten etwas tun, wenn wir zum Beispiel weniger Fleisch konsumieren, vor allem auch, wenn wir Lebensmittel nicht verschwenden, wie wir das heute an der einen oder anderen Stelle noch tun. Und letztlich können wir auch, wenn wir jetzt an die Mobilität denken, unseren Beitrag leisten, indem wir nicht immer Autofahren, sondern auch mal auf Alternativen zurückgreifen, den öffentlichen Nahverkehr oder das Fahrrad. Das ist manchmal sogar bequemer oder gar gesünder.
Ehring: Soweit Maria Krautzberger, die Präsidentin des Umweltbundesamtes. Das Interview mit ihr haben wir kurz vor dieser Sendung aufgezeichnet.
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