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Stiftung Lesen: Lesespaß "muss aktiv vermittelt werden"

Christine Kranz, Leiterin des Vorleseklubs der Stiftung Lesen, fordert Eltern und insbesondere Väter anlässlich der Studien "Vorlesen im Kinderalltag 2008" auf, ihren Kinder mehr vorzulesen. Sie müssten zudem aktive Vorbilder sein und selbst lesen - die Betonung liege allerdings auf Spaß. Die Studie zeige, dass Kindern viel zu wenig Lesespaß vermittelt würde.

Christine Kranz im Gespräch mit Dina Netz |
    Dina Netz: Nur vier Bundesländer liegen nach dem heute vorgestellten PISA-E-Test bei der Lesekompetenz über dem Durchschnitt der OECD-Länder. Und auch nur in wenigen Bundesländern ist es gelungen, die Lesekompetenz seit PISA 2000 nennenswert zu verbessern. Jeder fünfte 15-Jährige kann zwar Sätze lesen, sie aber schlecht verstehen, weil er am Satzende den Anfang schon wieder vergessen hat und keine Bezüge herstellen kann. Erforderlich werden große und flächendeckende Anstrengungen zur Verbesserung der Lesekompetenz in den Ländern sagen die PISA-Forscher. Eine gerade vorgestellte Studie der Stiftung Lesen hat die Gründe für das Versagen beim Lesen untersucht, "Vorlesen im Kinderalltag 2008" heißt sie. Ich habe über die Studie gesprochen mit Christine Kranz, Leiterin des Vorleseklubs der Stiftung Lesen und ich habe sie gefragt: Frau Kranz, woran hakt es in Deutschland beim Lesen? Warum können so viele Kinder und Jugendliche nicht gut lesen und vor allem so schlecht verstehen?

    Christine Kranz: In unserer neuen Studie kommt heraus, dass 37 Prozent aller Kinder nie vorgelesen bekommen. Und das führt dann auch zu solchen Ergebnissen.

    Netz: Warum ist denn das wichtig, dass Eltern ihren Kindern vorlesen?

    Kranz: Vorlesen hat gleich mehrere Funktionen. Einmal ist der vorlesende Vater oder die vorlesende Mutter ein wichtiges Vorbild. Ein Kind fängt nicht an zu lesen, weil man sagt, du solltest es tun oder es ist gut für dich, sondern es fängt an, weil es Spaß macht. Und dieser Spaß muss aktiv vermittelt werden.

    Netz: Aber wenn Kinder zum Beispiel von sich aus selbst Spaß am Lesen haben, ist es doch auch gut, oder ist das noch was anderes, wenn sie von ihren Eltern vorgelesen bekommen?

    Kranz: Es ist immer gut, weil man kommt sich ja beim Vorlesen auch nahe. Und gerade Eltern, die vielleicht über den Tag wenig Zeit haben, die kommen selber abends zur Ruhe beim Vorlesen. Es ist für den Kontakt mit dem Kind gut, es ist zum Austausch gut und es ist gleichzeitig aktive Leseförderung.

    Netz: Warum ist das aktive Leseförderung? Warum genau lernen Kinder, die vorgelesen bekommen, besser Lesen?

    Kranz: Anders als beim Selberlesen, dass man fragen kann, dass man sich darüber unterhalten kann, dass man sich austauschen kann. Das heißt, es ist aktive Sprachförderung von beiden Seiten. Und es macht Kindern Spaß. Die Betonung beim Vorlesen liegt auf dem Spaß.

    Netz: Gibt es da einen Unterschied im Vorleseverhalten zwischen Müttern und Vätern nach den Ergebnissen Ihrer Studie?

    Kranz: Väter lesen noch seltener vor als Mütter. Und das finde ich ganz, ganz schade, weil die Jungs brauchen ein männliches Lesevorbild. Ansonsten entsteht bei denen im Kopf der Eindruck, Lesen ist Weibersache.

    Netz: Sie haben ja nun ein Projekt mit Lesepatenschaften. Ist das Vorlesen durch Eltern denn überhaupt, durch Lesepatenschaften oder durch fremde Vorleser zu ersetzen?

    Kranz: Da entstehen auch persönliche Bindungen. Unsere Vorlesepaten lesen ja ganz regelmäßig. Das Allerwichtigste ist, dass aus dem Vorlesen ein Ritual wird. Zum Beispiel unsere Vorlesepatin geht in den Kindergarten und lesen da zweimal im Monat an einem festen Tag vor. Und die Kinder freuen sich dann schon drauf. Eltern auch, sollten ein Vorleseritual etablieren, am besten natürlich abends. Da können sich ja viele sicher noch dran erinnern.

    Netz: Was sollten denn für Texte vorgelesen werden, gerade wenn es jetzt eben um so Lesepatenschaften, um fremde Vorleser geht? Welche Texte sind am besten geeignet, um Kinder, die vielleicht sonst nicht so viel lesen und nicht viel vorgelesen bekommen, fürs Lesen zu begeistern?

    Kranz: Man kann für Kinder, die schlecht Deutsch sprechen oder die auch noch sehr klein sind, sehr bildlastige Sachen nehmen, einfach über Bilder erzählen, dann sehr gerne Gereimtes für die kleinen Kinder, heitere Geschichten, gerne Tiergeschichten, Abenteuerliches und Märchenhaftes, das kann man toll vorlesen und bei den Jungs bitte auch die Sachbücher nicht vergessen.

    Netz: Was sind denn Ihre Erfahrungen, Frau Kranz, Sie lesen ja auch selber vor, was berichten die Kinder, was sie Neues entdecken durch die Bücher, die sie vorgelesen bekommen? Wie verändert sich die Welt der Kinder, die plötzlich mit den Büchern in Kontakt kommen?

    Kranz: Ja, die Fantasie wird geschult. Das sind ja Dinge, die man nicht sehen kann, die vorgelesen werden, das ist anders als beim Fernsehen, sondern die man sich vorstellen muss. Das ist ein Bild, was im Kopf entsteht. Und die Kinder bilden ihre eigenen Bilder im Kopf und sehen Dinge, die sie vorher überhaupt nicht kannten.

    Netz: Gehen wir noch mal kurz in die Schule, Frau Kranz. Heute hat der Innenminister von Sachsen-Anhalt Olbertz Initiativen zur Leseförderung angekündigt. Wie müssen denn solche Initiativen im schulischen Bereich aussehen, damit sie erfolgreich sind?

    Kranz: Sie müssen am Interesse der Kinder sich ausrichten. Erwachsene haben oft eine andere Vorstellung davon, was zum Beispiel ein gutes Buch ist, als ein Kind. Man sollte sich wirklich am Interesse des einzelnen Kindes auch orientieren. Das gute Buch, das gibt es nicht. Sondern es gibt immer nur das richtige Buch für ein bestimmtes Kind.

    Netz: Eine systematische Leseförderung kann es ja eigentlich nur geben, wenn Schulen und Eltern zusammenarbeiten. Haben Sie Ideen, wie diese Zusammenarbeit für die Leseförderung sinnvoll funktionieren könnte?

    Kranz: Ein Modell ist zum Beispiel, dass sich Eltern als Vorlesepaten in den Grundschulen zur Verfügung stellen, dass es zum Beispiel Lesemütter gibt in Grundschulen. Das ist zum Beispiel ein Angebot, was Eltern leisten können. Natürlich ist aber die Familie immer der erste Lernort. Ganz wichtig sind die ersten drei Jahre, bevor die Kinder überhaupt in den Kindergarten kommen.

    Netz: Lesen, lesen, lesen. Das war Christine Kranz, die Leiterin des Vorleseklubs der Stiftung Lesen.