Sie war eine Nazi-Agentin und Kriegsgewinnlerin: Die französische Mode-Ikone Coco Chanel. Zumindest wenn es nach dem US-amerikanischen Journalisten Hal Vaughan geht. Die Erfinderin des kleinen Schwarzen wird bei ihm zum schwarzen Engel, der sich mit dem Bösen verbündet. Und zu einer Frau, die stets ihren Vorteil an der Seite mächtiger Männer suchte.
Wie es genau dazu kam, beschreibt der Autor ausführlich im ersten Teil des Buches. Denn obwohl Hal Vaughan eigentlich Chanels Verwicklungen mit den Nationalsozialisten zeigen möchte, füllt er erst einmal 150 Seiten mit der Vorgeschichte und den zahlreichen Affären der Modezarin.
Und da ist einiges zu holen: Geboren wird Coco Chanel als Gabrielle Chasnel 1883 in ärmlichen Verhältnissen. Nach einer schweren Kindheit im Waisenhaus und katholischen Klosterinternat arbeitet sie in Paris zunächst als Tänzerin, dann als Näherin. Mithilfe von Talent und Ehrgeiz – aber auch mit Hilfe reicher Förderer, wird aus ihr in den 1920er-Jahren schließlich die Herrin eines Modeimperiums: Mit gerade mal 25 Jahren gehören Coco Chanel Boutiquen von Paris bis Biarritz. 300 Näherinnen arbeiten für sie.
Hal Vaughan beschreibt, wie Chanel schon zu dieser Zeit geschickt Affären für sich zu nutzen weiß. Wie etwa die mit dem Herzog von Westminster, genannt Bendor. Der damals reichste Mann Englands war ein guter Freund Winstons Churchills. Der Autor schreibt:
Chanel hatte ein Händchen dafür, sich alles und jeden zunutze zu machen, und entwickelt einen Lebensstil, der zu Bendors Wesen und seinem Tempo passte. Doch ihre Karriere und ihr Ehrgeiz hielten das Paar auf Abstand. Sie hatte zwei wahre Lieben, sagte ihre Freundin Lady Abdy: "sich selbst und ihr Modehaus alles andere waren nur Schwächen, Abenteuer ohne Zukunft, kalkulierte Liaisons".
Folgt man dem Autor, wird aus Chanel vor allem dank solcher Liaisons die gefeierte Stil-Ikone. Und die ist sie auch bereits, als der Nationalsozialismus in Gestalt des deutschen Spions Hans-Günther von Dincklage in ihr Leben tritt. Ab 1940 sind Coco Chanel – zum damaligen Zeitpunkt 57 Jahre alt - und der gut aussehende, um einiges jüngere Baron ein Paar. Dass der deutsche Adlige ein Agent der Gestapo war, hat Chanel Zeit ihres Lebens bestritten. Autor Hal Vaughan hingegen schenkt seiner Protagonistin diesbezüglich kein Vertrauen:
Trotz Chanels Verschleierungen und ihrer Märchen über den Tennis spielenden und Englisch sprechenden Dincklage - den sie und ihre Biografen eher als Briten denn als Deutschen darstellen - wussten Coco und ihre Freunde von Dincklages Naziverbindungen und seiner Spionagetätigkeit in Frankreich. Der Klatsch, der in den elitären Kreisen die Rund machte, war unmöglich zu überhören.
Klatsch und Hörensagen bestimmen dann auch leider weite Passagen der Biografie. Direkte Beweise, wie umfassend Chanel mit den Besatzern kollaborierte bleibt der Autor zu oft schuldig - trotz großem Rechercheaufwand. Chanel selbst hatte 1946 ihre Verbindungen zu den Nazis vor Gericht bestritten. Das Gegenteil konnte ihr nicht bewiesen werden. Der Kollaboration wurde sie nie überführt. Vaughans Einschätzung ist allerdings eine andere: Für ihn ist die Modemacherin eine berechnende Profiteurin und Antisemitin.
Die Propagandakampagne der katholischen Kirche gegen den Juden Dreyfuss konnte an Chanel nicht spurlos vorbeigegangen sein. Ihre antisemitischen Ängste und Ressentiments brachen in späteren Jahren mit solcher Heftigkeit aus ihr hervor, dass sie damit selbst jene erschreckte, die eine mildere Form des Antisemitismus pflegten.
Wie weit Coco Chanel in ihrer Juden-Verachtung tatsächlich gegangen sein soll, versucht der Autor am Fall der Familie Wertheimer zu zeigen. Die jüdischen Kaufleute hielten noch im Krieg große Anteile an Vertrieb und Gewinn des Parfums Chanel No 5. Sie hatten in kurzer Zeit daraus einen Weltbestseller gemacht. Um die Kontrolle über ihr Produkt zurückzugewinnen, so beschreibt der Autor, soll sie sich mit dem Leiter des "Pariser Büros für Entjudung" getroffen haben: Kurt Blanke:
In den ersten Wintertagen 1941/1942 trafen sich Chanel und Blanke im Hotel Majestic. Nachdem Chanel mit ihm gesprochen hatte, glaubte sie ihrem Ziel, die Wertheimers ausbooten zu können und die Societé des Parfums Chanel übernehmen zu können, einen Schritt nähergekommen zu sein. Aber sie hatte die Weitsicht und Cleverness der Gebrüder Wertheimer unterschätzt. Diese hatten bereits von langer Hand geplant, wie sie ihr Unternehmen retten konnten, wenn die Nazis in Frankreich das Sagen hätten.
Dass Coco Chanel ganz konkret Rassen-Gesetze der Nazis zu ihren Gunsten genutzt haben soll, schockierte die Franzosen. Vaughans These wurde schon vor der Buchveröffentlichung in diesem Sommer heiß diskutiert. Doch so wirklich überzeugen kann sie nicht: Vaughan bleibt auch hier letzte Beweise schuldig.
Den Wertheimers gehört bis heute ein Großteil des Luxuskonzerns - und die Erben schweigen beharrlich zu den Anwürfen des Autors. Seine Rechercheergebnisse hingegen sind in deutlich abgeschwächter Form schon lange bekannt. Vaughan selbst verweist auf den Schriftsteller John Updike. Der hatte 1998 in einem Artikel für den "New Yorker" Coco Chanel unterstellt, es sei ihr völlig gleichgültig welches Schicksal ihren jüdischen Nachbarn gedroht habe.
Wie eng auch immer Chanels Verbindungen zu den Nazis waren, und was auch immer ihre Gründe dafür waren: Der große Erkenntnisgewinn bleibt leider aus. Denn während Autor Vaughan zwischen historischen Tatsachen und bloßen Vermutungen hin - und her schießt – bleibt der Leser ziemlich ratlos zurück. Immerhin wird er recht gut unterhalten. Was bleibt ist eine weitere Biografie über Coco Chanel. Noch eine.
Hal Vaughan: "Coco Chanel – der schwarze Engel: Ein Leben als Nazi-Agentin".
Verlag Hoffmann und Campe, 384 Seiten, 22,99 Euro.
Wie es genau dazu kam, beschreibt der Autor ausführlich im ersten Teil des Buches. Denn obwohl Hal Vaughan eigentlich Chanels Verwicklungen mit den Nationalsozialisten zeigen möchte, füllt er erst einmal 150 Seiten mit der Vorgeschichte und den zahlreichen Affären der Modezarin.
Und da ist einiges zu holen: Geboren wird Coco Chanel als Gabrielle Chasnel 1883 in ärmlichen Verhältnissen. Nach einer schweren Kindheit im Waisenhaus und katholischen Klosterinternat arbeitet sie in Paris zunächst als Tänzerin, dann als Näherin. Mithilfe von Talent und Ehrgeiz – aber auch mit Hilfe reicher Förderer, wird aus ihr in den 1920er-Jahren schließlich die Herrin eines Modeimperiums: Mit gerade mal 25 Jahren gehören Coco Chanel Boutiquen von Paris bis Biarritz. 300 Näherinnen arbeiten für sie.
Hal Vaughan beschreibt, wie Chanel schon zu dieser Zeit geschickt Affären für sich zu nutzen weiß. Wie etwa die mit dem Herzog von Westminster, genannt Bendor. Der damals reichste Mann Englands war ein guter Freund Winstons Churchills. Der Autor schreibt:
Chanel hatte ein Händchen dafür, sich alles und jeden zunutze zu machen, und entwickelt einen Lebensstil, der zu Bendors Wesen und seinem Tempo passte. Doch ihre Karriere und ihr Ehrgeiz hielten das Paar auf Abstand. Sie hatte zwei wahre Lieben, sagte ihre Freundin Lady Abdy: "sich selbst und ihr Modehaus alles andere waren nur Schwächen, Abenteuer ohne Zukunft, kalkulierte Liaisons".
Folgt man dem Autor, wird aus Chanel vor allem dank solcher Liaisons die gefeierte Stil-Ikone. Und die ist sie auch bereits, als der Nationalsozialismus in Gestalt des deutschen Spions Hans-Günther von Dincklage in ihr Leben tritt. Ab 1940 sind Coco Chanel – zum damaligen Zeitpunkt 57 Jahre alt - und der gut aussehende, um einiges jüngere Baron ein Paar. Dass der deutsche Adlige ein Agent der Gestapo war, hat Chanel Zeit ihres Lebens bestritten. Autor Hal Vaughan hingegen schenkt seiner Protagonistin diesbezüglich kein Vertrauen:
Trotz Chanels Verschleierungen und ihrer Märchen über den Tennis spielenden und Englisch sprechenden Dincklage - den sie und ihre Biografen eher als Briten denn als Deutschen darstellen - wussten Coco und ihre Freunde von Dincklages Naziverbindungen und seiner Spionagetätigkeit in Frankreich. Der Klatsch, der in den elitären Kreisen die Rund machte, war unmöglich zu überhören.
Klatsch und Hörensagen bestimmen dann auch leider weite Passagen der Biografie. Direkte Beweise, wie umfassend Chanel mit den Besatzern kollaborierte bleibt der Autor zu oft schuldig - trotz großem Rechercheaufwand. Chanel selbst hatte 1946 ihre Verbindungen zu den Nazis vor Gericht bestritten. Das Gegenteil konnte ihr nicht bewiesen werden. Der Kollaboration wurde sie nie überführt. Vaughans Einschätzung ist allerdings eine andere: Für ihn ist die Modemacherin eine berechnende Profiteurin und Antisemitin.
Die Propagandakampagne der katholischen Kirche gegen den Juden Dreyfuss konnte an Chanel nicht spurlos vorbeigegangen sein. Ihre antisemitischen Ängste und Ressentiments brachen in späteren Jahren mit solcher Heftigkeit aus ihr hervor, dass sie damit selbst jene erschreckte, die eine mildere Form des Antisemitismus pflegten.
Wie weit Coco Chanel in ihrer Juden-Verachtung tatsächlich gegangen sein soll, versucht der Autor am Fall der Familie Wertheimer zu zeigen. Die jüdischen Kaufleute hielten noch im Krieg große Anteile an Vertrieb und Gewinn des Parfums Chanel No 5. Sie hatten in kurzer Zeit daraus einen Weltbestseller gemacht. Um die Kontrolle über ihr Produkt zurückzugewinnen, so beschreibt der Autor, soll sie sich mit dem Leiter des "Pariser Büros für Entjudung" getroffen haben: Kurt Blanke:
In den ersten Wintertagen 1941/1942 trafen sich Chanel und Blanke im Hotel Majestic. Nachdem Chanel mit ihm gesprochen hatte, glaubte sie ihrem Ziel, die Wertheimers ausbooten zu können und die Societé des Parfums Chanel übernehmen zu können, einen Schritt nähergekommen zu sein. Aber sie hatte die Weitsicht und Cleverness der Gebrüder Wertheimer unterschätzt. Diese hatten bereits von langer Hand geplant, wie sie ihr Unternehmen retten konnten, wenn die Nazis in Frankreich das Sagen hätten.
Dass Coco Chanel ganz konkret Rassen-Gesetze der Nazis zu ihren Gunsten genutzt haben soll, schockierte die Franzosen. Vaughans These wurde schon vor der Buchveröffentlichung in diesem Sommer heiß diskutiert. Doch so wirklich überzeugen kann sie nicht: Vaughan bleibt auch hier letzte Beweise schuldig.
Den Wertheimers gehört bis heute ein Großteil des Luxuskonzerns - und die Erben schweigen beharrlich zu den Anwürfen des Autors. Seine Rechercheergebnisse hingegen sind in deutlich abgeschwächter Form schon lange bekannt. Vaughan selbst verweist auf den Schriftsteller John Updike. Der hatte 1998 in einem Artikel für den "New Yorker" Coco Chanel unterstellt, es sei ihr völlig gleichgültig welches Schicksal ihren jüdischen Nachbarn gedroht habe.
Wie eng auch immer Chanels Verbindungen zu den Nazis waren, und was auch immer ihre Gründe dafür waren: Der große Erkenntnisgewinn bleibt leider aus. Denn während Autor Vaughan zwischen historischen Tatsachen und bloßen Vermutungen hin - und her schießt – bleibt der Leser ziemlich ratlos zurück. Immerhin wird er recht gut unterhalten. Was bleibt ist eine weitere Biografie über Coco Chanel. Noch eine.
Hal Vaughan: "Coco Chanel – der schwarze Engel: Ein Leben als Nazi-Agentin".
Verlag Hoffmann und Campe, 384 Seiten, 22,99 Euro.