Brighton in Südengland zur Hochsaison. Touristen schieben sich bei 30 Grad über die berühmte Brighton Pier, vorbei an Spielhallen, Fish-and-Chips-Ständen und Souvenirläden. Popsongs scheppern aus Lautsprechern. Beschallung von allen Seiten. Die vielbefahrene Küstenstraße tut ihr übriges. Hier ist es laut.
Ein paar Kilometer weiter östlich: Im kleinen Städtchen Saltdean oberhalb der kalkweißen Steilküste schmiegt sich eine Wohnsiedlung an die hügelige Landschaft: Hier im Moray Cottage lebt Kate Lawson. In der Ferne das Meer, hin und wieder ziehen kreischende Möwen vorbei, ansonsten Stille.
"Mein armer Mann. Ich sagte: Ich habe da ein Häuschen in Saltdean entdeckt. Und er sagte: Oh, ich wusste gar nicht, dass wir umziehen. Und ich: Doch, wir brauchen einen Quiet Garden. Und als wir das Grundstück zum ersten Mal sahen, dachten wir beide: Das ist es", sagt Kate Lawson.
Eintauchen in die Stille
Ein fein gehegter Garten, auf mehreren Ebenen angelegt und überschaubar groß: Stauden und Rosenbeete, Bäume mit Äpfeln, Birnen und Pflaumen. Am Haus ein Gemüsebeet, wo Kartoffeln, Zwiebeln und Zucchini wachsen. Daneben ein kleiner Verschlag für drei Hühner.
"Die sorgen immer wieder für Gelächter, weil sie recht laut gackern, wenn sie Eier legen. Und das tun sie gerne während der Quiet-Garden-Zeit."
An jedem ersten Mittwoch im Monat um halb zehn Uhr morgens lädt Kate Lawson zum Quiet Garden ein. Bis zu acht Menschen kommen dann in ihren Garten, um gemeinsam ein paar Stunden lang in die Stille einzutauchen.
Nichtstun, Stricken, Beten
"Auf dieser Terrasse findet die Begrüßung statt. Hier können die Leute sagen, was sie von dem Morgen erwarten und wir starten mit einem Quiet-Garden-Gebet. Dann schweigen wir. Die Leute kommen raus in den Garten, sie können hier unten sitzen oder da oben und auf das Meer schauen."
Dabei ist man nicht zum Nichtstun verdammt: Einige stricken Schals, andere greifen zu Malbüchern, wiederum andere gehen spazieren. Manche beten oder legen sich einfach auf den Rasen. Im Winter findet es auch Drinnen statt, am Kamin. Aber immer schweigen alle.
"Die Menschen brauchen diese Möglichkeit, um schweigen zu können. Wir fragen uns hier manchmal, warum das wohl so ist. Ich zum Beispiel habe den Garten ja eigentlich rund um die Uhr. Ich muss mir aber gewissermaßen erst mal selbst erlauben, eine Weile nicht die E-Mails abzurufen, nicht ans Telefon zu gehen. Einfach hier draußen zu sein, mit Gott. Das ist wundervoll."
Inspiriert von einer Pilgerreise
"We're in a very busy world and often people need to be encouraged: Ok we're going to be quiet now", sagt Philip Roderick.
Dass Menschen in dieser geschäftigen Welt erst zum Schweigen ermutigt werden müssen, weiß Philip Roderick nur zu gut. Die Idee kam ihm vor mehr als 25 Jahren, als er von einer dreimonatigen Pilgerreise zurückkehrte.
"Ich hatte gerade diese fantastischen Plätze an ganz unterschiedlichen Orten der Erde gesehen", sagt Roderick. "Also dachte ich mir: Es wäre doch wundervoll, wenn Menschen hin und wieder - einmal im Monat oder einmal in der Woche - ihre privaten Gärten für andere öffnen würden, um sich darin aufzuhalten oder zu beten."
Mikrokosmos von Bergen, Seen, Feldern
Philip Roderick war anglikanischer Pastor und ist heute im Ruhestand. Seine Idee der stillen Gärten kam an. Heute gibt es in Großbritannien 200, weltweit kommen noch 100 weitere hinzu. Aus seiner kleinen Initiative ist eine Stiftung geworden, die alle Gärten auf einer Internetseite bündelt. Darunter sind auch Schul- oder Pfarrgärten und sogar ein Gefängnisgarten. Ob an den christlichen Glauben angelehnt oder nicht: Ihm geht es darum, jedem, der es möchte, eine besondere spirituelle Erfahrung zu ermöglichen:
"Ich glaube, dass Gott im Garten allgegenwärtig ist. Und in der Schönheit der Natur im Besonderen. Der Quiet Garden ist wie ein Mikrokosmos von Bergen, Seen, Feldern oder Flüssen. Egal ob es ein kleiner oder ein großer Garten ist: Wenn jeder, der einen Quiet Garden, ein Kloster oder eine Kirche mit einem 'Oh wow' verlassen würde, wäre das großartig."
"Heilung für die Seele"
Kate Lawson hat während ihrer theologischen Ausbildung zur Hilfspfarrerin zum ersten Mal von der Quiet-Garden-Bewegung gehört. Sie besuchte zwei stille Gärten und war sofort begeistert. Neben ihrer Arbeit in einer Gemeinde und in einem Krankenhaus ist ihr eigener Quiet Garden für sie unverzichtbar geworden.
"Nach dem letzten Mal schrieb mir jemand: Danke für die Seelen-Heilung. So hatte er es an dem Morgen empfunden: als Heilung für die Seele."