Rund 50 Zelte stehen dicht an dicht auf der kleinen Grünanlage auf dem Madrider Paseo del Prado. Zwischen den Bäumen ist ein Transparent aufgespannt: "Für das Recht auf Wohnung." Obdachlose protestieren hier gegen das unfreiwillige Leben auf der Straße.
Eine Passantin meint, die Wohnungslosen sollten ihr Camp draußen vor der Stadt errichten. Mitten im Zentrum sei es unästhetisch. Während ein Mann Verständnis zeigt und findet, niemand solle auf der Straße leben.
Auf einer Bank erzählt die 64-jährige Selena von ihrem Schicksal, die wie meisten Wohnungslosen ihren Nachnamen nicht nennen möchte. Seit sie acht Jahre alt ist, wurde sie als transsexuelles Kind in ihrer Heimat Ecuador vergewaltigt, floh schließlich vor 20 Jahren nach Spanien. Das Trauma aus der Kindheit verfolgt sie bis heute. Die spanischen Behörden erkennen ihr deshalb eine Behinderung an und zahlen ihr eine Rente. Doch es sind nur knapp 400 Euro, von denen sie zuletzt ein kleines Zimmer bezahlte:
5.000 Sozialwohnungen verkaufte Madrid an Investmentfonds
"Das war ein Loch. Der Wohnungsbesitzer und seine Tochter misshandelten mich. Anfang des Jahres wurde meine Rente drei Monate lang ausgesetzt, weil mir das Finanzamt die Briefe an eine alte Adresse geschickt hatte. Der Wohnungsbesitzer begann mich zu schlagen, weil ich die Miete nicht zahlen konnte. So kam ich hierher zum Camp am Paseo del Prado."
Gerne würde sie in einer Sozialwohnung leben, doch weder die Stadt Madrid noch die Region können ihr eine anbieten. Schließlich haben die Madrider Behörden 5.000 öffentliche Sozialwohnungen im Zuge der Schuldenkrise an Investmentfonds verkauft. So bleiben den Wohnungslosen nur Obdachlosenunterkünfte, von denen im Sommer jedoch viele schließen.
"Jetzt im Sommer werfen sie uns aus den Obdachlosenunterkünften raus. Und im Winter muss man schon um 20 Uhr dort sein und um acht Uhr am Morgen wieder draußen. Wie soll da jemand Arbeit suchen, wenn man den ganzen Tag auf der Straße verbringt? Man zieht von einem Speisesaal in irgendeiner Kirche zum anderen, vom Frühstück über das Mittagessen bis zum Abendessen muss man an einen anderen Ort."
Es gibt zwar ein Nationales Aktionsprogramm gegen Obdachlosigkeit, in dem von einem leichteren Zugang zu Wohnungen die Rede ist. Doch die Umsetzung scheitere an den Mitteln, beklagt Miky.
"Ein Grundrecht, das nicht geschützt wird, ist keines mehr"
Der 33-Jährige gehört zu den Initiatoren der Protestaktion der Madrider Obdachlosen: "Dieser Protest soll das klar machen. Unser in der Verfassung verankertes Grundrecht auf körperliche und seelische Unversehrtheit wird missachtet. Dieses Leben macht Dich kaputt. Hilfswerke sagen, dass auf der Straße zu leben die Lebenserwartung um 20 Jahre reduziert, das ist doch Wahnsinn. Ein Grundrecht, das nicht geschützt wird, ist keines mehr."
Die Caritas spricht von 40.000 Obdachlosen in Spanien. Gleichzeitig beziffert das katholische Hilfswerk, dass dreieinhalb Millionen Wohnungen leer stehen würden. Vor allem in den Städten aber ist von diesem Leerstand nichts zu spüren. Die Mieten steigen rasant, teilweise um mehr als zehn Prozent im Jahr: Eine 80-Quadratmeter Wohnung kostet in Madrid oder Barcelona inzwischen um die 1.300 Euro im Monat. Die Obdachlosen vom Paseo del Prado protestierten deshalb vor dem spanischen Parlament – wo vergangene Woche die Sozialisten und die Linkspopulisten von Podemos über eine Koalitionsregierung verhandelten:
"Wir hatten auf eine fortschrittliche Regierung gehofft und den Verhandlungsführern einen öffentlichen Brief geschrieben, damit sie die in der Verfassung festgeschriebene Rechte durchsetzen. Für uns ist das eine wirklich dringende Frage und wir fordern von den Parteien, dass sie sich schnell über eine Lösung verständigen."
Doch eine solche schnelle Lösung wird es für die Obdachlosen vom Madrider Paseo del Prado nicht geben. Die Verhandlungen sind zunächst gescheitert – und so auch die Hoffnung auf eine linke Regierung, die sich für Obdachlose einsetzt.