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Stimme der Palästinenser

Der einst so kämpferische palästinensische Nationaldichter Mahmoud Darwisch hat sich bei einer Lesung in Haifa milde gezeigt. Sein Urteil indes bleibt scharf: Durch die blutigen Kämpfe zwischen der Fatah und der Hamas sei die Gründung eines palästinensischen Staates zu einem der sieben Weltwunder geworden.

Von Natascha Freundel |
    Wer eine Karte ergattern konnte, erlebte einen großen Abend. Der einst so kämpferische Mahmoud Darwisch ist milde geworden. Heiter und gelassen im Alter, das man ihm nicht ansieht. Er nennt diese lächelnde Zurückhaltung "Ästhetik der Verzweiflung". Wie ein geduldiger Lehrer bittet er das aufgekratzte Publikum um Ruhe. Im Haifa-Auditorium am Carmel Berg sind alle 1500 Plätze besetzt, verschleierte Köpfe hier, nackte Schultern dort, standing ovations, spontane Applause, glänzende Augen. Die Hände des Lyrikers flattern hoch zum Rhythmus der Worte, die Mobiltelefone klingeln und werden doch zuerst zum Fotografieren hervorgeholt. In der ersten Reihe viele Mitglieder der kommunistischen, arabisch-jüdischen Hadash-Front für Frieden und Gleichheit, darunter der Knesset-Abgeordnete Chana Sueed:

    "Das wichtigste Ereignis dieses Abends hat nichts mit Politik zu tun, sondern mit Nationalität und Identität. Hier sind Leute mit ganz unterschiedlichen politischen Ansichten, einige von ihnen sind Palästinenser, aber alle sind Araber und glücklich, Mahmoud Darwisch zu erleben. Denn er symbolisiert gewissermaßen das palästinensische Volk."

    Mahmoud Darwisch hat seine kommunistische Vergangenheit zwar hinter sich gelassen, dennoch fiel auf, dass Israels erster und einziger arabischer Minister von der Arbeitspartei, Raleb Madschadele, fehlte. Haifa gilt seit den 1960ern, als Darwisch hier Chefredakteur der Zeitung "Al Ittihad", zu Deutsch "Die Vereinigung", war, als Zentrum der Kommunisten in Israel. Assam Machoul gehört zu den Parteiführern:

    "Darwisch ist noch immer eine einzigartige Stimme der Palästinenser, aber nicht nur der Palästinenser. Es ist eine sehr menschliche Stimme, die komplex und wunderschön erzählt. Sein Weg als Autor begann hier in Haifa, das war die Wiege seiner Dichtung. Als er Haifa verließ, schuf er sich ein neues Haifa, eine neue Heimat. All dies bringt er nun zurück an den Carmel Berg, und ich denke, diese Verbindung zwischen Darwisch, Haifa und dem Exil ist einmalig."

    Mit Spannung hatte man Darwischs Eingangsrede erwartet. "Wir sind nun unabhängig ", sagte er sarkastisch, "Gaza ist unabhängig von der Westbank - für ein Volk: zwei Länder, zwei Gefängnisse". Durch die blutigen Kämpfe zwischen der Fatah und der Hamas sei die Gründung eines palästinensischen Staates zu einem der sieben Weltwunder geworden, so Darwisch. Doch schon im Interview mit der israelischen Tageszeitung "Haaretz" vergangenen Freitag hatte er auch betont, dass die arabischen Staaten in ihrer Friedensinitiative Israel die volle Anerkennung anbieten. Israel aber wiederhole bloß die alte Leier, wonach die Palästinenser keine Chance verpassen, eine Chance zu verpassen.

    Auch gestern Abend, am Tag der friedlichen Einigung zwischen Israel und dem bewaffneten Arm der Fatah, den Al-Aksa-Brigaden, blickte Mahmoud Darwisch pessimistisch, illusionslos in die Zukunft. Dann ließ der elegante 66-jährige Autor seine Hände zur Musik seiner Worte tanzen. Er las neuere, privatere Gedichte ebenso wie einige der berühmten frühen, kämpferischen Werke - darunter das 1963 im Gefängnis entstandene Sehnsuchtslied über das Brot und den Kaffee seiner Mutter, das inzwischen als Hymne gelten kann.

    Es war ein großer und ein trauriger Abend. Traurig weniger wegen der Wut und Bitterkeit in Darwischs Gedichten, sondern eher, weil unter den Zuschauern nur sehr, sehr wenige jüdische Israelis waren. In ihrem Land, in dem alle Straßen auf Hebräisch und Arabisch ausgeschildert sind, ist ihnen die Lyrik Mahmoud Darwischs fremd.