Wenige Kommentatoren werden so klar mit einer speziellen Sportart verbunden wie Rolf Kalb. Was Carsten Sostmeier noch immer im Pferdesport ist oder Béla Réthy lange Jahre für den Fußball war, macht Kalb zur "Stimme des Snooker". So lautet der inoffizielle Adelstitel des 64-Jährigen, der diese spezielle Variante des Billard den Deutschen schon seit über zwei Jahrzehnten durch seinen TV-Kommentar bei Eurosport nahebringt.
Für den Privatsender kommentiert Kalb, der auch unter den Profis einen Legendenstatus genießt, sogar noch länger, schon seit über 35 Jahren. 1989 hatte er bei Eurosport angeheuert. Doch bald ist Schluss: Die "Stimme des Snooker" legt nach der gerade noch laufenden Weltmeisterschaft in Sheffield (Großbritannien), die am 6. Mai endet, das Mikrofon beiseite.
Was das Crucible Theatre als Sportstätte ausmacht
Im Deutschlandfunk-Sportgespräch erklärt der Kult-Kommentator, es sei nun der richtige Zeitpunkt: "Ich habe lange mit dieser Entscheidung gerungen. Aber ich bin mit mir im Reinen, freue mich auch auf die Zeit danach. Ich werde sicherlich, wenn es mit der neuen Saison wieder losgeht, Phantomschmerzen haben. Dazu habe ich ganz einfach meine Arbeit mit zu viel Leidenschaft gemacht. Aber ich freue mich auf das, was jetzt im Leben vor mir liegt."
Dass Rolf Kalb in den nächsten Jahren dem Crucible Theatre in Sheffield als Zuschauer den ein oder anderen Besuch abstatten wird, ist damit wohl ausgemachte Sache.
"Es ist die intensive Atmosphäre, die dort entsteht", unterstreicht Kalb, der früher schon mehrfach bei der WM vor Ort war, aber als Kommentator wegen der räumlichen Beschränkungen gar nicht direkt aus dem Crucible heraus kommentieren kann. "Was in den TV-Bildern nicht so deutlich wird, ist, wie steil wirklich die Zuschauerränge sind und wie nah die Zuschauer an den Tischen sind. Also im Prinzip können die aus der ersten Reihe den Spielern ins Queue reingreifen."
Kalb ging als studierter Mathematiker ein Risiko ein
Kalbs Weg kreuzte sich schon früh in seiner beruflichen Laufbahn mit der Nischensportart. Der gebürtige Hückelhovener kam bereits als junger Mann in seinen Karriereanfängen mit Billard in Berührung, wurde früh Pressesprecher der Deutschen Billard-Union (DBU). Dabei spielte auch das Schicksal eine Rolle: "Mein Vater war Bergmann, ist gestorben, als ich 16 Jahre war. Finanziell war die Familie Kalb nicht unbedingt auf Rosen gebettet. Ich musste mir ganz einfach auch Geld dazuverdienen, um mein Studium finanzieren und leben zu können."
Er studierte damals Informatik und Mathematik in Bonn, sein journalistischer Werdegang hatte aber schon mit 15 Jahren begonnen. Seine erste Station war 1973 die Lokalsportredaktion der Rheinischen Post in Erkelenz. "Ich habe dann gemerkt, dass ich mir ein Leben als Sportjournalist viel besser vorstellen kann als als Mathematiker."
Es sollte letztendlich die richtige Entscheidung sein, sich als Journalist selbstständig zu machen. Zunächst gab es aber auch Sorgen im Umfeld. Kalb blickt zurück: "Meine Frau hatte allergrößte Bedenken: keine Sicherheit und so. Sie hat gesagt: Okay, du willst es unbedingt machen, dann probiere es. Du hast zwei Jahre Zeit. Entweder, dann funktioniert es – und wenn es nicht funktioniert und du willst weiter in der Medienbranche arbeiten, musst du halt Zeitungen austragen."
"War der Einzige, der Snooker fehlerfrei schreiben konnte"
Aber es funktionierte. Im Kommentatoren-Portfolio von Kalb finden sich auch weitere Sportarten abseits des Mainstreams. So kommentierte er Rudern, Tanzen, Gewichtheben oder Kampfsport. Doch als der Sender die Snooker-Rechte erwarb und damit stundenlange Sendestrecken füllen musste, "war ich natürlich eine naheliegende Wahl aufgrund meiner vorherigen Erfahrung im Billard-Bereich", erörtert Kalb. "Man darf ja nicht vergessen: Damals war ich vermutlich der einzige deutsche Sportjournalist, der Snooker fehlerfrei schreiben konnte."
"Nicht im Traum" hätte Kalb dennoch gedacht, einmal als Kult-Kommentator so mit der Sportart verbunden zu sein. "Sowas können Sie auch nicht bewusst anstreben, sowas ergibt sich, sowas erarbeitet man sich."
Was Rolf Kalb an Snooker so fasziniert
Und wenn Beruf mit der privaten Leidenschaft verbunden wird, fällt eben vieles leichter. Kalb saugte über die Jahrzehnte Geschichten, Spiele und Spielzüge regelrecht auf, könnte stundenlang erzählen. Was genau macht den Sport für ihn so fesselnd?
"Snooker ist eine Abfolge vieler kleiner und mittlerer Dramen, die sich am Ende zu einem grandiosen Spannungsbogen vereinen können. Es ist ein sehr strategisches Spiel. Ich vergleiche es gerne mit Schach auf dem grünen Tuch. Sie müssen vorausdenken, planen, zwischen Optionen abwägen. Nur beim Schach, wenn die Entscheidung getroffen ist, ist es ja relativ leicht, die Figur von einem Feld auf das andere zu setzen. Beim Snooker müssen Sie diesen Plan aber auch mit einem Höchstmaß an Präzision umsetzen. Da sprechen wir über Bereiche, die kleiner als einen Millimeter sind", erklärt Kalb. "Shaun Murphy [Weltmeister 2005, Anmerk. d. Red.] hat mal gesagt, ein Snooker-Match entscheidet sich zu 90 Prozent zwischen den Ohren – also im Kopf."
Snooker als "Hafen der Ruhe" in einer hektischen Welt
Wer nun aber denkt, Snooker sei als Sport, in dem ein WM-Finale zwei Tage dauert und auch die TV-Übertragung kein visuelles Feuerwerk bietet, aus der immer schnelllebiger werdenden Zeit gefallen, dem widerspricht Kalb. "Es ist vielleicht ein Anachronismus. Aber auch da scheint es, ein Bedürfnis zu geben. Ich bekomme sehr viele Reaktionen von Fans, habe tausende Nachrichten bekommen. Und auffällig ist, wie oft mir Leute schreiben, dass es für sie ein Hafen der Ruhe war in einer immer hektischeren, unübersichtlichen Welt."
Und Rolf Kalb hat mit seiner Stimme eben maßgeblich dazu beigetragen, dass Snooker auch in Deutschland eine echte Fangemeinde gewonnen hat. Aber der Kommentator betont zum Abschied: "Die Spieler müssen auf dem Tisch für die Show sorgen. Ich kann das vielleicht verstärken, transportieren. Aber es ist keine Rolf-Kalb-Show – es geht um Snooker."
jti