"Ich wurde dann gefunden im Zug, im letzten Abteil, abgeschlossen, hat man mich dann in Bayern rausgeholt. Und ich musste ihnen erklären, dass ich hier gewaltsam eingesperrt worden bin. Das konnten die gar nicht glauben, dass man einen Menschen wie ein Stück Frachtgut von Ost nach West transportiert. Und ich konnte es gar nicht begreifen. Ich war plötzlich wie auf einem anderen Planeten."
Das war 1983. Inzwischen ist Roland Jahn auf dem gesamtdeutschen Planeten gelandet. Er ist erfindungsreich, starrköpfig und intelligent. Roland Jahn ist einer, den man nicht zum Gegner haben möchte. Die DDR jedoch hat ihn sich zum Gegner gemacht. 1953 in Jena geboren, blieb Jahn lange ein halbwegs angepasster Jugendlicher, der Freiheiten suchte, aber doch wie fast alle die DDR-typische Doppelzüngigkeit übte. Er wollte Abitur machen, er wollte studieren. Also leistete er seinen Wehrdienst bei der Bereitschaftspolizei, also schwieg er, als ein Freund aus politischen Gründen von der Jenaer Universität verwiesen wurde. 1976 war es aber auch mit Roland Jahns Schweigen vorbei. Er protestierte gegen die Biermann-Ausbürgerung und musste folglich ebenfalls die Universität verlassen. Diese persönliche Erfahrung, aber auch die aufmüpfige Jenaer Oppositionsszene führten Roland Jahn immer konsequenter in den Widerstand gegen den DDR-Sozialismus. Legendär sind noch immer die polnische Solidarność-Fahne an seinem Fahrrad, sein Auftritt mit Hitler-Bärtchen und Stalin-Schnauzer zum 1. Mai, das weiße Plakat bei einer Mai-Demonstration.
"Ich habe immer Aktionen gemacht, die strafrechtlich nicht so einfach zu fassen sind. Wenn ich am 1. Mai mit einem weißen Plakat demonstriere, dann kann man mich nicht so schnell einsperren. Da hat man es schwer, mir zu unterstellen, ich würde gegen den Staat auftreten. Aber die Menschen, die es gesehen haben, die haben alle begriffen, was es bedeutet: nämlich, dass ich protestiere gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit."
Trotz mehrfacher Verhaftungen und Verhöre durch die Stasi engagierte sich Roland Jahn weiter in der Jenaer Friedensbewegung. Schließlich wurde er 1983 zu knapp zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Internationale Proteste ließen ihn vorzeitig freikommen, aber SED und Stasi hatten genug von dem renitenten 29-Jährigen. Sie sperrten ihn in einen Zug gen Westen und verriegelten das Abteil. Abgeschoben. Jahn machte in Westberlin einfach weiter, unterstütze die Ost-Opposition mit Druckerfarbe, Videokameras und Aufmerksamkeit im Westen. Vor allem im Fernsehen sah er die Möglichkeit, Protest in der DDR publik zu machen – in Ost und West. Für das ARD-Politmagazin "Kontraste" organisierte Jahn Themen, Bilder und Gesprächspartner aus der dahinsiechenden DDR, so etwa mit dem Bürgerrechtler Wolfgang Templin 1987:
"Eine Woche nach den Demonstrationen am Brandenburger Tor werden die Ereignisse in der ganzen DDR heftig diskutiert. Ein Kommentar aus der unabhängigen Friedensbewegung – telefonisch aus Ostberlin:"
"Ein massives Aufgebot an Polizei und Sicherheitskräften und ihr brutales Vorgehen schüchterten diesmal nicht so sehr ein, sondern beförderten schnell eine Politisierung."
Roland Jahn hat stärker als andere DDR-Oppositionelle die Öffentlichkeit gesucht, er hatte weniger Berührungsängste mit West-Journalisten und –Politikern, wenn sie denn seiner Sache dienten. Auch die legendären Bilder von der Leipziger Montagsdemonstration vom Oktober 1989 hätte es ohne Jahn nicht gegeben. Viele Verhaftete wären ohne ihn nicht so schnell wieder freigekommen. Völlig zu Recht urteilt der Autor:
"... dass Bürgerrechtler wie Bärbel Bohley oder der Liedermacher Stephan Krawczyk überhaupt zu Symbolfiguren der friedlichen Revolution und auch zu einem Ansporn für Zivilcourage für Hunderttausende spätere Montagsdemonstranten in der DDR werden konnten, hat viel mit Roland Jahn und seinen Mitstreitern zu tun, die sich über Jahre bemühen, sie vor die Kameras der West-Medien zu bringen."
Der Autor zeigt sich als guter Kenner der DDR-Geschichte, besonders der DDR-Opposition der 70er- und 80er-Jahre. Er beschreibt noch einmal die Emanzipation der Bürgerrechtler vom Schutzraum Evangelischer Kirche, die Überwindung der Angst. Beklemmend ist wieder einmal zu sehen, mit welcher Mischung aus Ignoranz und Naivität viele West-Politiker aller Couleur die DDR, die SED und ihre Opposition behandelten. Etwas wirklich Neues jedoch erzählt Gerald Praschl, der Chefreporter bei dem ostigen Boulevardblatt "Super-Illu" ist, nicht. Meist bleibt er bei der Aufzählung von Fakten; eine Metaebene, eine Analyse bietet er kaum. Mitunter mäandert seine Erzählung, dann breitet er Parallelbiografien aus, referiert am Rand liegende Details, so dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass hier Seiten gefüllt werden sollten. Lieber hätte man mehr Persönliches über Roland Jahn erfahren. Der aber bleibt immer auf förmlicher Distanz. Ein paar kleine sachliche Fehler hätten ebenfalls nicht sein müssen. Wirklich ärgerlich allerdings ist Praschls Sprache: Konsequent nutzt er durchweg das historische Präsens. Für Reportagen funktioniert es als spannungssteigerndes Stilmittel, in einer Biografie wirkt es bald ermüdend und penetrant, wenn alle zeitlichen Bezüge niedergewalzt werden. Sprachlich haut Praschl mitunter daneben, etwa wenn er Manfred Krug zum "Sinatra der DDR" erklärt, einen Fernsehfilm zum "Blockbuster" macht oder die Methoden der DDR-Staatssicherheit in den späten 80er-Jahren als "stalinistisch" bezeichnet. Dies heißt, den mörderischen Stalinismus zu verharmlosen und die perfiden Methoden der späten Stasi zu unterschätzen.
Treu, bewundernd, aber eher buchhalterisch und uninspiriert trabt der Autor den Lebensweg des neuen Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen ab. Auch er macht sich gemein mit seinem Gegenstand. Der Autor räumt am Ende ein, dass er nur auf bereits veröffentlichtes Material über Jahn und ergänzende Interviews mit Zeitzeugen zurückgegriffen hat. Solcherart Eklektizismus ist für die Biografie eines Zeitgenossen zu mager. Das sind wir gerade vom Christoph Links Verlag nicht gewohnt.
Gerald Praschl: "Roland Jahn. Ein Rebell als Behördenchef"
Ch. Links Verlag, 229 Seiten, Euro 19,90
ISBN 978-3-861-53641-3
Das war 1983. Inzwischen ist Roland Jahn auf dem gesamtdeutschen Planeten gelandet. Er ist erfindungsreich, starrköpfig und intelligent. Roland Jahn ist einer, den man nicht zum Gegner haben möchte. Die DDR jedoch hat ihn sich zum Gegner gemacht. 1953 in Jena geboren, blieb Jahn lange ein halbwegs angepasster Jugendlicher, der Freiheiten suchte, aber doch wie fast alle die DDR-typische Doppelzüngigkeit übte. Er wollte Abitur machen, er wollte studieren. Also leistete er seinen Wehrdienst bei der Bereitschaftspolizei, also schwieg er, als ein Freund aus politischen Gründen von der Jenaer Universität verwiesen wurde. 1976 war es aber auch mit Roland Jahns Schweigen vorbei. Er protestierte gegen die Biermann-Ausbürgerung und musste folglich ebenfalls die Universität verlassen. Diese persönliche Erfahrung, aber auch die aufmüpfige Jenaer Oppositionsszene führten Roland Jahn immer konsequenter in den Widerstand gegen den DDR-Sozialismus. Legendär sind noch immer die polnische Solidarność-Fahne an seinem Fahrrad, sein Auftritt mit Hitler-Bärtchen und Stalin-Schnauzer zum 1. Mai, das weiße Plakat bei einer Mai-Demonstration.
"Ich habe immer Aktionen gemacht, die strafrechtlich nicht so einfach zu fassen sind. Wenn ich am 1. Mai mit einem weißen Plakat demonstriere, dann kann man mich nicht so schnell einsperren. Da hat man es schwer, mir zu unterstellen, ich würde gegen den Staat auftreten. Aber die Menschen, die es gesehen haben, die haben alle begriffen, was es bedeutet: nämlich, dass ich protestiere gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit."
Trotz mehrfacher Verhaftungen und Verhöre durch die Stasi engagierte sich Roland Jahn weiter in der Jenaer Friedensbewegung. Schließlich wurde er 1983 zu knapp zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Internationale Proteste ließen ihn vorzeitig freikommen, aber SED und Stasi hatten genug von dem renitenten 29-Jährigen. Sie sperrten ihn in einen Zug gen Westen und verriegelten das Abteil. Abgeschoben. Jahn machte in Westberlin einfach weiter, unterstütze die Ost-Opposition mit Druckerfarbe, Videokameras und Aufmerksamkeit im Westen. Vor allem im Fernsehen sah er die Möglichkeit, Protest in der DDR publik zu machen – in Ost und West. Für das ARD-Politmagazin "Kontraste" organisierte Jahn Themen, Bilder und Gesprächspartner aus der dahinsiechenden DDR, so etwa mit dem Bürgerrechtler Wolfgang Templin 1987:
"Eine Woche nach den Demonstrationen am Brandenburger Tor werden die Ereignisse in der ganzen DDR heftig diskutiert. Ein Kommentar aus der unabhängigen Friedensbewegung – telefonisch aus Ostberlin:"
"Ein massives Aufgebot an Polizei und Sicherheitskräften und ihr brutales Vorgehen schüchterten diesmal nicht so sehr ein, sondern beförderten schnell eine Politisierung."
Roland Jahn hat stärker als andere DDR-Oppositionelle die Öffentlichkeit gesucht, er hatte weniger Berührungsängste mit West-Journalisten und –Politikern, wenn sie denn seiner Sache dienten. Auch die legendären Bilder von der Leipziger Montagsdemonstration vom Oktober 1989 hätte es ohne Jahn nicht gegeben. Viele Verhaftete wären ohne ihn nicht so schnell wieder freigekommen. Völlig zu Recht urteilt der Autor:
"... dass Bürgerrechtler wie Bärbel Bohley oder der Liedermacher Stephan Krawczyk überhaupt zu Symbolfiguren der friedlichen Revolution und auch zu einem Ansporn für Zivilcourage für Hunderttausende spätere Montagsdemonstranten in der DDR werden konnten, hat viel mit Roland Jahn und seinen Mitstreitern zu tun, die sich über Jahre bemühen, sie vor die Kameras der West-Medien zu bringen."
Der Autor zeigt sich als guter Kenner der DDR-Geschichte, besonders der DDR-Opposition der 70er- und 80er-Jahre. Er beschreibt noch einmal die Emanzipation der Bürgerrechtler vom Schutzraum Evangelischer Kirche, die Überwindung der Angst. Beklemmend ist wieder einmal zu sehen, mit welcher Mischung aus Ignoranz und Naivität viele West-Politiker aller Couleur die DDR, die SED und ihre Opposition behandelten. Etwas wirklich Neues jedoch erzählt Gerald Praschl, der Chefreporter bei dem ostigen Boulevardblatt "Super-Illu" ist, nicht. Meist bleibt er bei der Aufzählung von Fakten; eine Metaebene, eine Analyse bietet er kaum. Mitunter mäandert seine Erzählung, dann breitet er Parallelbiografien aus, referiert am Rand liegende Details, so dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass hier Seiten gefüllt werden sollten. Lieber hätte man mehr Persönliches über Roland Jahn erfahren. Der aber bleibt immer auf förmlicher Distanz. Ein paar kleine sachliche Fehler hätten ebenfalls nicht sein müssen. Wirklich ärgerlich allerdings ist Praschls Sprache: Konsequent nutzt er durchweg das historische Präsens. Für Reportagen funktioniert es als spannungssteigerndes Stilmittel, in einer Biografie wirkt es bald ermüdend und penetrant, wenn alle zeitlichen Bezüge niedergewalzt werden. Sprachlich haut Praschl mitunter daneben, etwa wenn er Manfred Krug zum "Sinatra der DDR" erklärt, einen Fernsehfilm zum "Blockbuster" macht oder die Methoden der DDR-Staatssicherheit in den späten 80er-Jahren als "stalinistisch" bezeichnet. Dies heißt, den mörderischen Stalinismus zu verharmlosen und die perfiden Methoden der späten Stasi zu unterschätzen.
Treu, bewundernd, aber eher buchhalterisch und uninspiriert trabt der Autor den Lebensweg des neuen Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen ab. Auch er macht sich gemein mit seinem Gegenstand. Der Autor räumt am Ende ein, dass er nur auf bereits veröffentlichtes Material über Jahn und ergänzende Interviews mit Zeitzeugen zurückgegriffen hat. Solcherart Eklektizismus ist für die Biografie eines Zeitgenossen zu mager. Das sind wir gerade vom Christoph Links Verlag nicht gewohnt.
Gerald Praschl: "Roland Jahn. Ein Rebell als Behördenchef"
Ch. Links Verlag, 229 Seiten, Euro 19,90
ISBN 978-3-861-53641-3