Die offizielle Tagesordnung ist abgearbeitet, da wird es noch einmal hitzig beim Stammtisch des SPD-Ortsvereins Dortmund-Berghofen.
"Den Konflikt zwischen Tuchel und..."
"… und Watzmann."
"Watzke."
"Schwatzke."
"Schwatzke heißt der im Volksmund übrigens."
"Ja, ohne ihn gäbe es den BVB schon nicht mehr."
Der Rauswurf von Trainer Thomas Tuchel bei Borussia Dortmund, dessen Konflikt mit Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, er spaltet die Lager, noch immer – und polarisiert. Denn, hier in der Gaststätte Haus Heimsoth ist man Schwarz-Gelb. Beim Fußball. Das BVB-Emblem ziert die Mütze von Friedhelm Aschöwer, 77 Jahre alt, seit 41 Jahren Genosse. Auf die gleichen Zahlen kommt seine Frau Christine, beide sind regelmäßig beim Stammtisch, der auch an diesem Abend, knapp drei Wochen nach der verlorenen Landtagswahl NRW und drei Wochen vor dem SPD-Bundesparteitag in eben Dortmund zusammengekommen ist.
Fast alle sind schon seit Ewigkeiten in der SPD
"So, wir haben 19 Uhr. Herzlich Willkommen zum Stammtisch, einige Stammtisch-Gäste sind im Urlaub vor Pfingsten…."
Ewald Schumacher, 68 Jahre, davon 50 in der SPD, ein pensionierter Richter, mit grauem, kurzen Vollbart, Brille und einem weißen Hemd, ist der Vorsitzende des Ortsverbands. Mit seiner ruhigen Art wird er in die nächsten zwei Stunden den Stammtisch leiten.
"Vor einem Monat hatten wir den letzten Stammtisch, kommt ungefähr auf den Tag genau hin. Da war ja schon die Situation, dass es von den Umfragen her relativ eng war, aber das eine, sagen wir mal, schwarz-gelbe Mehrheit zustande kommt, das war wohl nicht in unserer Kalkulation drin."
Kopfnicken am Tisch. Früher gab es hier, in der sogenannten Herzkammer der Sozialdemokratie, einmal 250 Mitglieder im Ortsverein, 150 sind es immer noch, von denen neun an diesem Abend gekommen sind. Draußen, an der Tür, werben Plakate für die Gedächtnis-Turniertage zum 105. Jubiläum des SV Berghofen oder zum 150. Geburtstag des Volkschor Dortmund. Und auch drinnen, Holzvertäfelung, Vorhänge mit Blumenmuster, an einem langen Tisch mit weißer Decke, zählen eher Jahrzehnte. Fast alle sind sie schon seit Ewigkeiten in der SPD, Bernd Schmidt beispielsweise, 76 Jahre alt, 51 Jahre Mitglied oder auch Christine und Helmut Beer, 73 Jahre, 27 davon in der SPD. Vor Kopf sitzt der Vorsitzende Schumacher:
"Vielleicht strukturiert das ein wenig die Diskussion. Wir hätten einmal das Ergebnis der Landtagswahl, welche Gründe dafür maßgebend sind..."
Im Wahlkampf gravierende Fehler gemacht
Dazu die Konsequenzen daraus, die Entwicklungen auf der Bundesebene…
"…und wir haben den Punkt, dass der sogenannte, oder unser Schulz-Zug etwas entgleist ist und die Frage ist, wie kommt der wieder aufs Gleis?"
Eine volle Agenda also, doch bevor es losgeht, kommt die Kellnerin:
"Ein Jevels bitte."
"Ich hätte gerne ein Alkoholfreies."
Auf der anderen Seite wird nur genickt: ein Pils, heißt das. Dann, geht es los: Aufarbeitung der Niederlage in NRW:
"Als dann er nicht mehr auftauchte, im Grunde genommen während des heißen Wahlkampfes, wurde es schon schwierig. Da habe ich gemerkt, da wurde eben diese, wie ich finde, gravierende Fehler gemacht, von Hannelore, dass sie alleine nur auf Landeswahlkampf abgestimmt hat, was wir damals nicht gewusst haben. Sondern wir haben uns nur gewundert."
"Wo ist er geblieben?"
"Wo ist er geblieben? Plötzlich."
Da fehlte eine ganz klare Richtung
Er ist Martin Schulz und war nicht sichtbar – trotz über 30 Auftritten im NRW-Wahlkampf. Ein Fehler, ist sich die Runde einig. Außerdem hätte die SPD es nicht geschafft, klar zu machen, wofür sie stehe: Bei der Inklusion, bei der Frage nach G8 oder G9:
"Das ist doch hinrissig. Das ist hinrissig. Da fehlte eine ganz klare Richtung, Aussage, was wird die SPD, wenn sie die Wahl gewinnt anders machen."
Und, da war noch Innenminister Ralf Jäger:
"Ich denke, persönlich, es war ein Fehler von Hannelore Kraft, so lange daran festzuhalten, hätte schon längst zurücktreten müssen. Das hat bestimmt auch noch einige Prozentpunkte gekostet."
Ehrlichkeit, das schätzt man im Ruhrgebiet. Hier wird nichts ausgespart – auch die eigene Leistung nicht:
"Ich glaub, das müssen wir auch noch mal genauer überlegen."
"Was wirkt unser Tun? Was hat das für eine Wirkung?"
"Wir sind mit dem Handwagen durch einige Ortsteile gefahren, haben uns gezeigt, aber haben keine Hausbesuch gemacht."
Trotz und Galgenhumor
"Ne."
"Das ist ja auch eine gewisse Scheu."
"Das macht man nicht gerne."
Doch bei aller Selbstkritik, gibt es auch Medienschelte, Trotz – und ein wenig Galgenhumor. Die künftige schwarz-gelbe Landesregierung in NRW könne sehen, wo sie bleibe. Regieren, da sind sich alle einig, ist schwerer als Wahlkampfversprechen:
"…mit einer Stimme Mehrheit."
"Da sollen sie mal sehen, wie sie klarkommen."
"Und wir werden es erleben: Innerhalb von kürzester Zeit haben wir keinen Stau mehr, die Schulen laufen gut."
"Die Brücken sind alle in Ordnung."
Klare Meinung beim Thema Studiengebühren
Bei allem Zynismus wird schnell klar. Jetzt sind die anderen dran – mit allen Konsequenzen:
"Das zum Beispiel Studiengebühren wieder eingeführt werden."
"Ja, das meine ich doch."
"Das kann es ja wohl nicht sein."
"Dann hätten meine Kinder nicht studieren können."
"Das ist jetzt die Verantwortung der neuen Regierung und da müssen wir deutlich machen."
"Das Kind ist im neunten Semester, das muss fertig werden. Ohne Gebühren."
"Fragen Sie mal rum, wer noch was trinken möchte."
Ein Pils - Zeit für ein Zwischenfazit
Wieder ein Nicken. Pils, bitte. Die Bestandsaufnahme ist rum, Zeit für ein Zwischenfazit:
"Vielleicht ist es alles zu festgefahren, weil Nordrhein-Westfalen sich auf diesen Stimmen doch ziemlich ausgeruht hat. Es war immer eine Hochburg der SPD."
"Nicht immer, aber meistens."
Nachdenken.
"Wir dürfen uns nicht zu sicher fühlen."
"Ja, das ist Problem."
"Solange wir uns so sicher fühlen…"
"… werden wir immer mehr verlieren."
"Ja."
"So ist es."
"Sondern immer aus der Unsicherheit heraus: Wir müssen kämpfen."
"Wir müssen die Leute motivieren zur Wahl zu gehen"
Das klingt nach Klassenkampf, nach der alten SPD. Ende des Monats trifft sich die Partei hier in Dortmund, zum Programmparteitag, dann geht es auf die Bundestagswahl zu. Mit Martin Schulz. Und mit dem Thema soziale Gerechtigkeit?
"Und dann wurde ich mal hier auf dem Nebenplatz gefragt: Was will die SPD eigentlich anders machen? Und dann hatte ich gedacht, ich spreche mal das Thema soziale Gerechtigkeit an. Da wurde ich von dem Mann ausgelacht. Mit dem Thema kommt ihr noch? Das ist doch abgefrühstückt. Das will keiner mehr hören, dieses Thema."
"Das ist doch Unsinn."
"Ich weiß, das war jetzt eine Einzelmeinung, aber…"
"Unsinnig."
Das lässt man sich hier nicht nehmen: Soziale Gerechtigkeit muss sein. Dafür stehe die SPD, dafür stehe auch Schulz:
"Er hat von Anfang an genau auf diese Linie gesetzt. Und das fand ich erst mal gut. Aber wir müssen die Leute motivieren zur Wahl zu gehen. Und wenn wir das nicht schaffen, dann haben wir wahrscheinlich wieder keine Chance."
"Jetzt nicht in Nostalgie schwelgen"
Optimismus klingt zwar anders, doch die Laune will man sich nicht verderben lassen, in der Gaststätte Heimsoeth. Dafür habe man in all den Jahrzehnten zu viel erlebt:
"Dann sind wir ins Wahllokal gegangen und haben vorher noch Flyer verteilt."
"Aber wir wollen jetzt nicht in Nostalgie schwelgen."
"Das gehört dazu."
"Das ist das Vorrecht der Alten."
"Das wir Erinnerungen haben. Oma, was soll ich wählen?"
"Ja, wie meine Tochter mal gesagt hat: Was soll ich denn anderes wählen? Seitdem ich denken kann, werde ich indoktriniert…"
Und zumindest das, funktioniert noch.