Archiv

Stimmung in London
"Es herrscht ein heilloses Durcheinander"

Theresa May will eine Verlängerung der Frist für den EU-Austritt beantragen. Boris Johnson, ein möglicher Nachfolger Mays, wirbt weiter für den "No deal". Viele Briten haben die Nase voll vom Hin und Her im Unterhaus.

Von Friedbert Meurer |
Eine Frau in einem roten Mantel geht in London an einer Absperrung vorbei, an der eine britische und eine EU-Flagge hängen.
Das große Hamstern bleibt offenbar noch aus, berichtet Friedbert Meurer aus London. (picture alliance / Stephen Chung)
2.000 Menschen sind gekommen, um Boris Johnson zu sehen, den vielleicht nächsten Premierminister. Johnson ist jedenfalls einer der Favoriten für das Amt, auch deswegen ist die prächtige Central Hall in Westminster mit ihrer gewaltigen Kuppel bis auf den letzten Platz ausverkauft. Johnson lässt sich kurz feiern und schmettert dann vor leuchtend gelbem Hintergrund seine Botschaft: Fürchtet euch nicht vor "No deal", vor einem harten Brexit.
"Hört nicht auf die Schwarzseher und Angstmacher: Wir werden weiter Mars-Schokoriegel in diesem Land kaufen können. Und frisches Wasser. Flugzeuge fliegen, Computer laufen und die Sonne geht jeden Morgen weiter auf."
Countdown zum Brexit
Mehr Beiträge zum Brexit finden Sie in unserem Portal "Countdown zum Brexit" (AFP / Tolga Akmen)
Johnson gibt sich furchtlos, aber er ist ein wenig in der Defensive. Er deutete am Dienstag (02.04.2019) erstmals an, dass er auf den Kurs Theresa Mays einschwenkt, um Schlimmeres zu verhüten. Das Brexit-freundliche Publikum ist damit nicht einverstanden, "Defätist" ruft einer. Ich höre mich im Publikum um. "Boris Johnson ist ein Künstler und guter Redner. Aber er ändert seine Meinung ziemlich oft."
Nase voll von dem, was im Unterhaus abläuft
Der Moderator der Zeitung "Telegraph" lässt am Ende abstimmen. 90 Prozent der Zuschauer sind gegen Mays Vertrag und wollen also, dass Boris Johnson nicht nachgibt. Vielleicht denkt Johnson jetzt: Wie werde ich die Geister los, die ich einst rief? Das Publikum hat jedenfalls die Nase voll von dem, was im Unterhaus abläuft.
"Es herrscht ein heilloses Durcheinander. Ich schäme mich zurzeit dafür, eine Britin zu sein. Es ist peinlich, was sie tun. Dieses Herumzappeln, mal so und mal so, das geht doch nicht."
Ein weißes Lieferfahrzeug hält vor unserem Haus. Wir bestellen Lebensmittel gerne online und lassen liefern. Das machen hier in London viele. David schleppt die roten Kisten ins Haus, mit Wasser, zwei Sixpack Ale und Obst und Gemüse. Seit Wochen gibt es hin und wieder berichte in den Zeitungen, die Briten würden Vorräte hamstern. Nudeln, alles was haltbar ist, Toilettenpapier. Denn am 12. April könnten ja nicht nur Mars-Riegel knapp werden.
"Ich würde sagen, ich habe davon noch nichts bemerkt. Also, ich hab da einfach noch nichts gesehen." 19 Touren muss David heute fahren. In unsere Küche reden wir kurz über den Brexit selbst. David hat da eine klare Meinung.
"Ich hoffe, dass der Brexit eine Bauchlandung hinlegt und nicht kommt. Er ist nicht eine der hellsten Ideen, auf die dieses Land jemals gekommen ist."
Also, das große Hamstern bleibt offenbar noch aus. Viele unserer Nachbarn schütteln nur noch den Kopf über die Politiker. Sie selbst folgen eher dem Motto "Keep calm and carry on". Ruhig bleiben und weitermachen. Wir Deutschen würden vielleicht weniger cool reagieren, denke ich.
Eine Grundschule in Acton, einem Stadtteil im Londoner Westen. Überall am Zaun wehen kleine britische Fähnchen, denn es kommt heute hoher Besuch. Die Schulkinder stehen parat, die Eltern sind aufgeregt.
Harrys bevorstehende Vaterschaft und der Brexit
Prinz Harry steigt aus einem dunkelblauen Range Rover. Keine Krawatte, Jeans – Harry ist der Sonnyboy der Royals und in der Beliebtheit bei den Britinnen und Briten steht er ganz weit oben. Prinz Harry kommt, weil eine Stiftung heute Bäume auf dem Schulhof pflanzt. Cathy Gallens Tochter wird gleich im Chor mitsingen für Prinz Harry.
"Das ist aufregend, wunderbar. Ihr Vater ging auch schon hier zur Schule. Wir sind alle stolz."
Neben Cathy steht ihre Mutter Theresa Gallen. Ich frage sie, ob jetzt, wo das Land doch so gespalten ist, die Royals vielleicht mehr denn je gefragt sind.
"Ich glaube, dass solche Besuche wie heute helfen, dass wir wieder zusammenkommen. Das ist wirklich dringend nötig in dieser besonderen Zeit."
In den nächsten Wochen wird Prinz Harry erstmals Vater werden. Im Fernsehen haben sie schon darüber gewitzelt, was wohl der Aufmacher abends in den Nachrichten wäre, wenn der Brexit und die Geburt des Babys auf ein und denselben Tag fallen. Die Meisten tippten: vermutlich das Baby.
"Wir lieben Meghan. Es ist absolut wunderbar, dass sie jetzt das royale Baby bekommen. Alle werden auf Meghan und Harry schauen, auf die königliche Familie und auf das neugeborene Baby. Gott schütze sie."