Dafür, dass am Wochenende eigentlich wenig passiert ist, ist sehr viel passiert in Stockholm. Ein leicht verletzter Zivilfahnder, fünf vorübergehende Festnahmen, aber rund um den zentralen Bahnhof in der Stadt Szenen, die es so noch nicht gegeben hat und die viele Schweden bisher für schier undenkbar gehalten haben.
Regelrechte Jagdszenen in der Nacht zum Samstag. Um die 100 schwarz vermummte Männer treiben Flüchtlinge vor sich her, meist junge Nordafrikaner. Sie schreien sie an, schwingen die Fäuste, drohen mit Prügel als, wie auf Flugblättern und später im Netz zu lesen ist, "verdiente Strafe" für angebliche Diebstähle oder sexuelle Belästigungen schwedischer Frauen. Die Polizei taucht auf und macht dem Ganzen ein Ende. Am Samstag selbst sind dann mehrere Hundert Menschen auf der Straße und demonstrieren – gewaltfrei – gegen die vermeintlich kriminellen Flüchtlinge. "Wer macht so etwas", fragen sich jetzt viele schockierte Schweden? Christer Birgersson ist Einsatzleiter der Stockholmer Polizei: "Es gibt Verbindungen zu Fußball-Fanclubs. Wir werden das im Laufe der Woche untersuchen. Es können verschiedene Individuen gewesen sein oder aber Mitglieder dieser Fanclubs, das steht noch nicht ganz fest. Wir können zurzeit noch keinen genauen Club benennen oder genauere Informationen geben."
Auch viele Schweden selbst sind besorgt
Hooligans also, keine Neonazis? Die Polizei hält sich da zurück, Medienberichten zufolge waren aber sehr wohl auch Rechtsradikale an der nächtlichen Randale beteiligt. Eine bekannte Allianz mit bisher allerdings unbekannter Gewaltbereitschaft und brutaler Feindseligkeit Ausländern gegenüber. Der Mord an einer Helferin in einem Flüchtlingsheim bei Göteborg gilt als einer der wahrscheinlichen Auslöser dieser Jagd auf junge Nordafrikaner. Ein 15-Jähriger hatte die Frau in der vergangenen Woche unter bisher ungeklärten Umständen erstochen. Seither fühlen sich Flüchtlinge überall im Land bedroht. "Ich bin vor dem Krieg geflohen in der Hoffnung auf ein friedlicheres Leben. Wenn Schweden jetzt auch so gewalttätig wird, was unterscheidet es dann noch von der Dritten Welt? Natürlich bin ich besorgt. Ganz Europa wird unsicherer!"
Besorgt sind aber auch viele Schweden selbst. Und einige zeigen das ganz öffentlich, stellen sich der neuen Fremdenfeindlichkeit entgegen, so wie Em Forslund. Sie hatte noch am Samstag eine Gegendemo in Stockholm organisiert. "Ich mache das hier, weil ich gesehen habe, was passiert ist. Das macht mich wütend. Wir dürfen da nicht schweigend zusehen. Und ich dachte, wenn ich jetzt nichts mache, wer denn dann? Ich möchte zeigen, dass wir zusammenhalten, dass wir das nicht akzeptieren. Dass wir vereint sind gegen Rassismus."
Das Klima wird rauer
Das bisher so positive Bild Schwedens in der Welt hat Risse bekommen. Seit Jahresbeginn gibt es Grenzkontrollen, erst Ende vergangener Woche hat Innenminister Anders Ygeman markig angekündigt, Zehntausende abgelehnte Asylbewerber abzuschieben. Das Klima wird rauer. Und während vor allem die Sozialdemokraten in der rot-grünen Minderheitsregierung unter dem Druck auch der offen fremdenfeindlichen "Schwedendemokraten" die neue Richtung vorgeben und eine für Schweden bisher ungekannte Härte zeigen, sind vor allem die Jugendämter und in der Verlängerung alle, die sich um die vielen Flüchtlinge im Land kümmern, damit beschäftigt, den Schaden zu begrenzen.
Åsa Lindhagen ist eine grüne Sozialpolitikerin in Stockholm. Während Innenminister Ygeman, der Sozialdemokrat, lieber die Polizei für den seiner Meinung nach souveränen Auftritt gegen die schwarz vermummten Ausländerhetzer lobt, verweist sie auf das, was die Stadt jetzt tut, um weitere Krawalle dieser Art zu vermeiden. Ein wenig resigniert klingt es schon: "Die Sozialbehörde setzt jetzt verstärkt auf Jugendarbeit. Besonders mit Jugendlichen, die selbst Gewalt erfahren haben. In den Unterkünften, in denen diese allein angekommenen Flüchtlingskinder wohnen, gibt es extra Aktivitäten am Abend. Damit sie nicht mehr in die Stadt fahren. Für sie ist es im Moment einfach sicherer, in der Unterkunft zu bleiben. "