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Stöbern in nicht realisierten Kunstprojekten

Künstler rackern und schuften, um Galeristen, Kuratoren, Kunstexperten von ihren Arbeiten zu überzeugen. Doch das gelingt nicht immer. Das Archiv der nicht realisierten Kunstprojekte zeigt nun diese Werke in der Berliner daad-Galerie.

Von Christoph Richter | 10.09.2012
    Das Schweizer Künstlerduo Fischli und Weiss wollte in den 1980er-Jahren eine Eislandschaft in einem Saarbrücker Heizkraftwerk installieren. Der in Kalifornien lebende John Baldessari schlägt vor, eine Leiche auszustellen, die sich die Besucher durch ein Guckloch anschauen können. Der italienische Konzeptkünstler Alighiero Boetti hatte 1970 die Idee einer 20 Meter hohen Säule, auf der ein Apfelbäumchen wachsen sollte. Kunstprojekte die allesamt nicht realisiert wurden.

    "Wir sollten das nicht als Utopien bezeichnen, weil, damit hat man es in eine Ecke abgestempelt, wo man sagt, das ist eh nicht zu realisieren. Nein, ganz im Gegenteil: Das sind konkrete Utopien, sie sind möglich, wenn man will."

    Der Schweizer Kurator Hans Ulbricht Obrist ist Gründer der "Agency Of Unrealized Projects". Seit Anfang der 1990er-Jahre recherchiert und spürt er detektivisch Kunstprojekten nach, die zensiert, vergessen oder abgelehnt wurden. Ein Thema, über das man unter Künstlern wenig spricht.

    "Es werden ja Künstler eingeladen, immer wieder dasselbe zu machen. Sie werden eingeladen Museumsausstellungen zu machen, Galerieausstellungen zu machen, Kunst am Bau, Biennalen, documentas. Das sind so die Möglichkeiten. Aber es gibt andere Dinge, die die Künstler machen möchten. In diesem Sinne wäre es ja ein guter Auftrag, wenn man so will, für einen Kurator sich mal dieser Projekte anzunehmen, die oftmals zwischen die Stühle fallen."

    Erstmalig ist das Archiv der nicht realisierten Projekte – das mittlerweile rund 2400 Arbeiten umfasst - jetzt in Deutschland zu Gast, in der Berliner daadgalerie. Die Arbeiten, die nur in Blaupausen zu sehen sind, geben einen – wenn auch nur kleinen - Einblick in die Träume und Sehnsüchte, die die Künstler begraben mussten. Über die Hintergründe der Ablehnung erfährt man bedauerlicherweise so gut wie gar nichts.

    "Es geht auch darum, dass man diese Projekte realisieren kann. Viele der Projekte sind absolut umsetzbar. Und dadurch, dass wir die Aufmerksamkeit auf sie lenken, wird es auch möglich sie zu realisieren."

    Die Berliner daadgalerie hat aus dem üblichen neonerleuchteten White Cube ein Ideenlabor gemacht. Wie in einer Bibliothek können die Besucher in den Dokumentationen stöbern, Ideen erforschen. Erzählt Ariane Beyn, die Leiterin der Galerie.

    "Man tritt an einen Tisch und muss sich dann mit einer Dame oder Herren auseinandersetzen. Und bestimmte Projekte anfragen, die man in Büchern findet. Sortiert nach Namen und Kategorien. Und dann kann man in einem Leseraum die Projekte einsehen. Das heißt, es ist so eine Art Präsenzbibliothek unrealisierter Künstlerprojekte."

    Wobei es passieren kann, dass man bei dem einen oder anderen Werk die Hände über den Kopf zusammenschlägt, weil manches zu absurd, schlicht albern ist. So wollte das britische Künstlerpaar Gilbert und George 1969 zwei Wochen lang in einer Weihnachtskrippe verharren. Aber auch das komplette Gegenteil ist möglich. Und man kommt ins Staunen: über das visionäre Potenzial einiger Kunstwerke. Beispielsweise das nicht-realisierte Projekt des mexikanischen Künstlers Abraham Cruzvillegas, der 2011 auf einer Berliner Straße eine künstliche Wolke platzieren wollte.

    "Die Öffentlichkeit hat hier eigentlich die Möglichkeit mal etwas tiefer in künstlerische Prozesse und Fragestellungen einzusteigen. Vielleicht auch in ganz alberne Ideen, die noch nicht wirklich durchdacht sind. Die vielleicht am Anfangsstadium sind, die aber aus einem ganz bestimmten Grund trotzdem interessant sind. Gerade weil sie noch nicht perfekt durchdacht sind."

    Letztlich ist die Ausstellung "Agency of Unrealized Projects" eine Konsultationsstelle für Ausstellungsmacher und Kuratoren. Wie in einer Goldmine lagern hier Stoffe und Materialien, für so manch kommendes Ausstellungsprojekt. Künstler Hübi Jäger – einer der Besucher der Ausstellung – kennt das alles gut. Hat selbst Dutzende Kartons verworfener Ideen im Keller. Macht nichts, sagt er. Und grinst.

    "Kunst ist wie im Leben, nicht alles klappt."