Störche klappern im Sommer auf ihren angestammten Nestern in Europa. Wo genau sie hingegen den Winter verbringen, darüber ist bisher nur wenig bekannt. In den Lehrbüchern wird Afrika südlich der Sahara als Winterquartier der Störche genannt. Doch von dieser vereinfachten Vorstellung gilt es wohl Abschied zu nehmen.
"Für mich am überraschendsten ist, wie viel Variabilität es zwischen den Störchen gibt. Für uns ist der Storch immer der, der bis nach Afrika zieht. Am meisten denken wir an die Ostroute über die Türkei, über Ägypten bis nach Südafrika. Aber es ist tatsächlich nicht so, dass alle das machen. Dass es Störche gibt, die gar nicht ziehen, dass wir Störche haben, die nur über die Sahara fliegen, beziehungsweise im Norden von Marokko stehen bleiben."
Manche Störche ziehen gar nicht mehr
Andrea Flack ist Verhaltensbiologin am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell. Gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam hat sie die Zugrouten von 70 Weißstörchen aus dem gesamten Verbreitungsgebiet analysiert – unter anderem Tiere aus Usbekistan im Osten, aus Polen und Deutschland in der Mitte bis nach Spanien im Westen. Dafür wurden Jungvögel noch vor ihrem ersten Vogelzug mit speziellen GPS-Sendern ausgestattet. Die Geräte enthielten auch einen Beschleunigungssensor. Aus dessen Messdaten lässt sich ableiten, wann die Vögel auf ihrer Route mit den Flügeln schlagen müssen.
"Das gibt uns ja schon Informationen darüber, wie kostenintensiv der Flug war, weil wir ja zum Beispiel sagen können, je öfter der Vogel mit den Flügeln schlägt, desto mehr muss er sich anstrengen."
Störche schlagen eher wenig mit den Flügeln. Sie steigen in thermischen Aufwinden auf und gleiten dann weite Strecken. Besonders gut funktioniert diese Taktik den Messdaten nach über Afrika. Dort sind die Aufwinde konstanter und reichen höher hinauf. Allerdings zeigen die GPS-Positionsdaten auch: Viele Störche ersparen sich die weiten Wege. Die beobachteten Störche aus Süddeutschland beispielsweise verbrachten den Winter in Spanien und Marokko auf Müllhalden. Störche in Usbekistan zogen gleich gar nicht mehr fort. Sie nutzten offenbar örtliche Fischzuchtanlagen als Nahrungsquelle.
"Es sieht ganz danach aus, als wenn es immer irgendetwas ist, das von Menschen zur Verfügung gestellt wird, bewusst oder unbewusst, wovon die Störche sich dann ernähren und was dann irgendwie einen Einfluss auf das Zugverhalten hat."
Können Zugvögel ihre Routen verlernen
Aus dieser Erkenntnis ergeben sich viele neue Fragen. Etwa: Welche ökologischen Folgen hat es in Afrika, wenn im Winter weniger Störche kommen?
"Zum Beispiel helfen sie auch bei der Heuschreckenbekämpfung von Heuschreckenschwärmen. Es kann schon einen Effekt haben, wenn die Störche plötzlich nicht mehr bis nach Afrika ziehen."
Eine andere Frage ist, wie dauerhaft die Störche ihr Zugverhalten ändern. Wenn mehr Tiere spanische Müllhalden als Überwinterungsquartier wählen, könnten die Störche ihre weiteren Zugrouten in Zukunft vielleicht verlernen? Noch mangelt es Andrea Flack an Daten, um das beantworten zu können.
"Wir wissen leider noch nicht so genau, wie viel der Zug von einer genetischen Komponente und wie viel von kulturellen Komponenten übermittelt wird. Wir können hoffen, dass wenn in Spanien die Müllhalden mal geschlossen werden, dass sie immer noch in der Lage sind, einfach weiter zu ziehen."
Einen akuten Grund, sich wegen des geänderten Zugverhaltens der Störche Sorgen zu machen, sieht Andrea Flack nicht. Im Gegenteil: Das nahe Überwintern kostet die Störche weniger Energie und könnte dem Erhalt der Populationen sogar zugutekommen.