Das alte Fabrikgelände in Hamburg-Eidelstedt übte eine magische Anziehungskraft auf Kinder und Jugendliche aus der Nachbarschaft aus. Immer wieder kletterten sie durch den löchrigen Zaun und finden in den verfallenden Gebäuden Dosen, Fässer und Kisten voller aufregender Dinge, mit denen man zündeln konnte. Eines Tages nahmen drei Jungen ein paar der Sachen mit nach Hause und experimentieren im Keller ihres Elternhauses damit. Da geschah die Katastrophe. Der Augenzeuge Bernd Ackermann wohnte nur wenige Straßen entfernt und erinnert sich an diesen Tag.
"Ja, so ein Knall, lauten Knall. Zwei, drei Mal. Dann war erstmal Ruhe. Dann kam Feuerwehr, Peterwagen, die Sirenen gingen hier. Und dann bin ich mal rausgegangen und habe mal geguckt. Die lagen vorne vorm Haus auf dem Fußweg, alle drei nebeneinander, und sahen ziemlich verschmiert und abgebrannt aus. Die Haare, die waren zum Teil nur noch eine kleine Krause nur noch da. Und es war ziemlich blutig. Bin dann hier auch weggegangen."
Hoch gefährliche Substanzen lagen ungeschützt auf dem Gelände
Zwei der Kinder überlebten schwer verletzt. Das dritte, ein achtjähriger Junge, stirbt an diesem 6. September 1979. Zerfetzt durch eine Explosion, die nie hätte stattfinden dürfen. Als die Polizei und Feuerwehr das Gelände der Chemischen Fabrik Dr. Hugo Stoltzenberg untersuchen, trauen sie ihren Augen nicht: Mörsergranaten und Nebelgranaten liegen einfach so herum, ebenso Giftstoffe wie Arsen, Strychnin und Zyankali. Daneben entdecken die Beamten zwei Liter Phosgen, ein Dutzend Flaschen Chlorgas und auf einem ausgedienten Plumpsklo sogar acht Granaten, gefüllt mit dem tödlichen Nervengas Tabun. 400 Milligramm pro Kubikmeter Luft reichen davon aus, um einen Menschen in Sekundenschnelle zu töten.
"Die Firma Stoltzenberg, das hat sich erst im Laufe der Jahre danach herausgestellt, ist eine Firma gewesen, die schon in den 20er-Jahren für das Deutsche Reich Giftgase produziert hat, auch für andere ausländische Staaten Giftgasfabriken gebaut hat. Die waren also die Experten, nicht nur bei der Giftgasproduktion, sondern auch dann später wieder bei der Giftgasentsorgung. Und mit denen hatte die Bundeswehr bis in die 70er-Jahre hinaus zum Teil offene, zum Teil verdeckte Geschäfte gemacht."
"Die Firma Stoltzenberg, das hat sich erst im Laufe der Jahre danach herausgestellt, ist eine Firma gewesen, die schon in den 20er-Jahren für das Deutsche Reich Giftgase produziert hat, auch für andere ausländische Staaten Giftgasfabriken gebaut hat. Die waren also die Experten, nicht nur bei der Giftgasproduktion, sondern auch dann später wieder bei der Giftgasentsorgung. Und mit denen hatte die Bundeswehr bis in die 70er-Jahre hinaus zum Teil offene, zum Teil verdeckte Geschäfte gemacht."
Alexander Porschke ist Vorsitzender des Naturschutzbundes NABU- Hamburg und war von 1997 bis 2001 Umweltsenator der Stadt Hamburg. Die Ereignisse des Jahres 1979 hat er als eines der Gründungsmitglieder der Hamburger Grünen verfolgt. Der Chemiker Hugo Stoltzenberg hatte zusammen mit Fritz Haber im Ersten Weltkrieg Giftgase für das Deutsche Reich entwickelt und sich nach Kriegsende mit der Produktion von Ultragiften selbstständig gemacht.
1928 waren auf seinem Firmengelände große Mengen Phosgen ausgetreten und hatten eine Giftgaswolke über Hamburg geschickt. Mindestens zehn Menschen starben, 300 wurden verletzt.
Konsequenzen für Stoltzenberg hatte das Unglück damals, das als erster Stoltzenberg-Skandal in die Geschichte einging, nicht.
Behördenversagen im zweiten Stoltzenberg-Skandal
Nach dem Tod Hugo Stoltzenbergs im Jahr 1974 übernahm sein ehemaliger Mitarbeiter Martin Leuschner die Firma. In den Wochen nach dem zweiten Stoltzenberg-Skandal wurde ein Untersuchungsausschuss eingerichtet, der klären sollte, wie es zu den katastrophalen Zuständen auf dem Fabrikgelände hatte kommen können.
"Herausgekommen ist, dass da in wirklich unverantwortlicher Weise von dem Unternehmen mit Chemikalien umgegangen worden war. Und dass die Behörden das mehr oder weniger wussten. Die haben den alten Zausel, der da auf dem Gelände rumlief, den damaligen Geschäftsführer Herrn Leuschner, den haben sie für einen Schrat gehalten und haben ihn immer wieder ermahnt, aber haben halt auch gesehen, wirtschaftlich leistungsfähig ist der auch nicht besonders und haben da mehr oder weniger immer wieder weggeguckt."
Erst nach dem Unglück vom 6. September 1979 wurde die Firma mit sofortiger Wirkung geschlossen und der Justizsenator Frank Dahrendorf entlassen.
Immer wieder mussten die Anwohner während der folgenden Räumarbeiten evakuiert werden, da Giftgase und Sprengstoffe auszutreten drohten. Dabei entdeckten die Experten, dass auch der Boden so stark kontaminiert war, dass er bis in 2,50 m Tiefe abgetragen werden musste.
Jahrzehntelang lag das Gelände danach brach. Der schlechte Ruf schreckte Investoren ab. Erst vor wenigen Jahren wurde es wieder bebaut.
"Auf gewisse Weise hat dieser Skandal dazu geführt, dass in Hamburg eine wirkungsvolle Umweltverwaltung entstanden ist."
Denn um ein solches völliges Versagen der Behörden in Zukunft zu verhindern, wurde in Folge des zweiten Stoltzenberg-Skandals die erst im Jahr zuvor gegründete Umweltbehörde der Stadt mit mehr Personal und Laboren ausgestattet.
"Auf gewisse Weise hat dieser Skandal dazu geführt, dass in Hamburg eine wirkungsvolle Umweltverwaltung entstanden ist."
Denn um ein solches völliges Versagen der Behörden in Zukunft zu verhindern, wurde in Folge des zweiten Stoltzenberg-Skandals die erst im Jahr zuvor gegründete Umweltbehörde der Stadt mit mehr Personal und Laboren ausgestattet.