Sandra Pfister: Schulschwänzer sollen durch harte Strafen zurück in die Schule getrieben werden, am besten, indem es ihnen, oder besser ihren Eltern, ans Portemonnaie geht. Das fordert nicht irgendwer, sondern heute der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, und flankiert wird er vom Vorsitzenden des Deutschen Philologenverbandes, das ist der Verband der Gymnasiallehrer. Hans-Peter Meidinger sagt auch, Schulschwänzer dürfen wir nicht mit Samthandschuhen anfassen. Die müssen bereits ab zwei Fehltagen mit einem Bußgeld von 150 Euro belegt werden. Hört sich nach „hart, aber konsequent“ an, aber was hält eine Bildungsforscherin davon, die sich schon lange mit dem Thema befasst. Wir reden darüber mit Doktor Christine Sälzer von der TU München. Frau Sälzer, was sagen Sie denn – hilft eine empfindliche Geldstrafe gegen Schulschwänzer?
Christine Sälzer: Ich bin da ein bisschen skeptisch, muss ich sagen. Die Datenlage ist im Moment noch relativ dünn dazu. Wenn ich jetzt mit einer Geldstrafe agiere, dann muss dieses Geld ja auch irgendwo herkommen. Und da kommt es sicher zum einen auf das Alter der Kinder an, erst mal, also wann kann das Kind selber bezahlen, wann würde man eigentlich eher mit den Eltern noch arbeiten? Und ich denke nicht, dass das direkt genug damit zusammenhängt mit dem Schulbesuch. Weil, am Ende muss man sich dann auch überlegen, man zahlt dann die Geldstrafe, oder, wenn man sie nicht bezahlt und dann in eine Haft kommt, in eine kurzzeitige, was sind dann die Konsequenzen? Wird sich das Verhalten der Schüler ändern? Da habe ich eben schon Zweifel, muss ich sagen.
Pfister: Sie meinen, es gibt dann Eltern, die ihre Kinder freikaufen können, die betuchteren, die machen das vielleicht, und andere zahlen einfach überhaupt nicht, aber in keinem Fall hat das irgendeine Konsequenz, die direkt sich auf das Kind auswirken würde.
Sälzer: Zumindest nicht, dass ich wüsste. Dafür gibt es eben keine wissenschaftlichen Belege im Moment. Und ohne die wäre ich tatsächlich vorsichtig mit solchen Aussagen, weil die schon sehr stark auch in eine Richtung einer Verunglimpfung gehen. Man darf nämlich auf gar keinen Fall auch von den Schulschwänzern als einer homogenen Gruppe ausgehen. Wir wissen zum Beispiel jetzt auch aus der aktuellen PISA-Studie, dass das Problem im Vergleich mit den OECD-Ländern relativ gering ist. In der OECD, in allen OECD Ländern schwänzt ungefähr jeder vierte Schüler in den zwei Wochen vor PISA, nach Selbstbericht, und in Deutschland sind das keine zehn Prozent. Und da sieht man schon, da ist ein großer Unterschied da, und deswegen wäre ich gerade in Deutschland auch vorsichtig, das Problem dann zu hoch aufzuhängen. Natürlich gibt es Fälle, die sehr drastisch sind, wo man auch unbedingt was machen muss, aber ich denke, eine Geldstrafe ist da jetzt nicht so die naheliegendste Idee.
Pfister: Weil Sie gerade zehn Prozent sagten: Man muss es noch mal relativieren. Das war in dieser unmittelbaren Umfragephase. Jetzt ist von 200.000 Schülern insgesamt die Rede, die übers Jahr hinweg schwänzen. Das sind 1,6 Prozent, um das noch mal klarzustellen. Sie erwähnten gerade die Hardcore-Schulschwänzer, das ist nur ein geringer Teil. Was hilft denn bei denen? Womit werden die denn wieder zurück in die Schule geholt?
Sälzer: Aus meiner wissenschaftlichen Tätigkeit hat sich da ziemlich stark abgezeichnet, dass da die Interaktion mit den Lehrern sehr, sehr wichtig ist. Und da reichen schon erst mal kleinere Signale, du es fällt mir auf, dass du nicht da bist, oder, es stimmt doch nicht, wenn du mir sagst, du hast eine Lungenentzündung und bringst mir ein Attest, und zwei Tage später bist du dann beim Sportfest dabei, also, das kann doch nicht sein. Und die Aufdeckung solcher Diskrepanzen ist zuerst mal ganz wichtig. Dass der Schüler merkt, es wird wirklich drauf geachtet, ob ich da bin oder nicht. Und gerade in den drastischen Fällen, wenn vielleicht auch in der Familie irgendwas los ist oder der Schüler an sich Probleme hat, da ist es ganz wichtig, dass jemand da ist, der sich wirklich mit diesem Schüler beschäftigt, und zwar möglichst außerhalb des Unterrichts. Und das kann dann jemand sein, also ein Vertrauenslehrer oder ein Schulpsychologe, auch ein Sozialarbeiter, aber im Unterricht muss es halt wirklich um Unterricht auch gehen, weil sonst fragen sich natürlich die anderen Schüler, die anwesend sind, was mache ich hier eigentlich, wenn der, der hier schwänzt oder ab und zu mal wegbleibt, die ganze Aufmerksamkeit bekommt, sobald er einmal da ist.
Pfister: Da werden die funktionierenden Schüler quasi bestraft.
Sälzer: Ja, genau. Oder sie empfinden es zumindest so. Das ist halt irgendwie komisch. Die stellen das dann natürlich auch infrage: Ist es wirklich hier ernst gemeint mit der Schulpflicht oder nicht.
Pfister: Aber diese Art von Beziehungsarbeit ist wahrscheinlich relativ teuer, findet im Moment recht selten statt, nehme ich an, weil Lehrer oder Sozialarbeiter auch gar nicht so viel Zeit haben oder wenig Sozialarbeiter an den Schulen sind, oder?
Sälzer: Das ist unterschiedlich. Das kommt auch ein bisschen drauf an, wie viele Ressourcen in einzelnen Kommunen oder auch Bundesländern da reingesteckt werden. Allerdings ist es so, dass vielen Schulen oft eine klare und verbindliche Strategie für so was noch fehlt, die jetzt über das hinaus geht, dass man natürlich eine Entschuldigung einsammelt und dann irgendwann eine Attest-Pflicht hat und so weiter, aber dieses Follow-up mit den individuellen Fällen hängt stark von der Persönlichkeit dann des Lehrers ab. Wie engagiert ist der, wie viel Zeit kann er sich nehmen. Und das wäre, glaube ich, schon ganz sinnvoll, sich als Schule zu überlegen, wie viele Ressourcen fehlen uns denn da im Moment, um einfach mal festzustellen, was man eigentlich machen wollte oder könnte.
Pfister: Christine Sälzer, Bildungsforscherin von der TU München, beschäftigt sich schon lange mit dem Schulschwänzen und sagt, harte Strafen für Schulschwänzer, das ist eine populistische Forderung, deren Erfolg ist so nicht von der Forschung gedeckt. Danke, Frau Sälzer!
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