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Ermittlungen gegen Russland
Völkerrechtler: Es geht um den Verdacht zahlreicher Kriegsverbrechen

Der Internationale Strafgerichtshof hat Ermittlungen gegen Russland wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen aufgenommen. Völkerrrechtler Claus Kreß hält es auch für denkbar, dass sich Präsident Putin zu einem späteren Zeitpunkt in Den Haag verantworten muss.

Claus Kreß im Gespräch mit Friedbert Meurer |
Internationaler Strafgerichtshof in Den Haag
Internationaler Strafgerichtshof in Den Haag (imago stock&people)
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine nimmt der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag Ermittlungen wegen mutmaßlichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf.
Der Völkerrechtler Claus Kreß begrüßt die Aufnahme eines förmlichen Verfahrens gegen Russland durch den Internationalen Staatsgerichtshof. In den letzten Tagen habe sich ein „präzedenzloser Schritt“ ergeben, sagte Kreß im Deutschlandfunk: 40 Vertragsstaaten hätten förmlich die Aufnahme von Ermittlungen beantragt. Damit kann IStGH-Chefankläger Karim Khan „auch ohne richterliche Genehmigung tätig werden“. Diese wäre ansonsten nötig gewesen.

Worin besteht die Aufgabe des Internationalen Strafgerichtshofs?

Der Internationale Strafgerichtshof ahndet Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Seine Urteile sind bindend, das Gericht kann die Umsetzung der Entscheidungen aber nicht erzwingen. 123 Staaten, darunter alle EU-Staaten, erkennen den Internationalen Strafgerichtshof an. Russland, Israel, China und die USA gehören nicht dazu.
Die Ukraine ist zwar kein Vertragsstaat des Weltstrafgerichts. Das Land hat Ermittlern aber bereits 2014 nach Annektion der Krim die Erlaubnis erteilt, auf ihrem Grundgebiet Beweismaterial zu sammeln.

In welchen Fragen wird Chefankläger Khan ermitteln?

Bei den Ermittlungen von IStGH-Chefankläger Karim Khan geht es um den Verdacht zahlreicher Kriegsverbrechen und im Hinblick auf die Krim auch um den Verdacht von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Kreß führte aus, dass auch ein gezielter Angriff auf ein zivil genutztes Kernkraftwerk ein Kriegsverbrechen wäre, das unter die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fällt.
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Das Gericht wird sich gegenwärtig nicht mit der Frage auseinandersetzen, ob es sich um einen Angriffskrieg handelt, erläutert Kreß. Der Ankläger bräuchte dafür grünes Licht vom UNO-Sicherheitsrat, weil es sich bei Russland nicht um einen Vertragsstaat handelt. „Den wird es natürlich nicht geben, solange Putin russischer Präsident ist“, erläutert Kreß. Immerhin könne der Verdacht des Verbrechens der Aggression aber außerhalb des Gerichtshofs beim Namen genannt werden.
Chefankläger des Internationalen Gerichtshofs Karim Asad Ahmad Khan während des Verfahrens gegen den sudanesischen Ex-Staatschef Omar al-Baschir
Chefankläger des Internationalen Gerichtshofs Karim Asad Ahmad Khan während des Verfahrens gegen den sudanesischen Ex-Staatschef Omar al-Baschir am 21.08.2021 (AFP / Ebrahim HAMID)

Wird der IStGH auch gegen Präsident Putin ermitteln?

Die Ermittlungen beziehen sich auch nicht auf den russischen Präsident Wladimir Putin oder einen konkreten Beschuldigten, sondern auf den „gesamten Konflikt“, sagte Kreß. Bis es zu einem Haftbefehl kommt, müsse sich der Verdacht gegen einen bestimmten Beschuldigten so weit erhärten, dass die Ermittlungen gezielt gegen diesen gerichtet werden. Ein solcher Haftbefehl müsste von einem Staat vollstreckt werden, weil der Internationale Gerichtshof nicht über eine eigene Polizei-Vollstreckungsgewalt verfügt.
Zudem ist Putin als amtierender Staatspräsident vor ausländischen Strafgerichten immun. Allerdings gibt es Ausnahmen. Kreß wies an dieser Stelle auf den Fall des früheren sudanesischen Präsident al-Baschir hin. Die sudanesische Regierung hatte ihn aufgrund jahrzehntelanger schwerer Menschenrechtsverletzungen 2021 an den Internationalen Gerichtshof ausgeliefert. Dem war die Entscheidung vorausgegangen, dass die absolute Immunität amtierender Staatsoberhäupter nicht gilt. „Dieses Urteil hat nicht allen Staaten gefallen.“
Der sudanesische Präsident Omar al-Baschir
Der sudanesische Präsident Omar al-Baschir muss sich in Den Haag verantworten (IMAGO / Xinhua )
Völkerrechtler Kreß hält es für denkbar, dass Präsident Putin wie vor ihm der frühere Präsident Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, oder der ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic irgendwann auf der Anklagebank landen wird. „Für den Moment halte ich es aber für praktisch ausgeschlossen“.

Welche Wirkung geht vom Start der IStGH-Ermittlungen aus?

Mit dem Start der Ermittlungen beweise Chefankläger Khan laut Internationaler Föderation für Menschenrechte (FIDH), einem Dachverband verschiedener Menschenrechtsorganisationen, dass er die Opfer ernst nehme. Dies könne einen abschreckenden Effekt auf die Täter haben. „Sie stehen nicht über dem Gesetz und können nicht auf Straffreiheit vertrauen“.
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Experten machen aber deutlich, dass die Ankläger finanzielle Unterstützung benötigen – denn gute Ermittlungen brauchten Geld. Khan und seinem Team stünden rund 50 Millionen Euro jährlich zur Verfügung – für Ermittlungen in derzeit 15 Ländern. Das ist wenig.
Ermittlungen in einem laufenden Konflikt wie in der Ukraine sind darüber hinaus schwierig und gefährlich. Ein Vorteil ist, dass die ukrainischen Behörden die Arbeit der Ermittler nicht behindern werden. Zudem werden die Experten des Internationalen Strafgerichtshofs von Nichtregierungsorganisationen und Partnern vor Ort unterstützt, die Beweise sammeln. Darauf verweist die FIDH.

Klage der Ukraine wegen Völkermord vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH)

Der IStGH ist nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Gerichtshof (IGH), der ebenfalls in Den Haag sitzt. Er ist das Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen. Die Ukraine hat dort Anklage gegen Russland wegen Völkermord eingereicht.
Experten zufolge ist das Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof wirksamer als das vor dem IGH. An letzteren können sich nur Regierungen wenden, denn er schlichtet nur Konflikte zwischen Staaten. Dem IGH fehlen aber die Machtmittel, um einen Staat zu zwingen, die Urteile umzusetzen.
Weitere Quellen: Kerstin Schweighöfer, dpa